Es ist das Jahr 2009, in der englischen Kleinstadt Luton nahe London. Als ein Bataillon britischer Soldat_innen aus dem Irak zurückkehrt, wird ihnen zu Ehre eine Parade veranstaltet. Am Straßenrand: Etwa 15 Mitglieder der radikal islamischen Bewegung Ahle Sunnah al Jamah, die die Soldat_innen beschimpfen und Plakate mit der Aufschrift „Britische Regierung, Terroristische Regierung“ hochhalten. Auch wenn der Zwischenfall nur klein war, dient er als Katalysator für die Gründung der English Defence League, einer rechtsradikalen islamophoben Straßenbewegung mit exzellenter Anbindung an Hooligankreise. Ihr Gründer: Der wegen eines Angriffs auf Polizisten verurteilte Bräunungsstudiobetreiber Stephen Yaxley-Lennon. Das ehemalige Mitglied der faschistischen „British National Party“ (BNP) nennt sich von nun an, in Anlehnung an einen bekannten Fußball-Hooligan, Tommy Robinson.
„Christliche Kultur verteidigen“
Offiziell beansprucht die EDL für sich, ausschließlich gegen den „radikalen Islam“ zu sein, und keineswegs gegen Muslime an sich. Was als „Islamisierung“ gilt, wird allerdings weit gefasst, vom Bau von Moscheen bis zur Verfügbarkeit von Halal-Produkten in Fast-Food-Ketten. Rassismus und Faschismus werden abgelehnt, es gehe um „schwarze und weiße Einigkeit, jede Community des Landes kann sich uns anschließen. Es ist uns egal, ob du gestern erst hier angekommen bist, du bist dazu eingeladen unsere christliche Kultur und unsere Art zu Leben zu verteidigen“, heißt es in einer Rede von Robinson. Englisch sein ist bei der EDL äußerst eng mit Konformität mit dem Christentum verbunden, die Toleranz von Unterschieden in Wirklichkeit äußerst gering, wie auch der weitere Verlauf der Rede zeigt: „Wir werden den militanten Islam bekämpfen, wo er seinen hässlichen, pädophilen, gestörten, mittelalterlichen, verf****** Kopf zeigt.“
Essentialistische Sichtweisen
Die EDL bedient sich einer essentialistischen Sichtweise auf den Islam. Wann immer Islamisten Gewalttaten begehen, betont die EDL, dass die Täter im Einklang mit ihrer Religion gehandelt hätten – seien es Morde oder Kindesmissbrauch. Entgegen der Behauptung, dass sich die EDL ausschließlich gegen eine Minderheit der muslimischen Glaubensgemeinschaft richte, konstruiert sie so die Rückständigkeit der Religion an sich. Der Gefahr durch Muslime, die durch eine Verschwörung linker Multikulti-Kreise angeblich totgeschwiegen werde, setzt die EDL die bedrohte Britische Kulturnation entgegen. Im Bruch mit neonazistischen Volksgemeinschaftsutopien ist dies eher das England der 50er Jahre, „unberührt“ von Zuwanderung.
Brüchige Fassade der Islamkritik
Die Ähnlichkeiten zu PEGIDA sind offensichtlich. Beide bedienen Kulturkampfthesen und Kreuzritter-Rhetorik, bei der EDL besonders prominent symbolisiert durch das Verwenden der „St. George’s Flagge“, die schon während der tatsächlichen Kreuzzüge zum Einsatz kam. Und selbst wenn PEGIDA wie die EDL argumentiert, dass sie lediglich den radikalen Islam kritisierten, ist auch hier die Fassade brüchig, wenn etwa PEGIDA-Organisator Siegfried Däbritz über „mohammedanische Kamelverwöhner“ fabuliert. Beiden Bewegungen gemein ist die offizielle Ablehnung des Neonazismus, bei gleichzeitiger Akzeptanz von Neonazis bei ihren Aufmärschen.
