Überall, wo Flüchtlingsunterkünfte errichtet werden sollen, schießen schnell vermeintliche „Bürgerinitiativen“ aus dem Boden. Sie organisieren „Nein zum Heim“-Demonstrationen, verteilen Propagandaflyer und Hetzen auf Facebook. So auch in Hellersdorf. Am sogenannten „braunen Dienstag“ im Sommer des vergangenen Jahres erschienen auf einer von der Stadtverwaltung organisierten Informationsveranstaltung über eine geplante Flüchtlingsunterkunft über 50 Neonazis. Sie bedrohten People of Color und Menschen, die sich mit ihnen solidarisch zeigten. Einige Neonazis trugen sogar T-Shirts mit dem Datum „22.- 26. August 1992“ – die Tage des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen. Die Abgeordnete der Linken, Petra Pau, informierte den Einsatzleiter der Polizei über die Kleidung. Doch eine Reaktion blieb aus; nicht einmal die Personalien wurden festgestellt. Auch bei dem Einzug der ersten Flüchtlinge in die Hellersdorfer Unterkunft herrschte eine aggressive Stimmung. Es kam zu ersten Übergriffen auf Menschen, die sich mit den Geflüchteten solidarisch zeigten.
Neonazistische Reaktionen auf zivilgesellschaftliches Engagement
So wurde Anfang des Jahres das Auto einer katholischen Seelsorgerin angezündet, die sich im Verein „Hellersdorf hilft“ engagiert. Bekannte Neonazis des „Bürgerbündnis Marzahn-Hellersdorf“ dokumentieren alle Schritte der Flüchtlinge sowie deren Unterstützenden und stellen sogar Bilder ins Netz. Auch Luisa Seydel, Pressesprecherin der Initiative „Hellersdorf hilft e.V.“, sah sich mit Bedrohungen und Mordaufrufen konfrontiert. Auf Facebook wurde die Adresse ihrer Wohnung und Arbeit veröffentlicht. Auf der Seite der vermeintlichen Bürgerinitiative fand sie Beleidigungen, sexistische Äußerungen bis hin zu Morddrohungen. Die Drohungen wurden über 80 Mal geteilt. Hellersdorf sei jedoch nur ein Beispiel „Vorfälle wie diese könnten sich in allen Bezirken rund um eine Flüchtlingsunterkunft ereignen“, so die Einschätzung von Franz Metzger vom Apabiz.
Ein Beispiel: „Hellersdorf hilft“
Die Bedrohung durch Neonazis bestimmt den Alltag der Engagierten von „Hellersdorf hilft e.V“. „Im Vorfeld der Eröffnungsfeier zur Begegnungsstätte LaLoka fragten wir uns, wie wir uns, die Flüchtlinge und den Ort am besten schützen könnten“, berichtet Luisa Seydel. „Mittlerweile schauen wir sogar, wer mit uns die S-Bahn verlässt. Wir machen uns Sorgen“, erzählt sie weiter. Nach den Vorfällen bei Facebook stellte Seydel mit zwei weiteren Engagierten eine Strafanzeige. Im März dieses Jahres lud dann das LKA zu einem vermeintlichen Sicherheitsgespräch ein. Anstatt möglicher Strategien zum Umgang mit rechter Gewalt, erwartete die Engagierten eine Verharmlosung dieser. Gewalttäter seien Betrunkene, ohne politische Motivation. Darüber hinaus seien lediglich Linksextreme, nicht Rechtsextreme, gewaltbereit; der NSU sei nur eine alte Geschichte. Auch die Einschätzung der Polizei über die Lage in Hellersdorf entspricht diesem Bild der Verharmlosung – diese habe sich mittlerweile beruhigt. Eine Beurteilung, die in Anbetracht der rassistischen Vorfälle rund um die Unterkunft vor dem Sicherheitsgespräch staunen lässt. Um nur einen dieser zu nennen: Erst zu Jahresbeginn gab es drei Anschläge mit Feuerwerkskörpern auf die Unterkunft sowie eine Kita, in der sich die Initiative „Hellersdorf hilft e.V.“ regelmäßig trifft.
