In der sächsischen Kleinstadt Bautzen veranstaltete die Partei Die Rechte Mitte März eine Demonstration unter dem Motto „Volk steh´ auf“, etwa 300 Neonazis schlossen sich dieser an. Im Vorfeld fand eine Gegendemonstration unter dem Motto „Bautzen geht bunt“ statt, bei der sich 250 Menschen gegen die rechte Hetze wendeten. Kleine Gruppen von Neonazis begleiteten schon am Nachmittag das Geschehen und skandierten Parolen wie „Frei, sozial und national“. Während und nach der Gegendemonstration kam es zu wiederholten Angriffen durch Neonazis auf GegendemonstrantInnen, die die Polizei nicht verhinderte, obwohl sie mit 300 BeamtInnen vor Ort war und die Lage am Abend als „grundsätzlich friedlich“ eingeschätzt hatte. Auf Nachfrage erklärte auch das das für den polizeilichen Staatsschutz zuständige Operative Abwehrzentrum (OAZ), das derzeit keine Erkenntnisse oder Ermittlungen zu den Fällen vorliegen.
„Ihr habt euch die falsche Stadt ausgesucht, wir machen euch kalt!“
Dass die Polizei einem eklatanten Fehlurteil unterliegt, zeigen die Berichte des Bündnisses „Bautzen stellt sich quer“ und einzelner Betroffener, mit denen Belltower.news Kontakt aufnehmen konnte. „Bautzen stellt sich quer“ und andere AugenzeugInnen sprachen unabhängig voneinander von zwei Überfällen, die von kleinen Nazigruppen ausgeführt wurden und dabei im Vorfeld organisiert scheinen. Mehrere Personen wurden dabei leicht verletzt.
Der erste Übergriff ereignete sich dabei gegen 17 Uhr am Postplatz in den Innenstadt. Eine Gruppe von etwa 15 GegendemonstrantInnen war auf dem Weg, um sich an dem Rand der angeku?ndigten Neonazi-Demo-Route zu positionieren. „Dabei folgten uns circa zehn vermummte männliche Personen – auch wir begannen, zu rennen“, berichtet eine Augenzeugin. Eine junge Frau wurde von einem der vermummten Angreifer dabei an ihrer Jacke nach hinten gerissen, sie wurde geschlagen und stürzte. „Der Täter schloss sich darauf wieder seiner Gruppe an und folgte mit ihr dem Rest unserer Gruppe.“ Aus unterschiedlichen Quellen geht hervor, dass sie die Fliehenden mit Knallkörpern bewarfen und gerufen haben sollen: „Ihr habt euch die falsche Stadt ausgesucht, wir machen euch kalt!“ Die Polizei wurde kurz nach dem Geschehen von den Angegriffenen informiert, war aber bei der Tat nicht vor Ort.
Gespenstische Hetzjagden auch am Abend
Der zweite Angriff ereignete sich nach Angabe der Quellen, die Belltower.news vorliegen, gegen 20 Uhr auf dem Kornmarkt in Bautzen. Als eine kleine Gruppe von circa 10 bis 15 Personen nach einem Blockadeversuch der Nazi-Route nicht mehr durch die Polizeiabsperrung kam, umliefen sie diese. Ihnen schloss sich eine Gruppe von 6 bis 8 männlichen Personen an, als die Polizei außerhalb der Sichtweite war. Auch sie waren vermummt und näherten sich den GegendemonstrantInnen zunächst mit lauten Rufen, darunter „Nazis raus!“ Als sie die Gruppe fast erreicht hatten, änderten sie ihre Mimikry, riefen „Frei, sozial und national“ und begannen die Verfolgung. Während der Hetzjagd hörten die Verfolgten wiederholt die Drohungen „Wir machen euch kalt!“ und „Wir kriegen euch alle!“. Einige GegendemonstrantInnen wurden zu Boden gerissen und verletzt. Ein älterer Mann erlitt dabei Tritte auf den Kopf und wurde in eine Unterfu?hrung gezogen. Zwei Personen, darunter auch eine Frau, die helfen wollten, wurden ebenfalls zu Boden gerissen und getreten. Der Mann und mehrere ZeugInnen berichteten später auch gegenüber der Polizei von dem Vorfall.
Zeitgleich fand eine weitere Hetzjagd statt, bei der aber niemand verletzt wurde. Die Polizei wurde währenddessen von den Bedrohten informiert. „Wir gehen von einer organisierten Struktur mehrerer, untereinander bekannter, militanter Sportgruppen aus, deren Mitglieder vor allem dem Hooligan-Milieu zuzuordnen sind“, erklärt ein Vertreter von „Bautzen stellt sich quer“ gegenüber Netz-gegen-Nazis.de.
Seit Monaten rechtsextreme Demonstrationen und Angriffe in Bautzen
Schon im Vorfeld der Demonstration musste von einer enormen Gewaltbereitschaft ausgegangen werden. So fanden sich laut „Bautzen stellt sich quer“ bereits vorab öffentliche und implizite Androhungen auf Veranstaltungsseiten in den sozialen Netzwerken, die dazu aufriefen, nach der Demonstration noch „Zeit fu?r ein paar Spielchen“ mit den GegendemonstrantInnen zu haben, diese „zum Zug zu begleiten“ und ihnen eine „schöne Abreise zu bescheren“.
