Elli ist 22 Jahren alt, studiert in Chemnitz und wohnt weiterhin in Limbach-Oberfrohna. Die etwa 25 Kilometer zur Uni pendelt sie, um in ihrer Heimatstadt aktiv gegen Nazis zu bleiben. Rückschläge steckt sie dabei seit 2009 ein, als Nazis einen Brandanschlag auf das erste Vereinshaus verübten und die Stadt wochenlang die Schuld bei der Initiative suchte.
netz-gegen-nazis.de: Kannst du kurz zusammenfassen, was eure Ziele sind und wie ihr diese erreichen wollt?
Elli: Unser größtes Ziel ist es, endlich einen alternativen Freiraum für nicht rechte Jugendliche zu schaffen. Wir standen selbst immer wieder vor dem Problem, dass es in Limbach einfach keinen Ort gibt, an dem wir Veranstaltungen machen oder uns einfach mal treffen können. In unserer Stadt sind die Nazis leider genauso erwünscht wie alle anderen. Auch im Jugendhaus hängen immer wieder Nazis ab. So sind das alles Orte, die wir nicht besuchen können, ohne bedroht zu werden.
Wieviele Jugendliche könnt ihr für euer Engagement gewinnen?
Im harten Kern gehören so 10 bis 15 Leute zu uns. Wir haben die Arbeit angefangen, als viele noch in der Schule waren. Jetzt studieren einige oder machen eine Ausbildung. Um offen für Nachwuchs von Jüngeren zu sein, wäre ein Treffpunkt wichtig.
Wie sieht es aus mit diesem Treffpunkt? Hattet ihr nicht mal ein Haus?
(seufzt) Das ist eine lange Geschichte, da muss ich ausholen.
2008 haben wir die Initiative gestartet und Ladenräume angemietet, das war unser Infoladen „Schwarzer Peter“. Auf den Laden gab es immer wieder Naziangriffe – und dann wurden wir gekündigt.
2009 haben wir unser erstes Haus gekauft, die „Doro 40“. Wir haben begonnen, Räume zum Wohnen und für Veranstaltungen auszubauen. 2010 haben Nazis auf das Haus einen Brandanschlag verübt, alles ist ausgebrannt. So mussten wir wieder bei Null anfangen. Wir waren nicht sicher, ob wir nach diesem Anschlag noch genug Kraft haben. Fast die ganze Stadt hat uns einfach abgelehnt. Wir waren die Nestbeschmutzer, wurden wie Provokateure behandelt, es fand eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Durch den Brandanschlag sind 35.000 Euro Schaden entstanden, ganz zu schweigen von dem Rückschlag für unsere Arbeit. Die Stadt hat uns 500 Euro als Wiedergutmachung dazu gesteuert. Auch sonst ist es immer ein wenig schwierig mit der Stadtverwaltung, besonders mit dem Oberbürgermeister (CDU). Der lehnt uns ab und reagiert auch nicht, wenn wir ihn zu Veranstaltungen einladen.
2011 haben wir versucht, in neuen Räumen einen neuen Infoladen zu eröffnen. Alles schien gut zu laufen: Wir haben Flyer gedruckt, die Feier geplant, die Räume bezogen, Einladungen geschrieben. Und dann, so drei Tage vor der Eröffnung, kam auf einmal ein Brief von der Stadt, dass wir nicht eröffnen können, weil wir manche Formalitäten nicht beachtet haben. Wir hätten einen Umnutzungs-Antrag stellen müssen, weil die Räume vorher nur zum Wohnen freigegeben waren, wir nun aber einen öffentlichen Veranstaltungsort planen würden. An diesem Antrag hängen dann auch Brandschutzmaßnahmen und Notausgänge. Wir haben das einfach nicht gewusst – das Bauamt hat es uns aber auch nicht eher gesagt. Anstatt der Eröffnungsfeier haben wir dann eine Kundgebung vor dem Laden gemacht, um zu zeigen, dass wir trotzdem da sind und weitermachen wollen. Aber schon in den Tagen davor ging es wieder los, dass Nazis vorbei kamen. Oft erst so ein, zwei Spähposten und danach eine größere Menge.
Kundgebung statt der geplanten Eröffnung des Infoladens, 2010
(Bildquelle: Soziale und Politische Bildungsvereinigung L.-O. e.V.)
Kannst du davon erzählen, was vor der Eröffnung passierte?
Ein paar Tage vor der geplanten Eröffnung kamen so 20 Leute mit Flaschen vorbei und haben nach uns geschaut, das war bedrohlich. Wir haben die Polizei gerufen, die hat das nicht interessiert. Am nächsten Abend kamen wieder Nazis, eine größere Gruppe, und haben uns angegriffen. Wir waren zum Glück nicht ganz allein und haben uns auch gewehrt, weil die gerufene Polizei einfach nicht kam. Als sie dann da war, sind die Nazis weggerannt, was die Cops eindeutig gesehen haben. Aber stattdessen wurden wieder wir zu den Täterinnen und Tätern gemacht, es gab eine Hausdurchsuchung in unseren Räumen und Beschlagnahmungen. Unter anderem wurde Quarzsand sicher gestellt, die Polizei hat gleich die Meldung rausgegeben, wir besäßen Sprengstoff. Dabei war das Sand und den hatte sich zu dem Zeitpunkt nicht mal ein Sprengstoffexperte angeschaut! Natürlich kam das gleich groß in den Zeitungen. Diese falschen Schlagzeilen wurden im Nachhinein nur ganz klein korrigiert. Aber sowas setzt sich in den Köpfen der Menschen fest, solche Geschichten gibt es immer wieder und so werden wir zu Nestbeschmutzern gemacht.
