Es war ein beispielloser Gewaltexzess, der sich am Neujahrsmorgen 2007 in einer Wohnung in Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) abspielte. Die Brutalität, an deren Ende ein Toter stand, richtete sich aber nicht ? wie sonst häufig in der Hansestadt im Norden – gegen politisch Andersdenkende oder Migranten, sondern gegen einen 30-jährigen Familienvater aus der rechtsextremen Szene. Unter den sechs Tätern waren fünf Aktivisten der militanten Neonaziszene aus Wismar, darunter zwei ehemalige Angestellte des Neonaziladens „Werwolf-Shop? in der Wismarer Innenstadt.
Hakenkreuzfahne, Hitlerbild und ein „unbekannter Toter?
Den Jahreswechsel feierten viele Anhänger der für ihre Militanz bekannten rechtsextremen Szene in Wismar in dem sogenannten „Werwolf ?Club?. Ein Teil der „Festgesellschaft? beschloss dann, im privatem Rahmen in einer Wohnung weiterzufeiern. Einen Tag später erschien der Wohnungsinhaber in Begleitung seines Rechtsanwalts auf dem Wismarer Polizeirevier. Dieser berichtete den Beamten von einem „unbekannten Toten? in der Wohnung seines Mandanten. Als die Ermittler der Mordkommission vor Ort eintrafen, fanden sie eine aufgeräumte saubere Wohnung vor. Wären da nicht der ?unbekannte Tote? sowie einschlägige Devotionalien der rechten Szene ? beispielsweise eine Hakenkreuzfahne im Wohnzimmer, ein Bild des NS-Kriegsverbrechers und Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess und Rechtsrock-CDs ? in der gesamten Wohnung verstreut gewesen, hätte es sich um eine ganz normale Wohnung in einem ganz normalen Wohngebiet handeln können. Nichts deutete auf den ersten Blick darauf hin, dass kurz zuvor in der Wohnung eine wilde Party oder gar eine Gewaltorgie stattgefunden hatte.
Der Wohnungsinhaber machte zunächst auch keine weiteren Angaben. Zwei Tage nach dem Leichenfund konnten Polizeibeamte die Identität des Toten aufklären. Es handelte sich um Andreas F., einen 30-jährigen Mann aus Wismar. Auch er ist Anhänger der rechtsextremen Szene. Für die Ermittler stand schnell fest, dass es sich um „eine äußerst brutale Tat? im Milieu der extremen Rechten gehandelt hatte. Bis auf den damals 17-jährigen Sohn eines der Mittäter gehörten alle Tatbeteiligten zur Neonaziszene in Wismar.
Stundenlange Misshandlungen
Mühsam fügten die Beamten Puzzlestück um Puzzlestück zusammen, um die letzten Stunden von Andreas F. zu rekonstruieren. Nach vier Tagen nahmen sie die sechs am Tatabend in der Wohnung versammelten Neonazis fest und kamen zu folgendem Ergebnis: Als sich der Alkoholvorrat am Neujahrsmorgen dem Ende entgegen neigte, orderte man Nachschub bei einem Getränke-Service. Andreas F., das spätere Opfer, begleitete den Betreiber des Getränke-Service zur Wohnung. Dort kam es zum Streit zwischen dem 17-jährigen Sohn des Wohnungsinhabers und dem später Getöteten. Ein erstes Handgemenge folgte.
Der Getränkehändler verließ die Wohnung und ließ Andreas F. alleine zurück, der zu diesem Zeitpunkt bereits stark blutend am Boden lag. Dann wurde der Vater eines Kleinkinds über viele Stunden lang mit Schlägen, Ellenbogenstößen und Fußtritten malträtiert. Am Nachmittag des Neujahrstages lag Andreas F. schwer blutend immer noch am Boden der Wohnung. Als es dem Wohnungsinhaber nicht gelang, das viele Blut wegzuwischen, war er darüber offenbar wütend, dass er mit einem Brotmesser auf den schon im Sterben liegenden Andreas F. einstach und ihn mit mehreren Stichen in den Oberkörper und die Kehle tötete.
Fast neun Monate lang wurde der so genannte „Neujahrs-Mord? vor dem Landgericht Schwerin verhandelt. Am 28. Mai 2008 verkündete das Gericht nun die Urteile. Der Wohnungsinhaber Henning W., erhielt wegen Mordes aus niederen Beweggründen eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten. Allerdings berücksichtigte das Gericht bei ihm und seinen Mitangeklagten eine stark verminderte Schuldfähigkeit infolge des reichlich konsumierten Alkohols. Zwei ehemalige Angestellte des „Werwolf-Shops? wurden zu Freiheitsstrafen von je sechs Jahren verurteilt. Der zum Tatzeitpunkt 17-jährige erhielt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Darin eingerechnet ist eine Haftstrafe von acht Monaten aus einer früheren Verurteilung wegen diverser Körperverletzungen. Sein mehrfach vorbestrafter 38-jähriger Vater, der derzeit eine andere Haftstrafe verbüßt, muss für weitere fünf Jahre und sechs Monate hinter Gitter.
Gewalt in der Neonaziszene
Gewalt unter Rechtsextremisten gehört zum Alltag der Szene, allerdings erfährt die Öffentlichkeit nur in Ausnahmefällen davon. So erstachen im April 1997 zwei Berliner Neonazis den Anführer der ?Kameradschaft Wittenberg? und dessen Begleiter nach einer Hochzeitsfeier unter Kameraden. Angebliches Motiv: Ein im Streit um das Gründungsdatum der verbotenen „Freiheitlichen Arbeiterpartei“ (FAP). Und im März 2003 misshandelte der Greifswalder NPD-Aktivist und langjährige Neonazikader Maik Spiegelmacher gemeinsam mit drei anderen Neonazis einen vermeintlichen Szeneaussteiger über Stunden in einer Wohnung. In den streng hierarchischen Strukturen werden oft schon kleine vermeintliche Verfehlungen mit Gewalt geahndet.
Neben der Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls führen die Gewalttätigkeiten untereinander auch zur Festigung der Hierarchien. Oftmals sind es auch die in der Hierarchie ganz unten Stehenden, die durch Gewalttaten ihre Position in der Neonazi- Szene stärken wollen und daraus, insbesondere dann, wenn sich die Gewalt gegen vermeintlich Schwächere richtet, ihr Selbstwertgefühl schöpfen. Der Sozialwissenschaftler Michael Kohlstruck bezeichnet rechtsextreme Gewalt dann auch einerseits als aggressive Selbstdarstellung des Einzelnen, aber auch gleichzeitig als Ausdruck einer politischen Haltung.