Wie in Teil 1 dieser Analyse beschrieben, wünschen sich Akteure der selbsternannten „neuen“ Rechten wie Götz Kubitschek, Martin Sellner, Benedikt Kaiser oder Jürgen Elsässer für Herbst und Winter möglichst viele Krisen, damit es endlich zum „Systemsturz“ komme – also: Schluss mit der Demokratie.
Auf dem Weg dahin, so ist sich die selbsternannte „Elite“ einig, gilt es, Opfer zu bringen – bis zu „ganzen Volksteilen“.
Von Querfront zur Volksfront
Doch wie soll der Protest auf der Straße getragen werden? Der heimliche AfD-Vorsitzende Björn Höcke hatte schon in seinem Buch „Nie zweimal in den selben Fluss“ erläutert, er hoffe auf die Querfront, eine „Volksopposition“, „Widerstandskoalition“, die „ihre Hauptbasis in den Mittelschichten des Bürgertums habe. Auch Jürgen Elsässer träumt von einer Art Querfront, denn „Linksnationale und Rechtsnationale können zusammen ein Verbrecherregime destabilisieren, selbst wenn sie nicht zusammenarbeiten“, so Elsässer. In Bezug auf die in der extremen Rechten sehr beliebten Sahra Wagenknecht erhofft er sich durch sie eine Parteineugründung: „Deshalb mein großer Wunsch: Sahra, leg los! Und bitte gründe den neuen Verein nicht basisdemokratisch (…) Du musst der Chef sein, alle anderen müssen sich unterordnen“.
Ein anderer Hoffnungsträger der extremen Rechten für vermeintliche Querfrontproteste ist Anselm Lenz. Mit Beginn der Pandemie organisierte er auf dem Rosa-Luxemburg-Platz sogenannte Hygienedemos gegen die Corona-Maßnahmen. Den Protest framte er als links, aber dieser war von Beginn offen für bis ganz rechts. Die von ihm mitherausgegeben Protestzeitung “Demokratischer Widerstand” wurde schnell zu einem Querfrontorgan, indem verschiedene Köpfe der “neuen” Rechten publizieren. Erst Ende Juli trat Lenz auch beim Sommerfest des IfS auf, Ende August ist er gemeinsam mit Martin Sellner, dem Kopf der „Freien Sachsen“ Martin Kohlmann, den Landtags- bzw. Bundestagsabgeordnete der AfD, Hans-Thomas Tillschneider und Robert Farle, dem neurechten Autoren und Sozialwissenschaftler Manfred Kleine-Hartlage und selbstverständlich Jürgen Elsässer Redner bei „Compact-Sommerfest“.
„Wir müssen kämpfen, wir werden gewinnen“
Um das neurechte Umfeld ideologisch zu schulen und auf den kommenden Aufstand vorzubereiten führt Götz Kubitscheks „Institut für Staatspolitik (IfS)“ schon seit Jahren „Akademien“ vor allem für junge Menschen durch und veröffentlicht im hauseigenem Blog, Youtube-Kanal und Verlag die (theoretischen und strategischen) Grundlagen für den anvisierten Kulturkampf. Der hauseigene Verlag Antaios versucht aber aktuell auch mit Buchveröffentlichungen, Kapital aus der Debatte um einen #Wutwinter zu schlagen. Zwei Bücher des Verlages sollen sogar als Blaupausen fungieren für die Krise und den angestrebten Systemsturz. Sie setzen aber unterschiedliche Akzente und widersprechen sich teils im Hinblick auf die Analyse des Jetzt. Der große Dissens herrscht über die Frage, wie nah man vor dem Kipppunkt, dem Zusammenbruch des liberalen Systems, stehe.