Der Aufstieg der EDL
Wenige Monate nach dem Zwischenfall in Luton marschieren EDL Anhänger_innen gemeinsam mit rechtsradikalen Hooligans aus dem Zusammenschluss „Casuals United“ durch die Stadt. Sie protestieren gegen islamistischen Extremismus. Noch während des Aufmarsches bricht eine Gruppe aus der Demonstration aus und bewegt sich in den Stadtteil Bury Park, in dem ein Großteil der Muslima und Muslime von Luton zu Hause ist. Dort randalieren sie, beschädigen Autos und Geschäfte. In den folgenden Monaten veranstaltet die EDL immer wieder Demonstrationen in allen Landesteilen, sei es gegen den Bau von Moscheen, oder die „drohende“ Implementierung der Scharia. Für ihre Demonstrationen sucht die EDL bevorzugt Städte auf, in denen es große und wahrnehmbare muslimische Communities gibt: Birmingham, Nottingham oder Leicester.
Unterschiedliche Klassenperspektiven
Im Unterschied zu PEGIDA kommt ein Großteil der EDL-Anhängerschaft aus Städten, in denen es tatsächlich eine größere Anzahl Muslima und Muslime gibt. Sie stammen meist aus der weißen Arbeiter_innenklasse, leben in Nachbarschaft zu muslimischen und anderen migrantischen Communities, allerdings ohne mit diesen zu interagieren. Die EDL bemängelt aus der Perspektive der Unterschicht, dass der Staat zu viel für Zugewanderte und zu wenig für Einheimische täte. PEGIDA behauptet dasselbe, ist aber im Gegensatz zur EDL ein wohlstandschauvinistisches Bürgerbündnis, das sich des Fremden als Feindbild bedient, um besonders effektiv nach unten treten zu können. In ihren Lösungsansätzen gleichen sich EDL und PEGIDA vor allem insofern, dass sie zur Verteidigung der liberalen Gesellschaft zutiefst antiliberale und autoritäre Maßnahmen bevorzugen: Verbote, Verbote, Verbote, radikale Begrenzung von Zuwanderung.
EDL: Immer wieder Ausschreitungen
Fast immer kommt es zu Ausschreitungen während der Demonstrationen der EDL oder zu Auseinandersetzungen mit Polizei, Antifaschist_innen und migrantischen Jugendlichen, die nicht zulassen wollen, dass die EDL durch ihr Stadtviertel marschiert. Nichtsdestotrotz wächst die Zahl der Demonstrant_innen kontinuierlich, schnell ist die 1000-Personen-Marke geknackt. Im Neonazi-Internetforum „Stormfront“ wird eine EDL-Demonstration in Birmingham kräftig beworben. Anfang 2011 schafft es die EDL, 3000 Menschen zu einer Demonstration in Luton zu versammeln, dieses Mal bereits mit tatkräftiger Unterstützung von Defence League- Ablegern aus dem europäischen Ausland.
Hassparolen und Schwertangriffe
Zu Gewalt aus den Demonstrationen heraus kommt es bei PEGIDA bisher nur vereinzelt – es gab einige Feuerwerkskörper, die auf Gegendemonstrant_innen geworfen wurden, oder wenige körperliche Attacken. Größere Eskalationen können durch das Einschreiten der demonstrationseigenen Ordner_innen verhindert werden. Angesichts der zunehmend aufgeheizten Stimmung auf den PEGIDA- „Spaziergängen“ zweifeln Beobachter_innen allerdings daran, dass ihnen dies auch in Zukunft gelingen wird. Sowohl bei EDL als auch PEGIDA besteht ein deutlicher Unterschied zwischen offiziellen Verlautbarungen der Bewegungen, und dem, was im Internet und auf Demonstrationen an Gewaltaufrufen und rassistischen Äußerungen zu hören und lesen ist. Einige der beliebtesten Parolen auf EDL-Aufmärschen sind beispielsweise „Give me a gun and I will shoot the Muzzie scum“ [Gib mir eine Pistole und ich erschieße den muslimischen Abschaum], oder „You can shove your f****** Allah up your arse“ [Du kannst dir deinen verf****** Allah in den Arsch stecken]. DIe Taten von EDL- Anhänger_innen sprechen eine deutliche Sprache: Erst kürzlich wurde ein bekannter EDL-Unterstützer zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er während der diesjährigen Fußball-WM polnische Fußballfans mit einem Samurai-Schwert angriff und einen von ihnen schwer verletzte. Etwa 700 Straftaten, inklusive Brandanschlägen und Mord, können laut Graeme Atkinson, Redakteur des antifaschistischen Magazins „Searchlight“, der EDL und ihrem Umfeld zugerechnet werden.
