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Wo der Führer gefeiert wurde

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Von Andreas Speit

Wo es hinauf geht auf den Bückeberg, ist schon von weitem zu sehen. Was heute ein Feldweg ist, war einmal eine Jubelstrecke: Für die 800 Meter bis zur Ehrentribüne brauchte Adolf Hitler einst gut eine Dreiviertelstunde. Immer wieder, so ist es bezeugt, musste „der Führer“ auf die begeisterten Massen zugehen: sich von Frauen anfassen lassen, Männern die Hände reichen und von Kindern Blumensträuße entgegen nehmen. Noch heute, mehr als 70 Jahre später, wird vom „Führerweg“ gesprochen.

Mehr als eine Millionen Teilnehmer

Zwischen 1933 und 1937 kamen hier in der Nähe von Emmerthal im heute niedersächsischen Landkreis Hameln bis zu einer Million Menschen zu „Reichserntedankfesten“ zusammen. „Die Reichserntefeste zählten zu den größten regelmäßig stattfindenden Massenveranstaltungen der Nationalsozialisten“, sagt der studierte Theologe und Historiker Bernhard Gelderblom. „Die Attraktion war Hitler.“ Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der frühere Lehrer aus Hameln mit der braunen Vergangenheit der Region. Seine Wanderausstellung „Die Reichsdankfeste auf dem Bückeberg“, die auch schon auf dem Obersalzberg gezeigt wurde, hat jetzt zu einer erneuten Beschäftigung mit den Ritualen am Bückeberg geführt.

„Momentan wird keine Entscheidung angestrebt“, sagt Jenny Sturm, stellvertretende Pressesprecherin des niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Sie meint damit die unter anderem durch Gelderblom angestoßene Frage, ob das rund 25 Fußballfelder große Gelände nicht unter Denkmalschutz gehöre. „Der aktuelle Sachstand ist, das es keinen aktuellen Sachstand gibt“, sagt sie. Auf einer Fachtagung im Jahr 2002 war dagegen befürwortet worden, das Areal zu schützen: Es sei „ein Denkmal von hohem Rang“, sagt Henning Hassmann vom Landesamt für Denkmalpflege. Von einem „zentralen Ort für die Nationalsozialisten zur positiven Selbstdarstellung“ spricht auch Rolf Keller von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten: Albert Speer höchstselbst gestaltete das Gelände am Bückeberg, um in vermeintlich natürlicher Umgebung den Führer mit dem Volk verschmelzen zu lassen. 2006 erneuerte das Landesamt den Denkmalschutzantrag dann gegenüber dem Ministerium – ohne Erfolg. Andreas Grossmann, der sozialdemokratische Bürgermeister von Emmerthal bestätigt: „Die Empfehlung gab es. Aber dann zog das Ministerium die Entscheidung an sich. Seitdem ist nichts passiert“.

Zentraler Ort der NS-Selbstdarstellung

Noch heute finden sich auf der heute unscheinbaren Wiese Fundamente der oberen von zwei Tribünen, auf der etwa 3.000 Personen Platz nehmen konnten. Von unten stieg Hitler mit seiner Entourage durch das Volk nach oben, wo er die Erntekrone entgegen nahm.

„Der Weg war das zentrale Ritual“, sagt Gelderblom. Während bei den monumentalen Feiern auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände die heroische Einsamkeit des Führers inszeniert wurde, zelebrierte das Regime hier auf dem Bückeberg, im Bergland der vermeintlich „urdeutschen“ Weser, den „Volkskanzler“ – 1935 fragte so auch Hitler selbst rhetorisch: „Wo ist der Staatsmann, wo ist das Staatsoberhaupt, das so durch sein Volk gehen kann, wie ich durch euch hindurchgehe?“

Früh morgens begannen die Feiern. Den Festplatz hatte Speer als bäuerliches Volksfest gestaltet, gesäumt wurde er durch Hakenkreuzbeflaggung. 1933 kamen 500.000 Menschen zum Bückeberg. Sie seien von weit her angereist, sagt Geldermann, und anders als bei anderen NSDAP-Veranstaltungen seien es eben nicht nur Parteigenossen gewesen. Gut 1,2 Millionen Volksgenossen zog es gar im Jahr 1937 zum Fest. Eigene Sonderzüge der Reichsbahn wurden eingesetzt, stundenlang marschierten Kolonnen im Gleichschritt zum Berg, um dort geduldig zu warten. Man sang völkische Lieder, führte Volkstänze auf. „Und dann Bückeberg“, schwärmte Reichspropagandaminister Josef Goebbels 1936 in seinem Tagebuch: „Ein ergreifender Zug den Berg herauf.“ Über den Auftritt Hitlers heißt es an gleicher Stelle: „Die Bauernleute umarmen ihn fast. Er ist unser aller Abgott.“

Ungebrochene Begeisterung

Gelderblom hat auch Stimmen aus „dem Volk“ dokumentiert: So schwärmte eine Bäuerin über die Begegnung mit dem „Führer“: „Wenn er an dir vorbeigeht, ist es, als wenn Jesus einen anguckt.“ Das „Bad in der Menge“ erweiterte Reichspropagandaminister Goebbels 1937 gar mit einem nachgestellten Gefecht: „Die Schlacht der Zukunft“ war das Spektakel überschrieben, während dessen ein eigens aus Holz errichtetes „Bückedorf“ sowie eine Weserbrücke vernichtet wurden – durch Flieger und Artillerie.

Bis heute sei der Ort bei vielen „positiv besetzt“, sagt Bürgermeister Grossmann. „Manche bekommen noch glänzende Augen wenn sie davon sprechen.“ Gelderblom zufolge waren drei von fünf Teilnehmern der Erntedankfeiern weiblich: „Der gewaltige Mobilisierungserfolg gründet sich auf dem Versprechen eines großen Erlebens.“ Auf dem Bückeberg habe der Nationalsozialismus seinen „schönen Schein“ inszeniert. „Diese ästhetische Verführung, das Verschmelzen zur Masse und mit dem Führer ist hier gerade das Besondere, das geschützt und aufgearbeitet werden muss“, sagt auch Denkmalschützer Henning Hassmann. Unter Historikern sei es inzwischen Konsens, neben den „Orten des Schreckens“ auch die „Orte des schönen Scheins“ des nationalsozialistischen Regimes zu erhalten. In der Gemeinde, räumt Bürgermeister Grossmann ein, habe lange breiter Widerstand gegen den Denkmalschutz für das Gelände geherrscht. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Rat nie, allerdings wurde zeitweise erwogen, dort ein Neubaugebiet auszuweisen. Heute bestehe aber eine Bereitschaft zum Dialog.

Im Ministerium scheint indes kein Wandel einzusetzen: „Es besteht die Gefahr einen Wallfahrtsort für Neonazis zu schaffen“, sagt Sprecherin Sturm. Und diese Gefahr hält man offenbar für größer als den möglichen Nutzen. Hassmann sieht das anders. Wie auch Rolf Keller von der Gedenkstätten-Stiftung betont er, dass keine Gedenkstätte und kein Dokumentationszentrum je zu einem Ziel für alte und neue Nazis geworden sei. Auf ein Ja zum Denkmalschutz hofft auch Bernhard Gelderblom: Auf keinen Fall aber könne der gegen die Gemeinde durchgesetzt werden.

Dieser Artikel erschien erstmals am 13. Juni 2008 in der Regionalausgabe Nord der tageszeitung und wurde uns freundlicherweise vom Autor zur Verfügung gestellt.

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