Das Künstlerkollektiv „Zentrum für Politische Schönheit“ (ZPS) hat in einer Mahnmal-Installation angeblich Asche von Holocaust-Opfern eingearbeitet. Vor dem Reichstagsgebäude hat die Gruppe einen improvisierten Gedenkort errichtet. Er steht seit Montagmorgen auf dem Gelände der ehemaligen Krolloper, in der die Reichstagsabgeordneten im März 1933 für das Ermächtigungsgesetz stimmten, eine wichtige Grundlage für die Diktatur der Nationalsozialisten. Auch als Warnung an die Unionsparteien vor einer Zusammenarbeit mit der AfD wollte die Gruppe das Mahnmal unweit des Reichtags in Berlin verstanden wissen.
Die Gruppe deutet in ihrer jüngsten provokanten Aktion eine Nachricht von Salman Gradowski an die Nachwelt als einen wortwörtlichen Auftrag an das ZPS. In der Nachricht des ehemaligen Häftlings, der Teil des sogenannten „Sonderkommandos“ von Auschwitz war, heißt es: „Teurer Finder, suche überall, auf jedem Zollbreit Erde. Suchet in der Asche. Die haben wir verstreut, damit die Welt sachliche Beweisstücke von Millionen von Menschen finden kann.“ Man kann Gradowski nicht fragen, ob er damals eine beleuchtet Stehle mit Asche im Sinn hatte. Gradowski fiel als einer der Anführer des Aufstands des Sonderkommandos in Birkenau im Oktober 1944.
Das ZPS schreibt in einem Tweet: „Aufgeschüttet zu Dämmen, in Knochenwäldern und auf dem Grund von Seen liegen die Opfer des deutschen Faschismus. Wir haben sie der Lieblosigkeit entrissen & in die Mitte des Regierungsviertels gebracht“. Das Prinzip Aneignung nutzt das ZPS immer wieder als Mittel für seine Aktionen und zündet zielgenau neue Eskalationsstufen im Selbstüberbietungswettkampf um Aufmerksamkeit. Haben sich die Nachkommen nicht genug um das Andenken ihrer ermordeten Verwandten gekümmert? Oder ist „Lieblosigkeit“ gar eine Umschreibung des industriellen Massenmordes der Nazis? Das ZPS inszeniert den bekannten Fakt, dass die Asche der Ermordeten großflächig in der Natur entsorgt wurde als seine ureigene Enthüllung. Es spricht für eine gewisse Selbstüberschätzung, dass sich das ZPS als Kraft geriert, die angeblich verschüttete Geschichte zu Tage befördert und die Opfer aus der Vergessenheit befreit. Vor allem folgt das Zentrum dem Prinzip: Um unsere Geschichte kümmern wir uns am besten selber. Opferverbände, Stimmen von Jüdinnen und Juden kamen bisher als Teil der Aktion nicht zu Wort. Derweil feiern die ZPS-Fans die „provokante“ Aktion, freilich ohne die Opfer und Hinterbliebene – das ist problematisch. Das Fehlen dieser Koalitionen macht die Aktion zu einem zynischen und selbstreferentiellen Projekt. Im Shop des Zentrums kann man sogenannte „Schwurwürfel“ mit „Bodenproben“ im „Weihnachtspaket“ bestellen – wie gesagt, wir können Herrn Gradowski nicht fragen.
“There’s no business like Shoah business“, hat Eike Geisel gesagt. Fast 90.000 Euro sind laut eigen Angaben bisher für das Projekt gespendet, um es am jetzigen Standort zu verstetigen, indem ein Betonfundament gegossen werden soll. Allerdings ist die Stehle nur bis zum 7. Dezember genehmigt. ZPS nutzt das Crowdfounding als Petition und möchte schnell Fakten schaffen. Es ruft seine Fans nicht nur zum Spenden auf, sondern mobilisiert auch für den Tag der geplanten Bauarbeiten vor den Bundestag zu kommen. Sollte dies gelingen, unterminiert dieses Vorgehen die üblichen langwierigen, demokratischen Prozesse zur Errichtung von Mahnmalen. Aber es geht ja um mehr als eine Baugenehmigung. Das ZPS ist stolz auf seine Erinnerungskultur, sieht sich als einsame Mahner*in und leitet davon Privilegien im öffentlichen Raum und den eigenen Zugriff auf Erinnerungskultur (inklusive auf die Asche der Ermordeten) ab.
Gleichzeitig dient die Asche dem ZPS als Instrument, um vor einer Zusammenarbeit von Konservativen und der AfD zu warnen – einem neuen, möglichen „Ermächtigungsgesetz“. Bisher geht genau das nicht auf. Im Zusammenhang mit der ZPS-Aktion wird der Rassismus, der Antisemitismus und das völkische, antidemokratische Weltbild der AfD in der Presse kaum thematisiert. Obwohl die in der Aktion angelegte historische Parallelisierung dem aktuellen politischen Kommentar des ZPS besonderen Nachdruck verschaffen sollte. Strittig ist sowieso, ob diese Parallelisierung überhaupt treffend ist. Mitunter können die Gründe für die Aktion ganz profan sein: „Es hat einfach noch keiner gemacht“, sagte Lea Rosh dem Spiegel. Man kann nur hoffen, dass dies nicht zur Prämisse in der Beschäftigung mit den Verbrechen Nazideutschlands wird. Das ZPS spielt derweil wie immer auf der Klaviatur der Aufmerksamkeitsökonomie. Weite Teile des Feuilletons sind begeistert – hier kann sich Deutschland wieder beweisen Weltmeister in der Erinnerungsarbeit zu sein. Selbstbeweihräucherung mündet in dem Privileg über die Opfer des NS und insbesondere über die Jüdinnen und Juden zu verfügen. Das Prinzip der künstlerischen Aneignung hat das ZPS durch den paternalistischen Akt der Instrumentalisierung von Opfergruppen abgelöst, dessen erste Funktionszuschreibung darin besteht, eine Lehre für die deutschen Täter zu sein. Dies ist auch der grundlegende Unterschied zur „Halle der Erinnerung“ in Yad Vashem.
Doch ob die Aktion „Sucht nach uns!“ des ZPS das ist was sie vorgibt zu sein, bleibt abzuwarten. Schließlich ist die Künstlergruppe dafür bekannt, dass ihre Aktionen nach einigen Tagen medialer Aufmerksamkeit eine andere Wendung annehmen.
Anmerkung vom 15.01.2020:
Das Salmen Gradowski zugeschriebene Zitat ist verfälscht. Wie kürzlich bekannt wurde, handelt es sich nicht um ein originäres Zitat von Salmen Gradowski, sondern um eine Fälschung, die Gradowski eine Handlung seiner Peiniger unterstellt, die zudem sinnlos wäre, und gegen seine religiösen Überzeugen verstoßen läßt.