Eine vielgeübte und traditionsreiche Tätigkeit in Deutschland ist das Warten auf die Verwaltung. Ein Beispiel: Wenn „die da oben“ nichts machen, wieso sollen „wir hier unten“ uns dann bemühen? Oder: „Uns fragt ja keiner, uns sagt ja keiner was!“ Wenn aber die Obrigkeit in der Kommune, dem Land oder dem Bund irgendetwas veranlasst, dann ist es oft auch nicht Recht, wird als Zumutung oder Entmündigung empfunden. Diese weitverbreitete Haltung zeugt von einer starken inneren Bindung an den Staat – im Positiven, wie im Negativen. Im Umkehrschluss zeugt es von einem Mangel an Selbstbewusstsein, vor allem in die eigenen Fähigkeiten, etwas selbst zu organisieren, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Bevor jedoch Bürger/innen schauen, was sie selbst tun können, um eine Situation vor Ort für sich und andere zu verbessern, müssten sie eine eigene Haltung zu diesen Fragen haben. Doch auch hier wird zu sehr auf den Staat geschaut und danach entschieden, ob man gegen oder für eine staatliche Handlung, ist anstatt sich selbst zu fragen, wie man dazu denkt und empfindet.
Das Schicksal von geflüchteten Menschen hat mit all dem jedoch nichts zu tun. Ganz gleich wie ein Bundesland oder eine Kommune entscheidet, ob und wie viele Flüchtlinge aufgenommen werden, sollten sich die Bürgerinnen und Bürger damit befassen, dass sie in den dafür vorgesehenen Orten demnächst Nachbarn haben werden, die in einer besonders schwierigen Situation sind. Die Frage wird dann sein, wie diese Nachbarschaft auf die „Neuen“ reagiert. Sie willkommen zu heißen, macht es allen leichter, in Zukunft gut miteinander zurecht zu kommen. Das weiß jeder, der selbst irgendwo hinzog und dort zunächst fremd war oder selbst neue Nachbarn/innen begrüßte. Ebenso wie ihm sollte man auch den geflüchteten Personen keinen Vorwurf machen, dass sie nun da sind. Das ist für alle Beteiligten unsinnig, ungerecht und schafft ein unangenehmes Klima. Die Menschen sind in einer solchen Situation wichtiger als alle Fragen, wie jemand zu dieser oder jener staatlichen Entscheidung steht.
Die Verantwortung der Kommunen
Selbst denken und selbst handeln bringt meist bessere Resultate als abzuwarten und zu meckern. In vielen Kommunen, in denen Unterkünfte für Flüchtlinge bereitgestellt werden sollen, hat sich die Bürgergesellschaft bereits Gedanken gemacht, was eine Willkommenskultur ausmachen und wie das gemeinsame Leben mit Flüchtlingen gestaltet werden kann. Aber auch die Kommunen stehen in der Verantwortung: Die Wahl des Trägers des Heimes ist dabei ganz besonders wichtig. Hier sollte nicht allein nach den Kosten entschieden werden, sondern auch nach Kompetenz und Offenheit. Heimleitung und Sicherheitspersonal tragen ganz entscheidend zum Klima in der Unterkunft bei. Wenn der Träger bereits Erfahrungen hat, wie gute Bedingungen herzustellen sind, wirkt sich das auch auf das Umfeld aus. Wird das Sicherheitspersonal eingesetzt, um die Flüchtlinge zu schützen und zu unterstützen, wird es gewiss weniger Probleme und Spannungen geben, als wenn sich die Wachleute den Geflüchteten gegenüber kalt und feindselig zeigen. In Berlin Hellersdorf z. B. hat mindestens einer der Wachleute selbst Migrationshintergrund und kann so besser verstehen, wie sich die Neuangekommenen fühlen, was sie nicht verstehen und auf welche Art Bedrohung schnell reagiert werden muss.