Bereits letzten Herbst erschien das Buch „Systemfrage. Vom Scheitern der Republik und dem Tag danach“ des für Antaios Verhältnisse Bestseller-Autors, dem Sozialwissenschaftler Manfred Kleine-Hartlage. Vermeintlich ganz frisch erschienen ist das Buch “Mut – oder wie man einen Kulturkampf inszeniert” von François Bousquet, Chefredakteur der französischen neurechten Zeitschrift Éléments, nämlich in diesem August. Kubitschek preist es als “Anleitung für die kommenden Monate” an, obwohl das Buch im Original bereits 2019 erschien. Kubitschek bewirbt es kämpferisch: „Wir haben uns für den Kulturkampf entschieden, wir führen ihn gegen einen müde und fett gewordenen Gegner. Wir müssen kämpfen, wir werden gewinnen.” Um zu siegen, seien daher neben Askese und Kosumdistanz auch soldatische Werte von Befehl und Gehorsam unabdingbar. Bousquet formuliert diese “soldatischen Werte” so: “Seid bereit, eure Bequemlichkeit, eure Gewohnheit, eure üblichen Reaktionen aufzugeben, seid bereit, dorthin aufzubrechen, wo man euch zu gehen befielt”. Der Autor beschreibt Konzepte, wie die extreme Rechte die kulturelle Hegemonie erreichen kann, denn von dieser sei man noch weit entfernt. Wie weit, sei schwer zu sagen, so Bousquet. Das sieht der Autor des zweiten Buches für den „heißen Herbst“ von rechts ganz anders. Er sieht den angestrebten Kipppunkt, den Systemsturz, nahezu unausweichlich kurz bevorstehend.
Systemsturz durch Putsch der Generäle oder Volksaufstand
Aber auch er ist sich sicher, der Systemsturz passiert nicht von alleine. Es müsse etwas nachgeholfen werden, so Kleine-Hartlage. Er beschreibt unterschiedliche Szenarien, wie nachgeholfen werden könnte: Die Personalie Hans Georg Maaßen, die es zumindest vorrübergehend an die Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz geschafft habe, ist für ihn ein Beleg, dass es in führenden Position des Staates etliche Personen aus einem Milieu gibt, „aus dem sich bereits im Dritten Reich der konservative Widerstand rekrutierte“. Solchen Menschen sind Widerstandshandlungen zuzutrauen, wie das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 bewiesen habe.
Kleine-Hartlages Erwartungshaltung ist deshalb eindeutig: „unter der Maßgabe des Grundgesetzes sind Soldaten und Polizisten dabei nicht nur berechtigt, einem verfassungsfeindlichen Regime Widerstand zu leisten (…), sie sind durch ihren Dienst- beziehungsweise Fahneneid dazu verpflichtet“, so Hartlage. Für ihn steht außer Frage, dass die politische Klasse „die verfassungsgemäße Rechtsordnung der Bundesrepublik aus den Angeln gehoben hat“. Somit scheinen für ihn jetzt Soldat*innen und Polizist*innen verpflichtet zu handeln.
Sollte das aber nicht geschehen, hofft er auf den Aufstand der Bürger*innen. Denn jede größere Demonstration können in einem Aufstand münden, wo sich dann die Polizei entscheiden müsse, “ob sie allen Ernstes auf das eigene Volk schießen würden, um eine Regierung zu verteidigen, an deren Kompetenz und Legitimität, ja sogar Legalität sie selbst schwerste Zweifel hegen“. Während Bousquet noch einen längeren, anstrengenden Weg zur Machtübernahme vor der „neuen“ Rechten wähnt, scheint für Kleine-Hartlage die Zeit gekommen, um kurzen Prozess zu machen. Aber die „neue“ Rechte macht sich selbstverständlich nicht nur Gedanken, wie die jetzige Ordnung beseitigt werden kann, sondern selbstverständlich auch, wie eine neue Ordnung aussehen könnte.
Der Tag danach: neurechte Systemvorstellungen
Auch hier wird Kleine-Hartlage in seinem Buch deutlich. Ziel müsse es dann erst einmal sein, u.a. alle Parteien zu verbieten, die dann ehemals Regierende juristisch zu belangen, öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen, große private Medienkonzerne zu enteignen und an Universitäten gewissen Lehrenden den Lehrstuhl zu entziehen und manchen Fachbereich gleich ganz zu schließen. Den skizzierten Systemsturz durch Putsch oder Volksaufstand und Austausch der Elite kommen den Vorstellungen von Björn Höcke wohl sehr nahe. Er ist jedenfalls begeistert vom Buch und findet es schonungslos wie brillant: „Die Melange aus berechtigter Wut über die unhaltbaren Zustände, dem profunden Wissen und der messerscharfen Analyse, die sich in der „Systemfrage“ verdichtet hat, macht sein neuestes Buch jedoch zu etwas ganz Besonderem“, lobt Höcke auf Telegram.