EDL-Aufmarsch im nordenglischen Rotherham – Schweineluftballons als Provokation für Muslima und Muslime (Quelle: flickr/cc/chrisfp)
EDL als Inspiration für Anders Breivik
Im Jahr 2011 an beginnt der Stern der EDL zu sinken. Der norwegische Attentäter Anders Breivik, der im Juli 2011 77 Menschen ermordet, beruft sich in seinem Traktat ausdrücklich auf die EDL- er soll sich sogar mit ihren Anführern getroffen haben. Als noch dazu Tommy Robinson in einem Interview mit einer norwegischen Tageszeitung Verständnis für Breivik äußert, beginnt der schöne Schein der Islamkritik zu bröckeln. Noch dazu erleidet die EDL immer häufiger Niederlagen auf der Straße, wie etwa bei einer Demonstration im Nord-Ost Londoner Walthamstow, bei der es Antifaschist_innen und der örtlichen Community gelingt, den Marsch der EDL komplett zu verhindern. Außerdem fällt es der EDL immer schwerer, klassisch neonazistisch orientierte Anhänger_innen unter Kontrolle zu halten. Immer wieder brechen deswegen Schlägereien untereinander auf Demonstrationen aus. Erst der von zwei radikalen Islamisten verübte Mord am Soldaten Lee Rigby im Mai 2013 verschafft der EDL wieder die Chance, mit ihrer Hetze zu agitieren. Auf einer Demonstration in Newcastle versammeln sich über 2000 Anhänger_innen (Die EDL spricht von 7000). Doch der Aufschwung verpufft schnell, auch weil sich die Familie von Lee Rigby entschieden gegen die Instrumentalisierung des Todes ihres Sohnes durch die Rechten stellt.
Islamistische Geiselnahme in Sidney als Rechtfertigung für PEGIDA
Im Fall von PEGIDA werden die Taten einzelner Islamisten gleichermaßen genutzt, um eine allgemeingültige Gefahr für durch alle Muslima und Muslime zu konstruieren. Da der letzte Mord in Dresden, bei dem der Islam in irgendeiner Form eine Rolle spielte, der Mord eines Neonazis an der Pharmazeutin Marwa El-Sherbini in einem örtlichen Gerichtssaal war, muss hier allerdings eine Gewalttat im tausende Kilometer entfernten Sydney herhalten. Trotz strikter Einwanderungsregeln sei es einem fanatischen Islamisten gelungen, nach Australien zu gelangen und Geiseln zu nehmen, heißt es in einer Mitteilung der Pegida inhaltlich nahestehenden AfD. Konrad Adam, der dem dreiköpfigen Führungsgremium der Partei angehört, sagte demnach: „Das zeigt, dass es keiner Masseneinwanderung bedarf, um Menschen in Gefahr zu bringen. Ein Einzelner genügt.“ Für die AfD bedeutet dies: Selbst 0,1% Muslime und Muslima in Sachsen sind eine Gefahr für das Abendland. So rechtfertigt die Partei die PEGIDA-Demonstrationen in der Pressemitteilung. Deutlich wird: Letztendlich stellt PEGIDA alle Menschen muslimischen Glaubens unter den Generalverdacht, radikale Islamisten zu sein. Umgekehrt ist zu hoffen, dass sich nicht bald ein „neuer Breivik“ für seine Morde auf PEGIDA berufen kann.
