An seine erste Trainersitzung beim TSV Hilalspor erinnert sich Emin Birinci noch ganz genau. Der Vorstand habe verkündet: „Wir werden den Verein umbenennen.“ Der türkische Name sollte durch einen deutschen ersetzt werden, der neue Name die Öffnung des Vereins nach außen demonstrieren. „Ein deutlicheres Zeichen gibt es nicht“, sagt A-Jugend-Coach Birinci. Doch die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Wie in den meisten monoethnischen Vereinen, die eine solche Namensänderung erwägen, vollzog sich in jener Sitzung ein offener Bruch: auf der einen Seite die Väter des 1995 gegründeten Stuttgarter Vereins, auf der anderen die Neuankömmlinge, die bei Hilalspor nach Jahren der Misswirtschaft das Sagen übernommen hatten. Die Traditionalisten fürchteten um die Identität des Vereins, sie fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Als die Umbenennung in FC Stuttgart-Cannstatt schließlich Anfang 2006 vollzogen war, verließen mehr als 40 Personen enttäuscht den Verein – 80 Prozent aller Mitglieder.
Den im ersten Moment schmerzhaften Verlust hat der FC Stuttgart heute kompensiert. Auf 260 Mitglieder ist der Verein angewachsen, was vor allem am massiven Ausbau der Jugendarbeit liegt. Während sich der 1995 gegründete TSV Hilalspor zunächst auf seine erste Mannschaft konzentrierte und später zwei Jugendmannschaften aufbaute, setzt der FC Stuttgart von Beginn an auf die Jugend. Derzeit unterhält der Verein zehn Juniorenteams. 15 Trainer betreuen 150 Kinder und Jugendliche von den Bambinis bis zur A-Jugend. Einen solch breiten Unterbau sieht man selten in Migrantenvereinen, häufig gibt es nur eine Herrenmannschaft. Eine weitere Besonderheit des FC Stuttgart: Türkischstämmige spielen nun mit Deutschen, Italienern, Portugiesen und anderen Nationalitäten zusammen. Zum „Türkenverein“ Hilalspor wären diese Jugendlichen nie gewechselt, sagen die Vereinsverantwortlichen.
Beim FC Stuttgart haben diese Entwicklung Ali Baykan und Ömar Cinar ermöglicht, die die Geschicke des Vereins übernahmen. Baykan, Mitglied des Vorstands, sagt: „Wir sind ein Stuttgarter Verein, kein türkischer.“ Das neue Vereinsemblem ziert der Stuttgarter Fernsehturm. Cinar, Großunternehmer und Präsident des FC Stuttgart, begründet sein Engagement mit persönlichen Erfahrungen: „Ich habe als Spieler in den Siebzigern selbst die Anfeindungen auf dem Platz erlebt. Jeder hat in seiner Kultur gelebt. Wir haben wenig miteinander geredet.“
Beim FC Stuttgart soll das anders laufen. Gesprochen wird fast nur Deutsch, versichern die Übungsleiter, auch wenn die meisten Spieler immer noch Türkisch als Muttersprache haben.
Bundesweit steht der FC Stuttgart mit seiner Namensänderung mittlerweile nicht allein da. Der badische Klub FC Mühlacker hieß bis vor Kurzem noch FC Anadolu Mühlacker, dann strichen die Mitglieder den Zusatz Anadolu („Anatolien“). Man wolle sich vor allem öffnen, hoffe aber auch, künftig bessere Karten bei den Verhandlungen um Sportplätze zu haben, sagt Pressesprecher Christos Rengas.
Auffällig ist, dass es ausschließlich von Türken gegründete Vereine zu sein scheinen, die sich einen deutschen Namen geben. „Das ist ein neueres Phänomen. Gerade die türkischen Vereine wollen sich für andere Nationalitäten öffnen“, bestätigt Siegfried Müller vom Badischen Fußballverband.
Beim Vorzeigeverein Türkiyemspor Berlin wurde bereits recht früh über eine Umbenennung diskutiert, erzählt Manager Fikret Ceylan: „Vor der Wende wollten wir uns FC Kreuzberg nennen, aber die deutschen Mitglieder waren dagegen.“ Der einstige FC Galatasaray Spandau heißt seit letztem Jahr Spandauer FC Berlin 89. „Die Umbenennung war nur möglich, weil die Vereinsgründer im Urlaub waren“, sagt Geschäftsführer Burak Isikdaglioglu. Seitdem hat der SFC einige Deutsche hinzugewonnen, vor allem Jugendspieler. Eines aber habe sich nicht geändert: die rassistischen Vorfälle. „Die haben sogar zugenommen“, berichtet Isikdaglioglu. „Im Unterschied zu früher werden wir jetzt nicht mehr wegen unseres Namens, sondern wegen unseres Aussehens beleidigt.“