Für den 30. April 2022 luden die Kreisverbände der AfD Mainz und Mainz-Bingen zur Eröffnungsfeier des „Bürgerbüro Zentrum Rheinhessen“. Seitdem wird die Immobilie in einem Mainzer Industriegebiet regelmäßig für verschiedenste Veranstaltungen der extremen Rechten genutzt. Was steckt hinter den Räumlichkeiten, in denen sich AfD-Abgeordnete gemeinsam mit Aktivist*innen der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ auf ein Podium setzen? Es drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob der Mainzer Süden nun zum „Schnellroda“ des Westens werden soll.
Bei einem Blick auf die an der Adresse gemeldeten Strukturen erscheint die Frage berechtigt. Auf dem Briefkasten sind die AfD-Kreisverbände Mainz und Mainz-Bingen erwähnt, sowie die Wahlkreisbüros der AfD-Politiker Damian Lohr (MdL) und Sebastian Münzenmaier (MdB), außerdem dient das „Zentrum Rheinhessen“ als Geschäftsadresse der AfD-Landesgeschäftsstelle Rheinland-Pfalz.
Neben der geballten AfD-Nutzung der Immobilie ist noch eine weitere Einmietung interessant: Auf dem Briefkasten ist in großen Buchstaben der Verein „Deutsches Kulturerbe in Rheinhessen“ hervorgehoben. Was auf den ersten Blick harmlos klingt, zeigt bei einem zweiten eine tiefe Vernetzung mit der sogenannten Neuen Rechte, besonders zum „Institut für Staatspolitik e.V.“ in Schnellroda. Zudem wird deutlich, wie sehr die rheinland-pfälzische AfD vom Burschenschaftsmilieu dominiert ist.
Ein extrem rechtes Projekt aus dem Burschenschaftsmilieu der Germania Halle zu Mainz
Die Geschichte des so harmlos klingenden Vereins, „Deutsches Kulturerbe in Rheinhessen“, beginnt im Mai 2017. Sieben Personen kommen damals in Mainz zu einer Versammlung zusammen. Sie treffen sich im Burschenhaus der Burschenschaft „Germania Halle zu Mainz“ in der Mainzer Oberstadt, wie Dokumente belegen, die Belltower.News vorliegen.
Die pflichtschlagende Burschenschaft „Germania Halle zu Mainz“ gehört dem Dachverband „Deutsche Burschenschaften“ (DB) an, der von Expert*innen als in großen Teilen rechtsextrem eingeordnet wird. Die DB sorgte 2011 für Aufsehen, nachdem Mitglieder der „Alten Breslauer Burschenschaft Raczeks zu Bonn“ einen „Ariernachweis“ für Korporierte der DB forderten. Daraufhin spaltete sich der Dachverband, die „Germania Halle zu Mainz“ blieb eine von rund 60 verbliebenen Mitgliedsburschenschaften in der DB.
Auf der Versammlung 2017 in der Mainzer Oberstadt wird die Gründung eines Vereins beschlossen. Ende 2017 wird dieser mit dem Namen „Deutsches Kulturerbe in Rheinhessen e.V.“ mit der Postanschrift Stahlbergstraße 33, der Anschrift des Burschenhauses, in Mainz in das Vereinsregister eingetragen. Der erste dreiköpfige Vorstand besteht damals aus Lothar Mehlhose, Damian Lohr sowie dem neurechten Netzwerker und „rechtsextremen Verleger“ Philip Stein.
Alle drei sind Korporierte in Burschenschaften der DB. Dabei verwundert es auch nicht, dass in der Gründungssatzung unter § 13 Gemeinnützigkeit das extrem Rechte „Institut für Staatspolitik e.V. (IfS)“ um Götz Kubitschek aus Schnellroda als Begünstigte für die Übertragung des Vereinsvermögens bei Auflösung angegeben wird. Mittlerweile wird das IfS vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ geführt. Das IfS bleibt bis Ende 2021 als Begünstigter in der Satzung stehen.