Persönlicher Kontakt ist zentral
Willkommenskultur heißt in erster Linie, sich auf die Bedürfnisse der Geflüchteten einzustellen und sie zu respektieren. Es geht nicht darum, der eigenen Neugier oder Hilfsbereitschaft freien Lauf zu lassen, sondern den Grad und die Art der Zuwendung daran zu messen, was die geflüchteten Menschen signalisieren. Eine Willkommensgeste wie ein Empfang mit Blumen und Kaffee wird in manchen Kommunen bereits organisiert. Das ist sehr schön für die Angekommenen und ein erster Schritt sich persönlich bekannt zu machen. Dabei bleibt es aber nicht. Wenn die Flüchtlinge bereit dazu sind, kann eine solche Art der Zusammenkunft auch regelmäßig stattfinden. So entstehen ganz normale Bekanntschaften oder Freundschaften, in denen sich die Beteiligten gegenseitig bereichern können. Für die Flüchtlinge ist ein persönlicher Kontakt wichtig, selbst wenn es Verständigungsprobleme geben sollte. Spielen, kochen, Sport treiben oder Musik teilen ist universell, die Sprache kommt dann hinterher. Jeder kann die einfachen Dinge zeigen und erklären. Das bringt Menschen einander näher und ist oft auch sehr lustig. Dennoch: Ein frühzeitiger Deutschkurs kann sehr hilfreich sein. Wenn Freiwillige sich dafür bereiterklären, sollten Ort und Zeit mit den Bewohnern/innen abgesprochen werden. Sollte niemand aus der Umgebung die nötigen Sprachen sprechen, kann ein/e Dolmetscher/in für einige Stunden in das Heim kommen und dort die wichtigsten Fragen klären. Das erleichtert allen den Umgang miteinander enorm.
Der Heimbetreiber kann die Bewohner/innen bitten, einige Geflüchtete auszuwählen, die für die anderen ihre Anliegen, wenn sie von allgemeiner Natur sind, vorbringen können. So kann bei der oft großen Spendenbereitschaft in der Nachbarschaft gezielter gesammelt werden, was wirklich gebraucht wird. Manchmal sind es Toilettenartikel, nicht so sehr Kleidung oder Möbel statt weitere Spielsachen. Immer wichtig für die Flüchtlinge: Telefonkarten, denn das ist die einzige Möglichkeit, mit den Zurückgebliebenen zu sprechen. Auch Satellitenfernsehen kann helfen oder Zugang zu PCs mit Internet.
Gemeinsam mit den Flüchtlingen
Sollte es im Heim selbst keinen Platz geben, der für den Austausch genutzt werden kann, ist es für die Heimbewohner/innen auch eine schöne Abwechslung an einen Ort außerhalb des Heimes zu gehen. In manchen Kommunen haben die Bürger/innen dafür Räume in Vereinen bereitgestellt. Wie die Begegnungen gestaltet werden und was dafür genau nötig und möglich ist, sollte gemeinsam mit den Flüchtlingen beantwortet werden. Sie einzubeziehen, ihnen eine aktive Rolle in der Nachbarschaft anzutragen und sie zu ermutigen, hilft u. U. besonders den Traumatisierten und ist in jedem Falle eine gute Möglichkeit, Gemeinsamkeiten herzustellen. Viele Flüchtlinge sind Akademiker/innen oder haben wunderbare handwerkliche Fähigkeiten. Ihre Expertise, ihr Wissen und ihr Können für das Gemeinwohl zu nutzen schafft mehr als eine gute Atmosphäre – es bereichert im wahrsten Sinne des Wortes das Leben in der Gemeinde. Da Flüchtlinge kein Geld verdienen dürfen, könnten sich Nachbarn/innen oder sogar die Kommune auf gegenseitige Dienstleistungen einigen. Was das im Einzelnen sein kann, sollte vor Ort ausgehandelt werden.
Wichtig ist auch die Gesundheitsversorgung. Auch sie kann zunächst ehrenamtlich organisiert werden. Die Flüchtlinge haben einen Anspruch auf eine Grund- und Notfallversorgung. Darüber hinaus gehende Behandlungen müssen beantragt werden. Manchmal sind Ärzte/innen bereit, ehrenamtlich zu helfen. Für die Betroffenen ist es immer hilfreich, wenn bei Arztbesuchen der Geflüchtete von jemandem aus der Nachbarschaft begleitet wird.
In vielen Orten haben die Menschen sich entschieden, nicht auf staatliches Handeln zu warten, nicht darauf zu bauen, dass die Verwaltung etwas richtet. Flüchtlinge brauchen vor allem persönlichen Kontakt und ein Engagement, das eines von uns verlangt: Einfühlungsvermögen und praktische Unterstützung. Denn wenn wir in einem Umfeld, in einer Kommune oder Nachbarschaft leben wollen, in der wir füreinander da sind und der Zusammenhalt auch in schlechten Zeiten funktioniert, dann ist es selbstverständlich, dass wir es mit den Geflüchteten tun. Unsere immer kleiner werdende Welt erfordert das und unsere Menschlichkeit.
Die Broschüre „Refugees welcome – Gemeinsam Willkommenskultur gestalten“ stellen die Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl am 05. März 2014 in Berlin vor. Ab diesem Termin ist sie auch als Download auf der Website der Amadeu Antonio Stiftung zu finden.