Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

„Wir machen die N**** platt“

Von|

Zwei Narben trägt Bob L. im Gesicht, eine neben dem linken, eine neben dem rechten Auge. „Sie erinnern mich daran, dass ich zwei Mal von Rechten angegriffen wurde“, sagt der 27-jährige aus dem Sudan. Seit acht Jahren lebt Bob L. in Rheinland-Pfalz als anerkannter Flüchtling. „Deutschland hat mir Schutz gegeben vor dem Krieg und der Verfolgung im Sudan. Dafür bin ich dem Staat und der Gesellschaft immer dankbar gewesen,? sagt er. Dann schweigt Bob L. einen Moment und sagt sehr leise: „Diese Sicherheit habe ich nicht mehr, seit ich in Guntersblum war.“

Ein Tag, zwei Überfälle

19. August 2007, Mügeln (Sachsen): In der sächsischen Kleinstadt mit knapp 5 000 Einwohnern kommt es spätabends nach einem Stadtfest zunächst im Festzelt zu einer Schlägerei zwischen einem Deutschen und einem Mann aus Indien. Anschließend jagt eine Gruppe von etwa 50 deutschen Festbesuchern acht Inder durch die Kleinstadt. Ingesamt 14 Menschen wurden an dem Abend verletzt ? darunter alle acht Inder.

19. August 2007, Guntersblum (Rheinland-Pfalz): In der rheinland-pfälzischen Kleinstadt mit knapp 4 000 Einwohnern besucht Bob L. einen ägyptischen Arbeitskollegen. Sie wollen das in der Region beliebte „Kellerwegfest“ besuchen. Am Nachmittag werden die beiden aus einer Gruppe von erkennbar rechtsextremen jungen Männern mit Sprüchen wie „Nigger, verpiss dich? angepöbelt. Nach einer kurzen Diskussion mit der Gruppe beschließen Bob L. und sein Bekannter die Sprüche zu ignorieren. Sie gehen weiter und genießen das Fest. Als sie sich gegen 3 Uhr morgens auf den Heimweg machen, ist der Festplatz fast leer. „Wir wollten nach Hause laufen und plötzlich waren sie wieder da,? erinnert sich Bob L.

„Wir machen die Neger platt?, riefen die Angreifer, als sie auf Bob L. und seinen Freund losstürmen, erinnern sich Zeugen. Einer der Angreifer springt Bob L. mit einem Karatetritt an, prügelt auf ihn ein und zerschlägt dann eine Weinflasche auf seinem Kopf. Bob L. liegt nun am Boden, um ihn herum stehen drei weitere Rechte und treten auf ihn ein – auf seinen Körper, seinen Kopf. „Als ich am Boden lag, hatte ich dieses Gefühl, das ich aus dem Sudan kannte: das Herz klopft und man weiß, der Tod ist in der Nähe. Das Geräusch der zersplitternden Flasche werde ich nie vergessen.? Der ägyptische Freund versucht dem bewusstlos am Boden Liegenden zu helfen, doch gegen vier Angreifer hat er keine Chance. Der 40-Jährige wird selbst verprügelt und verletzt, einer der Angreifer geht mit der abgebrochenen Weinflasche auch auf ihn los und zerschneidet damit die Muskeln und Sehnen des Zeigefingers.

Kein Mügeln in Rheinland-Pfalz

Während die „Hetzjagd in Mügeln? (Der Spiegel) international Schlagzeilen macht und eine neuerliche Debatte über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und ostdeutsche Kleinstädte auslöst, breiten die Sicherheitsbehörden in Rheinland-Pfalz über Details der Ereignisse in Guntersblum drei Wochen lang den Mantel des Schweigens. „Aus ermittlungstaktischen Gründen“, heißt es aus der Staatskanzlei in Mainz später. Dabei hatte die Polizei schon an dem Abend einen der Haupttäter festnehmen können, denn Zeugen auf dem Festplatz hatten direkt die Polizei alarmiert und waren Bob L. und seinem Arbeitskollegen zur Hilfe geeilt.

Direkt danach versuchte Bob L. das Geschehen zu verdrängen. Das hatte er schon einmal nach einem rassistischen Angriff erfolgreich praktiziert. Als Bob L. in Mainz noch auf die Anerkennung als Asylbewerber wartete, wurde er dort im Sommer 2001 gemeinsam mit zwei Freunden aus dem Sudan an einer Bushaltestelle von einer Gruppe neonazistischer Skinheads angegriffen und verletzt. Auch damals ging einer der Angreifer mit einer Flasche auf die drei Sudanesen los. ?Daher kommt die andere Narbe am Auge?, sagt Bob L.

Doch die Einschnitte durch den Angriff in Guntersblum in Bob L.?s bisheriges Leben sind massiv: Weil er fast drei Wochen lang krank geschrieben ist, verliert er seinen Arbeitsplatz am Frankfurter Flughafen. Seitdem er dort einen neuen Job hat und im Schichtdienst arbeitet, bricht er bei Nachtschichten schon Stunden vor Arbeitsbeginn von zuhause auf, um nachts nicht alleine mit dem öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu müssen. Aber am meisten aber beschäftigt ihn, dass die mutmaßlichen Täter in dem Prozess, der seit Anfang Mai vor dem Amtsgericht Mainz stattfindet, „einfach so tun, als wenn es nur eine ganz normale Schlägerei auf einem Weinfest gewesen sei.?