Seinen Zweck sieht der neugegründete Verein „Deutsches Kulturerbe in Rheinhessen“ unter anderem in der Förderung der „wissenschaftlichen Fort- und Ausbildung begabter und charakterlich geeigneter junger Menschen“, klingt erst mal harmlos, doch auch das rechtsextreme IfS verfolgt ganz ähnliche Ziele mit seinen Sommer- und Winterakademien.
Das damalige Vorstandsmitglied Phillip Stein, der der „Marburger Burschenschaft Germania“ angehört, tritt 2015 als Referent bei einer Winterakademie und 2018 bei einer Herbstakademie des IfS auf. Bei den sogenannten Akademien finden für junge extreme Rechte Aktivist*innen ideologische Schulungen statt. Zusätzlich ist Stein der Verleger des neofaschistischen Verlages „Jungeuropa“ und Chef des extrem rechten Kampagnennetzwerks „Ein Prozent“ – ein Knotenpunkt zwischen pseudointellektueller Rechter und Straßenaktivismus. Ins Leben gerufen hat Philip Stein das Kampagnennetzwerk mit Unterstützung von Götz Kubitschek, dem Chef des „Institut für Staatspolitik“. Lothar Mehlhose sitzt dem Altherrenverein der „Germania Halle zu Mainz“ vor und Damian Lohr war, als „Germane“, von 2018 bis 2021 Bundesvorsitzender der „Jungen Alternative (JA)“. Mittlerweile sitzt Lohr für die AfD im rheinland-pfälzischen Landtag und ist dort deren parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion.
Der rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier ist ein weiteres Gründungsmitglied des Vereins. Auch er hat sich dem Lebensbund der „Germania Halle zu Mainz“ verschrieben. Im Herbst 2022 steuerte er für die „Burschenschaftliche Blätter“, die Verbandszeitschrift der DB, einen Beitrag bei. Zum Thema „Freiheit“ beginnt er seine Zeilen mit: „Für uns Burschenschafter ist sie nicht wegzudenken, lautet die Trias doch nicht umsonst: Ehre, Freiheit, Vaterland!“. Der Wahlspruch der DB-Burschenschaften nimmt Bezug auf das Bild einer soldatischen Männlichkeit, welche im burschenschaftlichen Leben geformt wird. Außerdem ist in der „Trias“ der übersteigerte Nationalismus klar zu erkennen.
Schon hier wird deutlich, dass der Verein „Deutsches Kulturerbe Rheinhessen“ ein extrem rechtes burschenschaftliches Projekt zu sein scheint, und enge Überschneidungen zur AfD hat. In diesem Sinne muss der Verein als Mosaik-Stein einer länger angestrebten Strategie zu verstehen sein.
Neurechte Kontinuitäten im Zentrum Rheinhessen
Nachdem es einige Jahre ruhig um den Verein blieb, zog sich 2020 Philip Stein aus dem Vorstand zurück. Nachfolger wurde Alexander Jungbluth, ein weiteres Gründungsmitglied. Der vor kurzem auf Listenplatz fünf gewählte rheinland-pfälzische AfD-Kandidat zur kommenden Europawahl stammt aus dem Milieu der „Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn“ und ist „Bundesbruder“ des Anwalts Matthias Brauer, welcher bei der Vereinsgründung im Burschenhaus in der Stahlbergstraße die Gründungsversammlung leitete. Schon 2016 war Jungbluth im ersten Vorstand des neu gegründeten Stadtverband Mainz der „Junge Alternative (JA)“. Als Gründungsort wurde wiederum die „Mainzer Oberstadt“ veröffentlicht. Der Stadtteil, in dem sich das „Germanenhaus“ befindet.
Ein Jahr später entwickelt sich eine neue Dynamik. 2021 übernehmen mit Stephan Stritter, Andreas Geißler und Carsten Propp eher unbekanntere AfD-Politiker aus der „zweiten Reihe“ den Vorstand des Vereins. In ihrer Ideologie stehen sie den Vorgängern allerdings in nichts nach, sind sie doch alle ehemalige Parteimitglieder der „Republikaner (REP)“. Alexander Jungbluth zieht sich aus seiner vorübergehenden Vorstandstätigkeit ganz zurück und Damian Lohr sowie Lothar Mehlhose treten als Rechnungsprüfer in den Hintergrund. Außerdem ändert sich die Adresse des Vereins. Der Sitz ist nun nicht mehr das Haus der Burschenschaft „Germania Halle zu Mainz“ in der Mainzer Oberstadt, sondern die Adresse des „Zentrum Rheinhessen“ in Mainz Hechtsheim. Jene Adresse, wo die Eröffnungsfeier am 30. April 2022 stattfand.
