Herr Weiss, Sie ganz persönlich haben sich sehr dafür eingesetzt, dass der Deutsche Olympische Sportbund das Thema Rechtsextremismus zum Schwerpunkt macht. Warum?
Ich bin 1963 geboren worden und habe den Nationalsozialismus selbst nicht miterlebt ? habe mich aber sehr damit auseinandergesetzt. Wir haben einen intensiven Austausch mit unseren Freunden in Israel, und ich war vor einem halben Jahr noch einmal in der Gedenkstätte Yad Vashem. Man kann den Besuch einer Gedenkstätte nur jedem empfehlen: Seht, was mit Menschen gemacht worden ist. Das darf nicht wieder geschehen!
Der zweite Grund ist vordergründig persönlicher: Ich habe meinen Großvater, mit dem ich gern gespielt hätte und von dem ich vielleicht auch gern ein Eis oder ein Spielzeug bekommen hätte, nicht kennengelernt. Weil er im Konzentrationslager Börgermoor erschlagen worden ist. Das Konzentrationslager im Emsland gehörte zu den ersten großen Konzentrationslagern im Sommer 1933; hier wurden tausende von Menschen inhaftiert. Ihre Lebensbedingungen finden sich übrigens in dem Lied ?Die Moorsoldaten? wieder. Man muss die Zeit des Nationalsozialismus in Erinnerung behalten, und man muss rechtsextreme Tendenzen erkennen. Man darf das nicht verheimlichen und alles unter den Teppich kehren.
Heute startet der Deutsche Olympische Sportbund eine Aktionswoche zum Thema Rechtsextremismus. Warum jetzt?
Wir haben in letzter Zeit vermehrt Anzeichen dafür, dass sich Rechtsextremismus etabliert in Deutschland. Und dass er sich eine Plattform im Sport sucht ? beziehungsweise versucht, in Sportvereine hinein zu kommen. Um sich dort zu präsentieren und darzustellen. Wir aber möchten einen sauberen Sport ? nicht nur im Bereich des Dopings. Sondern wir möchten einen sauberen Sport auch im Bereich des Denkens. Das rechtsextreme Gedankengut ist einfach falsch. Sport steht für Freiheit, für Integration, für Zusammenleben. Sport spricht eine eigene Sprache, in dieser kann sich jeder verständigen ? egal ob er oder sie aus der Türkei, aus Südafrika oder aus Amerika kommt. Wenn ich Fußball oder Basketball spiele, dann ist es egal, wo ich herkomme. Die Regeln versteht jeder.
Wir wollen die Menschen wachrütteln, sie aufmerksam machen auf rechtsextreme Tendenzen, und deshalb unterstützen wir als Deutscher Olympischer Sportbund und als Deutsche Sportjugend auch Netz-gegen-Nazis.de.
Wie sieht es konkret aus, wenn Rechtsextremisten in Sportvereinen Fuß fassen wollen?
Es gibt Versuche aus der extrem rechten Szene, in Sportvereinen gezielt Übungsleiterposten zu übernehmen. Wir hatten einen Fall in Hessen, wo die Eltern eines jungen Mannes ? der Vater war NPD-Landesvorsitzender ? erheblichen Druck aufgebaut haben, um ihren Sohn in einem Sportverein unterzubringen. Das Problem daran war, dass der Sohn darauf gedrillt ist, die rechtsextremen Positionen seines Vaters weiterzugeben.
Ein weiteres Feld, wie die extreme Rechte versucht, im Sport Fuß zu fassen ist das Sponsoring: Es gibt Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern, wo extrem rechte Unternehmer, die in der Kameradschaftsszene aktiv sind, Teams mit T-Shirts und anderen Materialien ausgestattet haben. Oder es wird angeboten, die Vereinszeitung zu finanzieren, wenn der Verein das sonst nicht mehr schafft. Da geht es dann um scheinbar marginale Summen wie 500 Euro; aber plötzlich kommt rechtsextremes Gedankengut in Vereinszeitungen ? wo es wirklich nicht hingehört.
Und was können Vereine in derartigen Situationen machen?
Unter anderem mit unserer Aktionswoche wollen wir den Vereinen zeigen, dass sie beim DOSB und der DSJ Hilfe und Unterstützung erhalten können. Wir haben beispielsweise „Mobile Interventionsteams gegen Rechtsextremismus im Sport? ins Leben gerufen, und wir haben mit einem spezifischen Webportal „Sportjugend agiert ? dem Rechtsextremismus keine Chance? eine Plattform geschaffen, die viele Beispiele aus der Praxis präsentiert. Zum Beispiel können Vereine dort Musterverträge finden, mit denen sie einer verdeckten Anmietung ihrer Vereinsräume durch die NPD oder neonazistische Kameradschaften vorbeugen können.
Bei der Aktionswoche werden die Landessportjugenden und die Spitzenverbände eigene Projekte starten, beispielsweise den Wettbewerb „Verein(t) gegen Rechtsextremismus?. Und weil wir wissen, dass das Thema Rechtsextremismus Kontinuität verlangt, haben wir es dauerhaft in unsere Übungsleiterausbildung integriert. Jeder Übungsleiter lernt jetzt, wie man auf rechtsextreme Sprüche reagieren kann ? dazu haben wir gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung ein Argumentationstraining entwickelt. Und im Bereich Fußball haben wir gemeinsam mit dem DFB und dem Bundesfamilienministerium das Präventionsprojekt „Am Ball bleiben ? Fußball gegen Rassismus und Diskriminierung? gestartet.
Bekommt der DOSB mehr Anfragen zum Umgang mit Rechtsextremismus aus den neuen Bundesländern oder aus den alten?
Ich will ganz deutlich sagen: Rechtsextremismus ist kein spezifisch ostdeutsches Problem, sondern ein gesamtdeutsches. Sicherlich gibt es im Osten die eine oder andere ländliche Region, wo Rechtsextremismus im Alltag etwas verbreiteter ist. Das soll man auch nicht unter den Teppich kehren. Aber, wie gesagt, es ist ein gesamtdeutsches Problem.
Noch eine letzte Frage, die im Vorfeld der Olympischen Spiele naheliegt. Ist es nicht ein Widerspruch, wenn sich der DOSB hier gegen Rechtsextremismus engagiert und gleichzeitig das Thema Menschenrechte bei den Olympischen Spielen außen vor bleiben sollen.
Ich sehe keinen Widerspruch. Und das Thema Menschenrechte bleibt doch gar nicht außen vor. Zudem: Was wäre denn, wenn wir nicht nach China fahren würden? Wenn man nicht mit den Menschen in Kontakt kommt, wie will man ihnen dann helfen?
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