Ganz normale junge Männer

Vor Gericht geben sich die fünf Angeklagten im Alter 18 und 30 Jahren als ganz normale junge Männer. Der 23-jährige Jochen M. gab zwar zu, er habe „Scheiß Nigger? gerufen und zugeschlagen. Aber: Er habe viel getrunken gehabt und die Beleidigung sei ihm „nur rausgerutscht.? Auch seine mitangeklagten Freunde und deren Verteidiger inszenieren sich als unpolitisch und reumütig. „Hier wird eine rechtsradikale Geschichte aufgebaut, die es gar nicht gibt,? zitiert eine Regionalzeitung den Verteidiger Hans-Dieter Henkel.

Bob L. kann darüber nicht einmal lächeln. Seit dem Prozess weiß er, dass der 27-jährige Christian S., der als erster auf ihn einschlug und eintrat, schon vor zehn Jahren das erste Mal mit seiner rechtsextremen Clique zuschlug. Damals überfiel er mit dem ebenfalls im Guntersblum-Prozess angeklagten Peemann D. und fünf weiteren Nazi-Skinheads das Jugendzentrum Bingen. Mit Baseballschlägern prügelten sie auf Besucher ein und schrieen „Zecken sollen verrecken?, „Deutschland den Deutschen, Ausländer Raus?. Zwei Jahre später beteiligte sich S. an einer Schändung der KZ Gedenkstätte Rodingen, und im Mai 2004 schlug er nachts mit anderen Rechten einen türkischen Mann an einer Bushaltestelle in der Nähe des Mainzer Hauptbahnhofs zusammen. Und von dem jüngsten Angeklagten, einem heute 18-jährigen Gymnasiasten, existieren Fotos, die ihn schon als 15-Jährigen bei einem Neonaziaufmarsch in der rheinland-pfälzischen Kleinstadt Alzey zeigen. Der Rechtsextremismusexperte Michael Weiss sagt, die Inszenierung der Angeklagten als unpolitische junge Männer überrasche ihn nicht. „Gerade in manchen Regionen von Rheinland-Pfalz wie in Rheinhessen, der Vorderpfalz oder im Rhein-Lahn-Kreis sind die Übergänge zwischen normaler Jugendkultur und Neonazis fließend. Rechtsextremisten sind in Sportvereinen, in den Feuerwehren und bei Dorfpartys integriert.?

Kein Interesse an der Tatmotivation

„Der Richter zeigt leider wenig Interesse daran, die politisch rechte Motivation für den Angriff aufzuklären,? sagt Rechtsanwalt Stephan Hocks, der Bob L. als Nebenkläger im Prozess vertritt. Der Sudanese hatte gehofft, im Prozess eine Antwort auf die Frage zu bekommen, „warum diese Männer Menschen nur wegen der Hautfarbe angreifen.? Doch genau diese rassistische Motivation werde von den Angeklagten geleugnet. „Dafür haben sie sich nicht entschuldigt.? Geschockt ist Bob L. auch, dass die Angeklagten trotz gegenteiliger Zeugenaussagen leugnen, eine Flasche auf seinem Kopf zerschlagen zu haben.

Am Freitagmittag wird im Amtsgericht Mainz das Urteil gegen die fünf Angeklagten verkündet. Bob L. sagt, er wolle keine harten Strafen und das Schmerzensgeld sei ihm auch ziemlich egal. „Ich will eine Anerkennung der rassistischen Motivation. Aber im Moment habe ich das Gefühl, das wird gar nicht zur Sprache kommen, und die Angeklagten werden den Gerichtssaal verlassen und so weitermachen wie bisher.?

Fragt man Bob L., wie lange er schon in Deutschland lebt, antwortet er ganz exakt: „Acht Jahre, sechs Monate und neun Tage.“ Er sagt, das Weinfest in Guntersblum habe er besucht, weil er sich für „die Sitten und Traditionen in meinem neuen Heimatland? interessiere. Schließlich schütze er ja auch die Sicherheit der Deutschen bei seiner Arbeit am Frankfurter Flughafen. Doch er selbst fühlt sich in dieser Heimat nicht mehr sicher.

Weiterlesen

yellowstone-national-park-1581879_1920

Öko-Faschismus Die radikalen Ideen der Cybernazis zu Umwelt- und Tierschutz

Online floriert eine neue rechtsextreme Szene, die Öko-Faschisten. Sie vertreten radikale Vorstellung zum Thema Umwelt- und Tierschutz, stets gepaart mit der Vorstellung einer „weißen” Vorherrschaft. Auch die Terroristen von Christchurch und El Paso bezeichneten sich als „Öko-Faschisten”.

Von|
Eine Plattform der