Höckes Krisenprophezeihung: „Leider ein paar Volksteile verlieren“
Die Begeisterung von Höcke für das Buch von Kleine-Hartlage kann nicht verwundern. Schon in seinem eignen Buch „Nie zweimal in den selben Fluß“, beschrieb Björn Höcke eine Situation, die sich viele in der extremen Rechten für den Herbst und Winter herbeisehnen. In menschenverachtender Manier schwadroniert er darüber, dass durch eine schwere, existenzielle Krise „wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach“ sind. „Aber abgesehen von diesem möglichen Aderlaß, haben wir Deutschen in der Geschichte nach dramatischen Niedergängen eine außergewöhnliche Renovationskraft gezeigt“, so der AfD-Politiker. Und Höcke weiter: „Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt, denn die größten Probleme von heute sind ihr anzulasten“. Die erforderliche Renovation steht für ihn im Kontext einer ganzen Geschichtsepoche. Es bedarf der Rückbesinnung auf den „bändigende, ordnende und gestaltende Staat“. Dieser Staat weise dem Volk in einem „klar umrissenen Ordnungs- und Gestaltungsrahmens (zu), innerhalb dessen ein Volk walten und wirken kann“. Das klingt nicht nach freier Entfaltung der Menschen, sondern einer völkisch-autoritären bis faschistischen Staatsvorstellung.
Sehr ähnlich formuliert der Geschäftsführer vom IfS, Erik Lehnert, wie dieser „bändigende, ordnende und gestaltende Staat“ aussehen könnte. Für ihn ist der kleinste gemeinsame Nenner, das politische Minimum, auf das man sich in der Rechten in Deutschland verständigen könne, ein Staat nach dem Vorbild der autoritären, faschistoiden Diktatur in Portugal unter Salazar.
Fazit: Kulturkampf oder Bombe
Für Teile der „neuen“ Rechten scheint es eine nicht nur legitime, sondern auch durch das Grundgesetz angeblich gedeckte Vorgehensweise zu sein, nun eine Bombe ´a la Stauffenberg im Bundeskabinett zu zünden und dann die Macht zu übernehmen. Andere setzen weiter auf den Kulturkampf, da sie den Kipppunkt, wo sie die alte Elite auf welche Form auch immer ersetzen, als noch nicht gekommen sehen. Voraussetzung für beide Szenarien: Eine schwerwiegende Krise, die Menschen müssen leiden, der Verlust von „Volksteilen“ ist bereits eingepreist.
Das alles wird nicht (nur) im Geheimen diskutiert, sondern ganz öffentlich. Es zeigt, wie die Ereignisse der letzten Jahre das Selbstbewusstsein der extremen Rechten gestärkt haben. Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass wirklich alles öffentlich diskutiert wird, welche Vernetzungen es in Politik und Sicherheitsbehörden existieren und was für den Systemsturz und die Zeit danach angedacht ist. Und auch die Ausdauer sollte nicht unterschätzt werden. Während einige ungeduldig werden, können andere warten. Sollte es diesen Winter nicht klappen, bereiten sie sich weiter vor. Denn die nächste Krise kommt bestimmt.
Was tun?
Die extreme Rechte geht allerdings davon aus, dass Straßenprotest jetzt im Herbst und Winter ihr nur nützen, sie diese beeinflussen, wenn nicht gar steuern oder initiieren kann. Die breite Sozialproteste gegen hohe Mieten, für Umverteilung gingen in den letzten Jahren in den Metropolen aber meist von progressiv-demokratischer Seite aus. Auch Sozialverbände und Gewerkschaften sind in ihrer Gänze eher diesem progressiv-demokratischen Spektrum zuzuordnen. Insbesondere im ländlichen ostdeutschen Raum dominieren hingegen erfahrene Politakteur*innen aus der extremen Rechten. Sollte es zu stärkeren Sozialprotesten im Herbst/Winter kommen, ist eher mit einem nach Regionen unterschiedlichen Protestmilieu zu rechnen. Daher wäre es falsch, jeglichen Sozialprotest gleich als von rechts gesteuert zu diskreditieren. Eine demokratische Gesellschaft braucht auch Protest auf der Straße. Dieser muss jedoch demokratisch und solidarisch sein. Dafür gilt es Sorge zu tragen – auch und gerade im Herbst und Winter.
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