Die rechten Demonstrationen häufen sich in Bautzen seit Monaten. Mittlerweile gibt es in der Stadt zwei Asylunterkünfte, die sich in einem ehemaligen Hotel in Burk (ca. 150 Menschen leben hier), sowie in einem Industriepark auf der Flinzstraße in Bautzen (ca. 240 Flüchtlinge) befinden. Eine weitere Unterkunft ist für 60 Asylsuchende in einer alten Berufsschule in der Dresdener Straße geplant. Dagegen fanden bereits in wenigen Monaten immer wieder rechtsextreme Demonstrationen statt – mit stetiger Teilnehmerzahl von mindestens 300 bis 700 Personen. Schon bei den früheren Demonstrationen wurde von Bedrohungen und Angriffen durch Neonazis berichtet. Gleichzeitig kommt aus der nächstgrößeren Stadt Dresden nur wenig Unterstützung, weil vor Ort seit Monaten jeden Montag Pegida aufläuft und die Kräfte bindet.
Regelmäßige Bedrohungen gegenüber KommunalpolitikerInnen
Die Lage in Bautzen scheint sich zuzuspitzen. In der Sächsischen Zeitung wurde kurz nach der Demonstration über Bedrohung gegenüber Politikern berichtet, die für die Unterbringung von Flüchtlingen (mit) verantwortlich sind. Deutschlandweit machte der Fall in Tröglitz von sich reden, als der parteilose Politiker Marcus Nierth sein Bürgermeisteramt aufgab. Doch auch im Kreis Bautzen berichten der Landrat Michael Harig (CDU), der Bürgermeister von Kamenz Roland Dantz, die Bürgermeisterin Kerstin Ternes aus Großröhrsdorf und der Bürgermeister von Ottendorf-Okrilla (alle parteilos) von massiven Bedrohungen. Diese erreichen die PolitikerInnen per Post oder E-Mail. In der Sächsischen Zeitung zitierte Harig aus einem der Briefe: „Man wisse, wo meine Kinder und Enkel wohnen“. Bürgermeister Dantz wurde als „menschlicher Abfall“ bezeichnet, der „verbrannt“ werden müsse, „lebendig, versteht sich“. Besonders schlimme Anfeindungen erlebt Linken-Kreisrat Sven Scheidemantel aus Arnsdorf. Er engagiert sich im Bündnis „Bautzen bleibt bunt“. In der Sächsischen Zeitung berichtet er von regelmäßigen Bedrohungen am Telefon und über soziale Netzwerke. Außerdem sei er vor einem Supermarkt von Rechten angegriffen, ins Gesicht geschlagen und geschubst wurden.
Auf Strafanzeigen haben die Harig und Scheidemantel bisher verzichtet. Nachdem mehrere Medien und auch das MDR Magazin „Exakt“ über die Angriffe berichteten, prüfte die Staatsanwaltschaft Görlitz die Fälle und leitete Ende März Ermittlungen ein. Gegenstand dieses Verfahrens sind Straftaten der Bedrohung, der Nötigung und der Beleidigung zum Nachteil von Landrat, BürgermeisterInnen und Abgeordneten. Auch die sächsische Staatsregierung rät bedrohten KommunalpolitikerInnen nun, Anzeige zu erheben, um sich gegen die Einschüchterungsversuche zu wehren.
„Im letzten Augenblick gelang es uns zu fliehen“
Fast schon wieder in Vergessenheit geraten dabei die Angriffe auf die sorbische Bevölkerung. Die Sorben sind eine anerkannte nationale Minderheit, die in der Region Lausitz seit etwa 1400 Jahren lebt und eine eigene Sprache spricht. Mitte vergangenen Jahres wurden wiederholt Bedrohungen und Angriffe auf sorbische Feste bekannt, zweisprachige Straßenschilder in der Region wurden zerstört und in den sozialen Netzwerken gegen Sorben gehetzt. In einem Leserbrief in der Zeitung Serbske Nowiny berichtet der Schreiber sogar von tätlichen Übergriffen nach einer Party: „Sie hatten Masken ins Gesicht gezogen, damit sie nicht zu erkennen waren. Im letzten Augenblick gelang es uns, zu fliehen. Ähnliche Probleme hatten Jugendliche bereits auf Discos in Cunnewitz, Ostro, Ralbitz und auf anderen sorbischen Dörfern.“ Er ordnet die Täter als eine Gruppe von 15 rechtsextremen Jugendlichen aus dem Kreis Bautzen ein. Inzwischen hat das Operative Abwehrzentrum OAZ sieben Tatverdächtige im Alter von 18 bis 21 Jahren ermittelt, beendet seien die Ermittlungen jedoch noch nicht.
Die Mitglieder vom Aktionsbündnis „Bautzen stellt sich quer“ suchen unterdessen weitere ZeugInnen für die Angriffe, um diese bei der Polizei anzuzeigen. Und auch die zuständige Staatsanwaltschaft Görlitz rief die KommunalpolitikerInnen dazu auf, die Bedrohungen gegen sie anzuzeigen, damit diese zeitnah und effektiv verfolgt werden können.
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