Es ist der 27. Januar 2010. Anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz findet in der Zossen, ehemalige Kreisstadt von Teltow Fläming mit 17.500 Einwohnern, eine Gedenkfeier statt. Die Bürgerinitiative ?Zossen zeigt Gesicht? hat eingeladen, etwa 120 Menschen haben sich versammelt, um auf dem Marktplatz vor dem Rathaus der Opfer des Holocaust zu Gedenken und ihre Namen öffentlich zu verlesen.
Es ist aber nicht nur der Gedenktag, der die Menschen in Zossen beschäftigt und bewegt. Viele der Bürger plagen Ängste und sie verspüren Zorn. Denn in der Nacht von Freitag auf Samstag brannte das ?Haus der Demokratie?, das im Stadtzentrum von Zossen gelegen ist. Die Feuerwehr, die ihr Quartier nur wenige Meter daneben hat, konnte das Feuer nicht mehr stoppen. Der Brand zerstörte das ?Haus der Demokratie? komplett und sorgte für mächtige Unruhe in Zossen.
Schnell stand der Verdacht im Raum auf, dass Neonazis der ?Freien Kräfte Teltow-Fläming? mit dem in einem Abstellraum ausgebrochene Feuer zu tun haben könnten. Nicht nur, weil mehrere stadtbekannte Neonazis sich johlend vor dem brennenden Haus fotografiert hatten. Schon in den vergangenen Jahren waren Mitglieder der Initiative kontinuierlich durch Graffitis mit Gewalt bedroht worden. Auch an der Arbeitsstätte des Initiativen-Sprechers Jörg Wanke wurden mehrfach die Scheiben eingeschlagen, das im September 2009 eröffnete „Haus der Demokratie“ bei einem Einbruch mit einem Pulverfeuerlöscher verwüstet worden. ?Wir fangen jetzt wieder einmal bei Null an und trotzdem werden wir nicht aufgeben?, sagte Initiativen-Sprecher Jörg Wanke mit Blick in die Zukunft.
Gedenken an die Opfer der Shoah in Zossen
Wie gespalten Zossen im Kampf gegen Rechtsextremismus ist, zeigt der Internationale Gedenktag der Holocaust-Opfer deutlich, den die Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“ zum Anlass nahm, an regionale Opfer der Shoah zu erinnern. Die Bürgermeisterin Michaela Schreiber (CDU), die der Demokratie-Initiative auch in der Vergangenheit oft kritisch gegenüber stand, stellt für das Gedenken an vor der Tür des Rathauses lieber keinen Strom zur Verfügung.
Schon vor Beginn der friedvollen Veranstaltung gibt es eine Zusammenkunft einer zwanzig Mann starken Gruppe Nazis, die sich auf der anderen Seite des Marktplatzes versammeln. Sie sind teilweise vermummt, haben Trillerpfeifen dabei und skandieren eingeübte Parolen – ?frei, sozial, national? -, während die Namen der regionalen Opfer des Holocausts verlesen werden. Besonders abscheulich wird es, als die Nazis anfangen, „Lüge“ oder „Alles Lüge“ über den Marktplatz zu schreien. Die anwesende Polizei ignoriert diese Volksverhetzung, es folgt keine Reaktion. Selbst nach mehrmaligen Hinweisen von aufgebrachten Bürgern wird die Polizei nicht aktiv.
Rechtsextremen stehen am Marktplatz, stören die Veranstaltung mit „Lüge“-Rufen
Tags darauf sagt Polizeisprecher Wolf auf Anfrage, man befinde sich in der Provinz und nicht in der Großstadt Berlin, und so müsse man gewisse Situationen (gemeint ist die Störung der genehmigten Veranstaltung) anders behandeln. Die Polizei habe alles getan, damit die Gedenkfeier reibungslos und ohne große Störungen vollzogen werden konnte. Schließlich kenne die Polizei ja auch ?alle Nazis aus dem Dorf persönlich?. Und es sei doch schon ein Erfolg an, dass man beide Gruppen voneinander separieren konnte. ?Manchmal muss man eben gewisse Dinge ignorieren, denn Ziel war es, dass die Kundgebung reibungslos durchgeführt werden kann?, so der Polizist weiter, ?im letzten Jahr haben sich die Rechtsextremen noch unter die Kundgebung gemischt.? Außerdem habe kein Polizist ?Alles Lüge?-Schreie vernommen. Es stehe aber jedem Bürger frei, noch im Nachhinein eine Anzeige zu erstatten. Hierbei handele es sich um angemessene ?Objektivität?.
Nach der Gedenkveranstaltung auf dem Marktplatz hatte die Bürgerinitiative ?Zossen zeigt Gesicht? einen Zeitzeugenbericht mit dem Holocaustüberlebenden Karl Stenzel organisiert. Sowohl Karl Stenzel als auch die Menschen im Publikum waren sichtlich mitgenommen von den dreisten und ununterbundenen Störungen der Neonazis ? und der fehlenden Reaktion der Staatsgewalt. Ein Mann sagte: ?Meine Eltern sind im Konzentrationslager hingerichtet worden. Es kann doch nicht sein, dass man die Polizisten auf diese Volksverhetzung hinweist, und die greifen einfach nicht ein, wenn ?Alles Lüge? gerufen wird.?
Nachtrag:
Nach Medienberichten ist der Brandanschlag auf das ?Haus der Demokratie? jetzt den Vermutungen entsprechend aufgeklärt worden: Der 16-jährige Rechtsextreme Daniel S. hat gegenüber der Polizei ein Geständnis abgelegt und auch die rechtsextreme Motivation der Tat eingeräumt. Das ?Haus der Demokratie? war erst im September 2009 eröffnet worden. Es zeigte eine Ausstellung über das jüdische Leben in Zossen, die mit dem Haus abbrannte.
„Damit bestätigt sich aufs Traurigste die Warnung der Bürgerinitiative ‚Zossen zeigt Gesicht‘, die seit Jahren vor der Gefährlichkeit der lokalen Neonazis warnen“, sagt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, „jetzt kommt es darauf an, die Mitglieder der Bürgerinitiative durch Unterstützung zu ermutigen, ihre wichtige Arbeit weiter zu führen.“ Die Stiftung, die mit dem „Opferfonds Cura“ Opfer rechtsextremer Gewalt unterstützt, wird der Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“ 1.000 Euro für eine Wiederaufnahme ihrer Arbeit zur Verfügung stellen. Die Amadeu Antonio Stiftung bittet zudem um
Spenden auf das Konto
Opferfonds CURA der Amadeu Antonio Stiftung
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| Im YouTube-Kanal gibt es noch ein spannendes Video, wie Nazis die Gedenkfeier in Zossen stören!