Paralleler Aufstieg rechtspopulistischer Parteien
Auffällig ist, dass die EDL und PEGIDA in einem vergleichbaren politischen Klima gedeihen. In beiden Staaten ist eine konservative Regierung an der Macht, die auf die Finanzkrise mit Kürzungen im sozialen Bereich reagiert, und rechtliche Verschärfungen bei Zuwanderung und im Asylrecht in die Wege leitet. Der Aufstieg beider Bewegungen wird flankiert vom Wahlerfolg rechtspopulistischer Parteien, die vor allem sozialdarwinistische, wirtschaftsliberale und zuwanderungsfeindliche Thesen in den Parlamenten salonfähig machen. In England wird die UK Independence Party (UKIP) bei den Europawahlen 2009 zweitstärkste Kraft, seitdem ist sie bei Wahlen stetig erfolgreich. In Deutschland scheint die AfD den reaktionären Bürgeraufstand von PEGIDA vorweggenommen zu haben. Aus der Nähe zu den Inhalten der AfD, die mit Frauke Petry und Beatrix von Storch zwei antifeministische Rechtsausleger in führenden Positionen hat, lässt sich vielleicht ableiten, wieso die EDL an einigen Stellen liberaler ist als PEGIDA: In der Mitgliedsstruktur der EDL gibt es eine LGBT*-Division, während PEGIDA sich auch gegen „Genderwahnsinn“ positioniert – ein Punkt bei dem Islamisten PEGIDA vermutlich Beifall klatschen würden.
Robinson steigt aus
In Zuge der gescheiterten Instrumentalisierungsversuche des Mordes an Lee Rigby verlassen mit Tommy Robinson und seinem Cousin Kevin Carroll die zwei Köpfe die Organisation, die zwar ohne offizielle Mitgliedschaft funktioniert und sich hauptsächlich über das Internet vernetzt, aber trotzdem streng hierarchisch aufgebaut ist. Robinsons Begründung: Es sei nicht gelungen, radikale Elemente und Neonazis aus der EDL herauszuhalten. Er erklärt seinen Ausstieg aus der Szene, geholfen wird ihm ausgerechnet durch die „Quilliam-Foundation“ einem Aussteigerprogramm für radikale Islamisten. Er muss aber bald in Haft, weil er mit gefälschten Ausweisdokumenten in die USA gereist ist. In Berichten aus dem Gefängnis, sowie in Internetkommentaren nach der Freilassung schwadroniert Robinson aber nach wie vor über das englische Gefängnissystem, dass heimlicherweise von Muslimen kontrolliert wird, und konzentriert sich, ganz der Alte, auf Schauermärchen über den Islam.
Interne Zwistigkeiten in der rechtsradikalen Szene
Der Ausstieg ihrer Führungskader ist ein schwerer Schlag für die EDL. Seitdem versuchen sich wechselnde Personen mit mäßigem Erfolg in dieser Rolle. Zudem nimmt der Zwist mit Neonazis der „National Front“ und anderen „Counter-Jihad“-Gruppen wie den „Infidels“ immer gewalttätigere Formen an. Der vorläufige Höhepunkt spielt sich in diesem Herbst im nordenglischen Rotherham ab. Nachdem in der Stadt ein Pädophilen-Ring auffliegt, deren Mitglieder vornehmlich Muslime pakistanischer Abstammung sind, wittert die gesamte rechtsradikale Szene ihre Chance. Die EDL ist zuerst vor Ort: Sie kampiert vor der örtlichen Polizeiwache. Ihr Vorwurf: Die Polizei hätte aus „political correctness“ nicht gegen die Täter ermitteln wollen. Schnell verkommt ihre Mahnwache jedoch zum Besäufnis, EDL-Anhänger urinieren in aller Öffentlichkeit. Als die National Front den Ort erreicht, will die EDL ihnen keinen Platz einräumen. Die Konsequenz: Die EDL-Demonstration durch Rotherham wenige Tage später wird von den Neonazis der National Front angegriffen, es kommt zu schweren Ausschreitungen.
Rettet PEGIDA die EDL?
Momentan erscheint es schwer vorstellbar, dass die EDL an ihre Erfolge der Anfangszeit anknüpfen kann. Nachdem sie als Inspiration für rassistische islamophobe Bewegungen in ganz Europa diente, ist sie nun selbst auf einen Mobilisierungsschub durch Rassist_innen im Ausland angewiesen. Es ist möglich, dass PEGIDA diese Rolle übernimmt. Die Widersprüche und Probleme, an denen die EDL zu zerbrechen scheint, könnten allerdings langfristig auch zum Ende von PEGIDA führen.