„Hier“, sagt Jeffrey Heindl. „Und hier. Und hier.“ Der 21-Jährige geht durch das Zentrum von Schwalmstadt und zeigt dabei auf einen Laternenpfahl nach dem nächsten. Die ganze Hauptstraße der nordhessischen Kleinstadt, erklärt der angehende Bademeister, werde regelmäßig zugepflastert mit Neonazi-Aufklebern. Und auch im Umland sehe es nicht besser aus: Der Schwalm-Eder-Kreis südlich von Kassel ist eine der Hochburgen rechtsextremer Aktivitäten in Hessen. Die Flut der bunten Aufkleber mit den braunen Parolen gehört da noch zum Harmloseren.
Drohungen per SMS, Angriffe bei der Dorfkirmes
Wer sich hier als nicht-rechter oder alternativer Jugendlicher versteht, wer Punkrock hört oder auch nur die extrem rechte Propaganda wieder von den Laternenmasten entfernen will, hat einen schweren Stand. Die örtlichen „Autonomen Nationalisten“ der Kameradschaft „Freie Kräfte Schwalm-Eder“ wissen, wer ihre Gegner sind – schließlich wohnt man auf dem Land Dorf an Dorf, wenn nicht Tür an Tür.
„Wir werden beim Einkaufen angepöbelt oder auf dem Weg ins Kino“, erzählt ein 19-Jähriger, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will. Man finde Aufkleber an seiner Haustür oder bekomme Drohungen per SMS. Und wenn sich die Rechten auf einer Dorfkirmes Mut angetrunken hätten, würden sie auch zur Jagd auf ihre Widersacher blasen: vermummt und unverhohlen gewaltbereit. „Wenn ich abends durch die Stadt laufe, wechsele ich schon mal die Straßenseite“, berichtet der Auszubildende. Selbst an einer Gesamtschule, die stolz den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ trägt, seien alternative Schüler mittlerweile in der Minderheit.
„Es reicht“
Die Jugendlichen wissen, dass etwas passieren muss, damit ihre Region nicht noch zur „No-Go-Area“ für Alternative und Ausländer wird. „Es reicht!“, haben sie ihr erstes Flugblatt überschrieben. Verteilt haben sie es im Namen der Antifaschistischen Bildungsinitiative e.V. (Antifa-BI). Der als gemeinnützig anerkannte Verein mit Sitz im mittelhessischen Friedberg, der sich im Untertitel „Die Demokraten“ nennt, will der selbstbewussten rechtsextremen Szene vor allem mit Bildungsarbeit,Seminaren und Informationsveranstaltungen entgegenwirken. Dieses Konzept überzeugte auch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Nordhessen: Im November vergangenen Jahres gründeten sie eine Ortsgruppe.
Mit Aufklärung, ohne Konfrontation
Eigentlich hätten sie zuerst eine klassische Antifa-Gruppe werden wollen, erzählt Jeffrey Heindl, der den Vizevorsitz des Vereins übernommen hat. Aber dann sei ihnen das zu konfrontativ, zu „vorurteilsbehaftet“ erschienen. Und zu groß war ihre Sorge, bei der konservativen Landbevölkerung von vornherein auf taube Ohren zu stoßen. „Wir versuchen, die Region Schwalm – so stur wie die Leute hier auch sind – für das Thema zu interessieren“, erklärt Fachoberschüler Leonhard Meiler. Er ist als 20-Jähriger noch einer der älteren Aktivisten des in doppeltem Sinne jungen Vereins. „Mit einem schlechten Ruf kannst du keine Leute gewinnen.“
Doch genau das ist das Ziel: Aufmerksam machen auf die Umtriebe der Autonomen Nationalisten, Problembewusstsein wecken – und damit weitere Menschen überzeugen, sich für die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus einzusetzen. Dabei sind den Schülern und Auszubildenden das Alter und die politische Orientierung ihrer Mitstreiter nicht so wichtig wie ein deutliches Engagement. Noch in diesem Sommer will der Verein ein breites Bündnis gegen Neonazis in der Region schmieden. Eingeladen werden sollen dazu neben Kirchen und Gewerkschaften auch sämtliche demokratischen Parteien – von der Linken bis zur CDU.
Auf der Agenda stehen aber auch Veranstaltungen, die sich eher an Gleichaltrige richten: Ein Fußballturnier, bei dem der sportliche Wettstreit mit Informationen über die rechtsextreme Szene verknüpft werden soll, ist geplant. Ein großes Konzert gegen Rechts mit neun lokalen Bands ging bereits im Februar über die Bühne. „So voll war es in dem Club vorher schon lange nicht mehr“, freuen sich die Organisatoren. Im kommenden Jahr soll es deshalb sogar ein zweitägiges Open-Air-Festival geben.
Kleine Erfolge
Solche Erfolge machen den Aktivisten der Ortsgruppe Mut. Und auch an ihrem Infostand, den sie schon zweimal im Zentrum von Schwalmstadt aufgebaut haben, bekommen sie gelegentlich ganz besonderen Zuspruch. Einmal, erinnert sich Heindl, sei eine 80-Jährige gekommen. „Die hat gesagt: ,Ich brauche keine Flyer, ich habe das damals alles miterlebt – macht weiter so!'“
Mühsam ist ihr Engagement dennoch, das merken die jungen Antifaschisten fast täglich. Etwa wenn sich ihre Nachbarn sofort über laute Punkmusik beschweren, ein ebenso lautes Abspielen von rassistischen Liedern der Neonazi-Band „Landser“ jedoch tolerieren. Oder wenn sie sehen, dass Rechtsextreme in Dorfvereinen wie Kirmes-Burschenschaft oder Schützenverein ganz selbstverständlich Mitglied sind. Oder wenn sie bei allem, was sie tun, von den Neonazis der „Freien Kräfte Schwalm-Eder“ beobachtet, bedroht, fotografiert werden. „Die fahren regelrecht Patrouille“, sagt Heindl. Und sie seien so straff organisiert, dass sie meist binnen weniger Minuten eine größere Anzahl an Neonazis alarmieren könnten. Mehr jedenfalls als ihre Gegner – noch.
Im Kreistag sitzt auch das rechtsextreme Wahlbündnis
„Da liegt noch viel vor uns“, machen sich die nordhessischen Aktivisten der Antifaschistischen Bildungsinitiative darum keine Illusionen. Zumal sich die rechtsextremen Strukturen im Schwalm-Eder-Kreis nicht auf die „Freien Kräfte“ beschränken. In Schwarzenborn lebt der verurteilte Rechtsterrorist und Holocaust-Leugner Manfred Roeder, dessen Anwesen jungen und alten „Kameraden“ als Treffpunkt dient. In Gilserberg residiert die Familie des US-amerikanischen Antisemiten Roy Armstrong-Godenau, deren Mitglieder in drei Generationen in der extremen Rechten aktiv sind. Bei der hessischen Kommunalwahl 2006 trugen sie maßgeblich dazu bei, dass sich Funktionäre von NPD und Republikanern mit Neonazis aus „Freien Kameradschaften“ zu einer Wahlliste zusammenschlossen. Dieses rechtsextreme „Bürgerbündnis Pro Schwalm-Eder“ erhielt zwar nur 1,6 Prozent der Stimmen, aber auch das reichte für einen Sitz im Kreistag.
Dennoch kommt es für die Jugendlichen nicht in Frage, die Region zu verlassen.“Wir wollen hier bleiben“, sagen sie.