Im Rahmen der Aktion ?Worte gegen Rechts? des Verbandes deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen („VS in ver.di„) finden dieses Jahr Lesungen, Plakationen und weitere Veranstaltungen statt. Auf der Leipziger Buchmesse werden die ersten Lesungen gehalten. Schriftstellerinnen und Schriftsteller werden sich vom 15. Bis 17. März gegen Rassismus und Nazis positionieren. Am Freitag, den 16. März um 16.30 Uhr lesen Adel Karasholi, Titus Müller und Denis Scheck und am 17. März um die gleiche Zeit Daniela Danz, Tanja Kinkel, Regine Möbius und Feridun Zaimoglu.
Auch Tanja Kinkel, 43, ist mit von der Partie. Die gebürtige Bambergerin ist seit 1988 erfolgreiche Autorin. Ihr Engagement richtet sich gegen jede Form der Voreingenommenheit Menschen gegenüber die als anders wahrgenommen werden oder anders sein wollen, als „wir“.
Ihr aber lernet
„Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert
Und handelt, statt zu reden noch und noch.
So was hätt einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Daß keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
Diese Schlußworte aus Brechts Stück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ sind heute aktueller denn je. „Nie wieder“ schwört sich leicht, und viele von uns tun es, während wir die Erfahrung des Dritten Reiches in die sichere Entfernung von Museen, Gedenktagen und Filmen stecken. Wir versichern uns wieder und wieder, daß unsere Generation nicht zu gleichen Taten imstande wäre, und sind nur leicht verunsichert, wenn Nachrichten wie die von den Zwickauer Nazimorden es bis in die Medien schaffen, oder wenn, wie vor mehr als einem Jahrzehnt, Asylantenheime brennen, während viele in der zuschauenden Menge applaudieren.
Das sind nicht wir, beschwören wir dann. Das sind einzelne Verrückte, die mit unserer Gesellschaft als solcher nichts zu tun haben. Und während wir uns noch gegenseitig mit solchen Aussagen beruhigen, übersehen wir, was doch einer der wichtigsten Lektionen des Dritten Reiches hätte sein sollen: daß es nicht von „Verrückten“ getragen und ermöglicht wurde, nicht von ein paar wenigen knapp diesseits des ständigen Nervenzusammenbruchs stehenden Gewalttätern, sondern von einer Menge biederer Bürger, die sich gewiß als gute und verantwortungsbewußte Väter und Mütter, als ehrliche Menschen sahen. Ich weiß noch, als ich zum ersten Mal mit einer Nationalsozialistin sprach. Das war keine glatzköpfige Irre. Es war eine im übrigen sehr hilfsbereite, gesellige alte Dame, die ganz beiläufig meinte, als sie von ihren Gesundheitsproblemen redete, wie es nicht nur alte Menschen gerne zu tun pflegen: „Mein Zahnarzt ist Jude, aber das macht mir gar nichts aus.“
Das Wort von den „Ewiggestrigen“ fliegt uns so schnell zu. Aber es waren keine über Siebzigjährigen, die bei einer öffentlichen Debatte, die Thilo Sarrazin nach Erscheinen seines Buches in München führte, jedes Mal buhten und zischten, wenn seine Diskussionsgegner den Mund auftaten. Es waren keine Angehörigen der Kriegsgeneration, die mit der größten Selbstverständlichkeit davon ausgingen, daß ermordete Türken und Griechen wohl durch einen Bandenkrieg unter Migranten ums Leben gekommen sein mußten, die Toten im Nachhinein zu Kriminellen machten, und ihre Familien zu Verdächtigen. Es waren keine Schulkinder zwischen 33 und 45, die der Tochter einer gleichaltrigen Freundin von mir das Leben zur Hölle machten und dazu auch den Umstand benutzten, daß sie, um sich der fürchterlichen Terminologie des Dritten Reichs zu bedienen, Halbjüdin ist. Es waren Lehrer im Hier und Heute, die dabei nicht einschritten.
Brechts Freund, der Schriftsteller Lion Feuchtwanger, schrieb einmal: „Die dumpfe Stierwut gegen alles Neue, die sich Sinn für Tradition nennt, die ist nicht mehr harmlos. Langsam überwuchert sie alles andere.“ Er schrieb das über seine sehr geliebte Heimat Bayern im Jahr 1930, und ich würde gerne sagen, daß der Satz heute nirgendwo mehr in Deutschland zuträfe, aber ich kann es nicht. Damit meine ich nicht, daß wir eine zweite Weimarer Republik sind. Wenn man wie ich regelmäßig durch die Historie wandert, lernt man sehr schnell, keine Eins-zu-Eins-Parallelen zu ziehen, nur, weil sie sich rhetorisch gut machen. Jede Epoche ist für sich einzigartig, und wir sind nicht unsere Großeltern. Aber das macht uns noch lange nicht zu Menschen, die sich um systematisierten Fremdenhaß und seine tödlichen Auswirkungen keine Sorgen zu machen brauchen, und ihn flugs als Randerscheinung abtun können, die mit „uns“ nichts zu tun haben.