Luisa Seydel und ihre Mitstreitenden nahmen die Reaktion der Beamten nicht hin und verfassten einen Beschwerdebrief. Die Antwort des LKA: „Auf der Dienststelle wird man sich selbstkritisch mit dem Vorfall auseinandersetzen“.
Alles bloß Einzelfälle?
Auch Bianca Klose, von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin berichtet über ihre Erfahrungen mit dem LKA. Ihr Name stand auf einer „Feindesliste“ des Netzwerks „Nationaler Widerstand Berlin“; einer Gruppe militanter Neonazis. Das LKA schrieb an die Betroffenen einen standardisierten Brief. Der Wortlaut: „Allein durch die Thematisierung Ihrer Person auf der fraglichen Liste ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung“. In Anbetracht der vorherigen Übergriffe auf Personen, die auch auf der Liste standen, erweist sich auch diese Einschätzung als grotesk.
Staatliche Institutionen – Der Umgang mit Engagierten
„Die Politik wünscht sich gesellschaftliches Engagement für Flüchtlinge. Doch wenn Menschen massiv von Neonazis bedroht werden, werden sie von staatlichen Institutionen alleine gelassen“, mahnt Bianca Klose.
Wie ernst zu nehmen sind daher die Worte seitens der Politik? Und wie steht es um die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses für den Bereich der Polizei? Die Empfehlungen sind deutlich formuliert: Eine stärkere Berücksichtigung menschenverachtender Motive bei Taten sowie die Forderung nach der Entwicklung einer „Fehlerkultur“ in Dienststellen. Zur Wachsamkeit mahnt vor allem die zentrale Feststellung: „Die Gefahr des gewaltbereiten Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus wurde auch vom polizeilichen Staatsschutz völlig falsch eingeschätzt“. Klar ist, die Gewalt in Bezug auf Flüchtlingsunterkünfte und Willkommensinitiativen ist nicht mit der Mordserie des NSU vergleichbar.
Dennoch gibt es Parallelen. „Die Polizei verharmlost rechtsextreme Gewalt, schließt einen politischen Hintergrund aus und sucht die Schuld bei den Opfern“, schließt Klose. Nicht selten fallen Sätze wie „damit muss man rechnen, wenn man sich in diesem Bereich engagiert.“
Gründe hierfür sieht Petra Pau auch darin, dass Engagierte oftmals als Linksextreme kriminalisiert werden. Die Debatte über die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus der vergangenen Jahre habe ihre Früchte getragen.
Und nun? Weitermachen!
Engagierte wie Luisa Seydel wünschen sich, dass sie von der Polizei endlich ernst genommen und bei ihrer Arbeit unterstützt werden. Insbesondere die Bedrohungen von Neonazis dürften nicht länger verharmlost werden. Clara Hermann, Berliner Grünen-Abgeordnete ermutigt Engagierte, trotzdem weiterzumachen: „Lasst euch nicht einschüchtern, steht gemeinsam und zeigt euch weiter solidarisch mit Flüchtlingen. Sonst haben die Neonazis gewonnen“. Auch sie fordert dringend eine parlamentarische Kontrolle der Polizei.
Trotz all der negativen Erfahrungen bleibt festzuhalten: Das unerschütterliche Engagement der Anwesenden und ihre Erfolge zeigen, wie wichtig es ist, nicht aufzugeben. Das Verbot des Netzwerks „Nationaler Widerstand Berlin“ konnte nur dank des öffentlichen Drucks zivilgesellschaftlicher Initiativen erreicht werden. Auch eine Begegnungsstätte für Menschen mit und ohne Fluchterfahrung wie LaLoka wäre noch vor einem Jahr in Hellersdorf undenkbar gewesen.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).