Seit 2012 arbeiten wir an an dem ausbrannten Haus weiter, wir renovieren die Wohn- und Veranstaltungsräume. Zunächst hatten wir ein bisschen Zeit und Abstand gebraucht, um hier erneut zu bauen. Aber jetzt wir wieder dabei. Auch hier fehlt noch der Umnutzungs-Antrag und bevor wir den stellen können, müssen wir noch viel machen. So langsam fehlt es uns am Geld. Und auch ein bisschen an der Zeit. Aber wir wollen und werden dieses Haus eröffnen und auch wirklich nutzen!
Wer unterstützt euch denn? Wie finanziert ihr zum Beispiel die Häuser und Baumaßnahmen?
Wir haben echt Glück. Wir setzen natürlich auch private Mittel ein. Aber es gibt viel Unterstützung durch unsere Eltern, durch Bekannte und andere private Kontakte. Wir bekommen Spenden oder haben auch schon mehrmals Fördermittel beantragt und erhalten. Sonst könnten wir das gar nicht so weiter machen. Aus dem Kreis um unsere Initiative gibt es auch immer wieder Menschen, die mithelfen, beim Bauen oder Veranstaltungen organisieren.
Eure Eltern haben sogar selbst eine Initiative gegründet oder?
Ja, das „Bunte Bürgerforum Limbach-Oberfrohna“. Das haben sie gemacht, um uns zu unterstützen. Sie haben gesehen, dass wir von der Stadt gar keine Unterstützung bekommen, immer wieder als Täter und Problem behandelt werden und das hat sie so wütend gemacht. Heute engagieren sich im „Bunten Bürgerforum“ aber immer mehr Menschen, das sehen wir auch als Zeichen dafür, dass sich in Limbach etwas verändert hat.
Kannst du das erläutern? Was hat sich in Limbach verändert?
Die letzten zwei Jahre ist es ruhiger geworden. Das liegt zum einen daran, dass Nazikader im Gefängnis sitzen und deshalb für viele kleine Mitläufer auf der Straße einfach die Führungsfiguren fehlen. Andere haben Familien gegründet und sind dadurch ruhiger geworden. Andererseits verhalten wir uns selbst auch anders als früher. Zum Beispiel geht man eben nicht mehr Samstag Abend auf’s Stadtfest, wo Stress eigentlich vorprogrammiert ist, sondern Sonntag Nachmittag, wenn nicht mehr so viele Menschen da sind und alles ruhiger ist. Ich muss auch sagen, dass ich bestimmte Orte einfach meide, wie abends an der Tankstelle lang zu laufen. Da stehen immer Nazis, das muss ich einfach nicht haben. Man lernt halt aus den Angriffen und meidet so große Menschenansammlungen. Und wir haben in den letzten zwei Jahren als Initiative auch nicht mehr so viel gemacht. Das ist auch ein Grund: Immer wenn man was gemacht hat, dann sind die Nazis gekommen.
Auch in der Stadtverwaltung hat sich einiges verändert. Die Zeit um den Hausbrand 2009, das war der Scheitelpunkt. Seitdem wird uns viel besser begegnet. Das Nazi-Problem wird eingestanden und die Stadt hat ein „Netzwerk des guten Willens“ gegründet, in dem sitzen einige Initiativen und die Kirche. Mehr als „guter Willen“ ist das aber leider auch nicht. Es geht hier einzig darum, das Image der Stadt zu verbessern. Und das Netzwerk geht grundsätzlich von dem Extremismuskonzept aus, das Problem wird so eigentlich nicht erkannt. Anstatt einen „Linksextremimus“ zu fantasieren, sollte lieber wirklich etwas gegen die Nazis getan werden – die sind das eigentliche Problem. Da wird jetzt zum Beispiel „Badminton gegen Extremismus“ angeboten oder „Schwimmen gegen Rechts“. Und wer bei solchen Schwimmwettbewerben mit schwimmt, weiß man ja. Unter diesem Extremismus-Konzepte arbeite ich jedenfalls nirgendwo mit.
Bei den Bürgerinnen und Bürgern von Limbach merkt man aber schon, dass sich die Meinung verändert. Es gibt mehr Interesse an uns und unserer Arbeit. Seit 2010 veranstalten wir das „Stay Rebel“ Festival auf dem Markt, da gibt es jetzt schon mehr Besucherinnen und Besucher. Früher war die Distanz viel größer, häufig haben sich Menschen da nicht hin getraut, um nicht mit „solchen“ gesehen und dann in eine Schublade gesteckt zu werden.