In dem mittelalterlichen Theologieverständnis war einer der sieben Todsünden „acedia“, was sich noch am ehesten mit „Trägheit des Herzens“ übersetzen läßt, oder, um einen vereinfachten Begriff zu gebrauchen, „Gleichgültigkeit“. Wegschauen, Ignorieren gehört definitiv dazu. Der deutsche Philosoph Joseph Pieper sah in „Acedia“ den Umstand, daß „der Mensch sich dem Anspruch versage, der mit seiner eigenen Würde gegeben ist.“
Die Würde des Menschen, heißt es in unserem Grundgesetz, ist unantastbar. Damit das so bleibt, dürfen wir uns nie in unsere postmoderne Selbstgefälligkeit, das „wir sind ja so anders“ sinken lassen. Wenn wir hören, wie jemand, Kind oder Erwachsener, die Würde eines anderen Menschen angreift, sei es durch Schimpfworte oder rassistische Scherze, dann dürfen wir das nicht als etwas abtun, was uns nichts angeht. Denn das tut es. Wenn es uns wirklich ernst ist mit dem „nie wieder“, wenn das nicht einfach nur ein Lippenbekenntnis für Gedenkstätten sein soll, dann geht es uns sehr wohl etwas an. Natürlich ist keiner von uns ein Hellseher, der weiß, wann ein Mörder zur Waffe greift, um aus Haß Menschen zu töten. Aber wenn einem Kind vermittelt wird, daß es einen anderen Menschen allein aufgrund eines Vorurteils hassen kann, das können wir alltäglich um uns sehen und sehr wohl versuchen, es zu verhindern. Wenn sich Parteien organisieren, die Haß predigen, dann können wir sehr wohl sagen: nein. Nicht in unserer Stadt. Wenn ein Politiker glaubt, Stimmen mit dumpfen Stammtischparolen gewinnen zu können, dann können wir ihm – oder ihr! – beweisen, daß sie unrecht haben.
Mein Metier ist das geschriebene Wort, also habe ich noch eine weitere Option. Die Geschichten, die ich erzähle, sind in sich höchst unterschiedlich, spielen zu den verschiedensten Zeiten, einschließlich der Gegenwart, und die Figuren, die ich schildere, haben oft auch ihre eigenen Vorurteile. Nicht nur die Schurken, auch die Helden. Aber das eben ist der springende Punkt für mich: Menschen in ihrer Dreidimensionalität zu schildern, ihren Stärken und Schwächen. Denn ich hoffe und glaube, daß blinder Haß nur dann möglich ist, wenn man aufhört, Menschen als Individuen zu sehen, und beginnt, sie in Schubladen einzuordnen, um sie so hassen oder ignorieren zu können. Man muß an sich selbst Vorurteile wahrnehmen, um sie bekämpfen zu können. Man muß bereit sein, sie nicht nur in Menschen zu erkennen, die man ohnehin verabscheut, sondern sich der Möglichkeit stellen, daß auch Menschen, die man in anderen Dingen mag und bewundert, solche Vorurteile haben und vielleicht sogar zu ihrer Systematik beitragen.
Vor allem aber darf man einem nie den Vorzug geben: der Trägheit des Herzens. Gleichgültigkeit. Acedia.
Charles Dickens hat einmal einen Roman damit begonnen: „Ob ich der Held meiner Geschichte sein werde, oder ob dereinst ein anderer diese Stelle einnehmen wird, weiß ich nicht.“ Niemand weiß das. Niemand kann das bestimmen. Aber eines können wir verhindern, eines dürfen wir nie sein: der Gleichgültige in der Geschichte, derjenige, der wegschaut.
Lassen Sie uns handeln. Im Hier und Jetzt.
Copyright Dr. Tanja Kinkel
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Termine:
Am Freitag, den 16. März um 16.30 Uhr lesen Adel Karasholi, Titus Müller und Denis Scheck
Am Samstag, den 17. März, lesen ebenfalls um 16.30 Uhr Daniela Danz, Tanja Kinkel, Regine Möbius und Feridun Zaimoglu.
Mehr im Internet:
| www.tanja-kinkel.de
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