Aus Dokumenten geht hervor, dass gleichzeitig in Offenbach an der Queich 2021 ein weiterer Verein aus dem Kreis der AfD Rheinland-Pfalz gegründet wurde, der „Friedrich-Schüler-Stiftung e.V.“. Mit der Eintragung dieses Vereins in das Vereinsregister in Landau war es dem Mainzer Vorstand von „Deutsches Kulturerbe Rheinhessen e.V.“ möglich, das „Institut für Staatspolitik e.V.“ als Begünstigte bei Auflösung aus der Satzung zu streichen und stattdessen den Verein aus Offenbach an der Queich einzutragen, welcher unscheinbarer daherkommt.
Wie eng die Vereine aus Offenbach an der Queich und Mainz miteinander verwoben sind, zeigen nicht nur die AfD-Mitgliedschaften. Unter den 16 Gründungsmitgliedern von „Friedrich-Schüler-Stiftung e.V.“ finden sich neben namhaften rheinland-pfälzischen AfD-Politiker*innen auch die Gründer des Mainzer Vereins: Alexander Jungbluth, Sebastian Münzenmaier, Matthias Brauer und Lothar Mehlhose. Letztere beide wurden in den Vorstand des neuen Vereins gewählt – Brauer als stellvertretender Vorsitzender und Mehlhose in Abwesenheit als Beisitzer.
In den durchgeführten Veranstaltungen im Zentrum Rheinhessen zeigen sich die extrem rechten Kontinuitäten. Bereits im August 2022 war der Identitäre Jonas Schick mit einem Vortrag zu Gast. Unter dem Titel „Ökologie von Rechts“ sprach er das identitäre und burschenschaftliche Milieu an. Schick war langjähriger Aktivist der „Identitäre Bewegung“ und verlegt nun das rechte Ökomagazin „Die Kehre“. Im März 2023 nutzte die antifeministische Initiative „Lukreta“ die Räume des Zentrum Rheinhessen. Die Identitäre Reinhild Boßdorf lud zu einem „Weltfrauentag-Symposium“. Iris Nieland (MdL) teilte sich ein Podium mit der IB-Aktivistin Carolina Mehrkens und Carolin Lichtenheld von der AfD Thüringen, die mit dem Landesvorsitzenden Björn Höcke als gesichert rechtsextrem gilt. Reinhild Boßdorf selbst war führende Identitäre und bewegt sich im Umfeld der IB-Nachfolgestruktur „Revolte Rheinland“. Zuletzt wurde die 10-Jahresfeier der JA Deutschland im Zentrum gefeiert, was nochmals unterstreicht, welche Bedeutung die Immobilie für die AfD bundesweit hat.
Mit dem Verein und der Immobilie in Mainz Hechtsheim ist es der neuen Rechten gelungen, ihre Strukturen in Rheinhessen wie auch Rheinland-Pfalz auszubauen. Gleichzeitig haben sie einen Ort geschaffen, der als „Kaderschmiede“ fungieren kann. Vor allem burschenschaftliche Rechte haben einen weiteren Freiraum für Veranstaltungen und gemeinsame Treffen außerhalb ihres Burschenhauses. Der Übergang zur „Identitären Bewegung“ ist fließend. Auch wenn der Verein „Deutsches Kulturerbe Rheinhessen e.V.“ in Mainz nicht die Wirkmacht des „Institut für Staatspolitik“ entfalten wird, so kann es doch als Anziehungspunkt für junge Rechte dienen. Die Verbindungen zu Götz Kubitschek und sein Institut sind über vielfältige Verbindungen ohnehin gegeben.