Ist in Limbach die Angst vor Nazis so groß?
Das ist ein bisschen beides: die Angst vor der öffentlichen Meinung, man darf ja nicht mit den Schmuddelkindern spielen. Aber auch die Angst vor Nazis.
Ja doch, das ist auch für mich etwas überraschend. Die Friedrich Ebert Stiftung hatte 2012 eine Veranstaltung zu Rechtsextremismus in Limbach gemacht. Da sind erwachsene Menschen aufgestanden und haben erzählt, dass sie Angst vor den Nazis haben, abends nicht mehr auf die Straße gehen wollen oder bestimmte Orte meiden. Das waren ganz normale deutsche, weiße Männer und Frauen! Man kann schon davon sprechen, dass Nazis hier eine rechte Hegemonie aufgebaut haben. Und der Staat hat viel zu lange zugeschaut und auch uns als aktive Zivilgesellschaft und alternative Jugendliche behindert und kriminalisiert.
Ich denke aber, es gibt genug Menschen, die keine Lust auf die Rechten haben. Es gibt immer wieder einzelne Menschen, die nicht mit den Nazis mitziehen. Aber sich auch nicht trauen, den Mund dagegen aufzumachen. Entweder man macht mit oder man bekommt Ärger. Die Rechten sind einfach überall, gerade wenn man weggehen will, und da gibt es in Limbach schon nicht so viele Orte. Sie sind im Jugendhaus, auf den Dorffesten, auch im neuen Jugendclub „Suspekt“. Als der eröffnet wurde, gab es ein Video, in dem der Oberbürgermeister toll erzählt hat, was das für ein wichtiger Schritt für eine vielfältige Stadt ist. Und hinter ihm sind stadtbekannte Nazis zu sehen, die die Wände streichen, also das „Suspekt“ von Anfang an mit aufgebaut haben.
Ich habe gelesen, dass ihr eine Chronik rechter Gewalt in Limbach schreibt, ist das richtig?
Ja das machen wir seit etwa 2009. Es wurde immer wieder angezweifelt, dass wir ein Problem haben, wir wollten aber auch selbst einfach die Entwicklungen dokumentieren und nachvollziehen können. Zeitgleich haben wir angefangen, regelmäßig Ereignisse anzuzeigen, um es auch offiziell zu dokumentieren. Wobei das immer so eine Sache ist. Wenn kein „Heil Hitler“ gefallen ist, dann wird es nicht als politische Tat anerkannt. Auch wenn es eindeutig Nazis waren. Deshalb wird das offiziell total selten als „politisch motiviert“ geführt. Aber wie gesagt ist es in den letzten Jahren auch ruhiger geworden.
Das klingt alles ziemlich furchtbar. Wie könnt ihr so weiterarbeiten? Habt ihr auch Erfolge zu verzeichnen?
(lacht) Naja klar, das ist alles nicht rosig. Aber in den letzten Jahren hat sich doch viel gebessert. Obwohl der Oberbürgermeister uns immer noch ignoriert, hat sich das Verhalten der Stadtverwaltung schon gebessert. Es geht zwar alles langsam und schleppend voran – aber da ändert sich was! Zum Beispiel wurde eine Nazi-Kneipe geschlossen, auch das Bunte Bürgerforum ist angewachsen – die versuchen immer mehr zu machen. Wir haben wieder zwei Häuser, eines gekauft, eines gemietet. Und ich bin mir sicher, dass wir es bald schaffen, einen alternativen Freiraum in Limbach zu etablieren. Dann sind wir auch für jüngere Leute wieder offener, können Nachwuchs finden. Klar, wenn ich so an die Mittelschulen denke, da sehe ich nur rechte Jugendliche, aber es gibt immer welche, die Nein zu Nazis sagen wollen!
Denkst du, dass es einfacher wäre, in einer Großstadt als im ländlichen Gebiet Arbeit gegen Nazis zu machen?
Im Grunde ja. In großen Städten gibt es viel mehr interessierte Menschen, weniger sozialen Druck und einfach auch mehr Freiräume. Wie Kleinstädte sind, sieht man ja gerade in Schneeberg.
Aber im ländlichen Raum, da sind die Nazis oft in der Vormachtstellung und hier ist es wesentlich wichtiger, was zu machen. Wenn wir alle wegziehen würden, dann wäre das hier eine reine Nazistadt. Dann könnten die machen, was sie wollen. Und es wäre alles nur noch schlimmer als vor 2008, bevor wir angefangen haben zu arbeiten. Wir geben auch nicht auf. Wir bleiben hier, um diese Hegemonie zu brechen und die Stadt für alle lebenswert zu machen!
Das Interview führte Laura Piotrowski.
Bisher in der Reihe zum Thema „Rechtsextremismus im ländlichen Raum“ erschienen:
Raus auf’s Land! Arbeit gegen Rechts in der Peripherie„Wir müssen auf die Volksfeste!“: Strategien für die Arbeit gegen Rechtsextremismus im ländlichen Raum