Russell Brand war früher bekannt für seinen provokanten Humor, seine liberalen Ansichten und seine Kritik an der Ungerechtigkeit des politischen Systems. Er engagierte sich für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit. Er schrieb zwei autobiografische Bücher, in denen er offen über seine Drogenabhängigkeit, seine Sexsucht und seine persönlichen Krisen berichtete.
Brand malt sich die Welt, wie sie ihm gefällt
Doch seit Ende der 2010er Jahre hat Brand es sich zur selbsternannten Aufgabe gemacht, Menschen die Augen zu öffnen und den sogenannten „Mainstream-Medien“ den Kampf anzusagen. Sein Hauptaugenmerk liegt – neben unzähligen TikTok-Videos zu Spiritualität, Kampfsport und seinem Hund – auf seinem Live-Podcast „Stay Free with Russel Brand“ (dt. „Frei bleiben mit Russel Brand“). Das auserkorene Ziel: die „geheime Wahrheit hinter der konstruierten Realität“ offenlegen. Nachdem einige Plattformen Brands Videos wegen des Vorwurfs von Desinformation gesperrt haben – unter anderem, weil er die Wirksamkeit von Impfungen gegen Corona in Zweifel zog und die Politik des britischen Gesundheitsministeriums anprangerte – wechselte er mit dem Podcast zur Plattform Rumble. Besonders beliebt ist die Plattform für ihren laschen Umgang mit „alternativen Fakten“ abseits der „Mainstream-Medien“ und wird daher oft und gern von rechtsalternativen Content-Creator*innen genutzt. Diverse Teile seines Podcasts spielt er anschließend als Videos auf anderen sozialen Plattformen aus. Insbesondere auf YouTube verbreitet er immer häufiger zweifelhafte oder falsche Informationen über Themen wie die Corona-Pandemie, Impfung, US-Wahlen oder die Rolle Russlands in der Weltpolitik. Er bedient sich dabei einer reißerischen Rhetorik, die oft wichtige Fakten auslässt oder verdreht.
Brand behauptet, er sei weder links noch rechts, sondern nur an der Wahrheit interessiert. Doch viele seiner Videos sind eindeutig von einer antiwestlichen, antiliberalen und antiaufklärerischen Haltung geprägt. Er gibt sich als Querdenker aus, der sich gegen die Mainstream-Medien stellt und alternative Stimmen zu Wort kommen lässt. Zu Gast sind oft bekannte Personen, die Verschwörungsideologien und antidemokratische Ansichten vertreten: Jordan Peterson, Candace Owens oder auch Ben Shapiro.
Charismatisch und rasant schnell redet Brand in seinen Videos über Politik, Wirtschaft, Gesundheit, Landwirtschaft und alles, was ihm gerade noch so in den Sinn kommt. Die genauere Betrachtung seines Contents verrät die Überzeugungen Brands: Er nutzt Codes und Überzeugungen, die ein verschwörungsideologisches Klientel ansprechen. So spricht er über die USA als „deep state“ (dt. „Schattenstaat“), in dem angeblich „die Eliten“ geheime Dokumente und Gesetze zur Überwachung der amerikanischen Bevölkerung beschlossen hätten. Er thematisiert den „great reset“ (dt. „Der große Neustart“), eine Verschwörungserzählung, die einer „führenden Elite“ durch eine inszenierte Pandemie für ihre Weltherrschaftspläne diene. Neben der Verwendung diverser Codes sind die Videos passenderweise mit reißerischen Titel versehen und legen den thematischen Kurs Brands offen: „THERES MORE TO UNCOVER“, „THIS just EXPOSED Pfizer“ und „IT`S STARTING TO COME OUT“. Relativ deutlich zeigt der YouTube Kanal Brands – neben einer maßlosen Verwendung von Großbuchstaben – verschwörungsideologische Überzeugungen. Seine TikTok Präsenz erscheint um einiges unscheinbarer.
Zwischen Lifestyle und Verschwörungserzählungen
Abseits seiner einschlägigen Auftritte präsentiert sich Brand auf seinem TikTok Kanal nahbar: Unter dem Profiltext „I am comedian. I am interested in change. I am interested in awakening“ (dt. „Ich bin Komiker. Ich bin interessiert am Wandel. Ich bin interessiert am Erwachen“) erscheinen eine Vielzahl an Kurzvideos. Von einem Besuch in einem lokalen Kinderschuhladen über Erkenntnisse aus seiner spirituellen Auseinandersetzung mit den Lehren der Kampfsportart Jiu-Jitsu – plus passenden Showeinlagen – hin zu beliebten Challenges und Content über seinen Hund. Er inszeniert sich als Guru, der die Welt an seinem Wissen teilhaben lassen möchte. Das alles geschieht vor und für ein Millionenpublikum (2,2 Millionen Follower und 10,5 Millionen Likes), die ihre Zuneigung in der Kommentarspalte geltend machen und die Kurzvideos tausendfach teilen. Zwischen dem alltäglichen Content finden sich jedoch auch unzählige Ausschnitte aus seinem Podcast und weitere diverse Meinungsäußerungen. Für viele – insbesondere das junge Zielpublikum der Plattform – ist eine Unterscheidung zwischen den harmlosen und potenziell gefährlichen Inhalten schwierig. Die Lifestyle- und Kurzvideo-Logik der Plattform macht eine Einordung Brands um einiges schwieriger, als auf anderen Plattformen wie beispielsweise YouTube.
Für viele der Nutzer*innen kann das ein Einstieg in eine Radikalisierungsspirale sein, die von Desinformationen und Verschwörungserzählungen genährt wird. Durch die Nutzung der App lernt der Algorithmus schnell, welche Themen Interesse erzeugen und zeigt den entsprechenden Content vermehrt an. Die Gefahr, in ein sogenanntes „Rabbit Hole (dt. „Kaninchenloch“) zu geraten, also nur noch Content voll von zweifelhaften Informationen und Verschwörungstendenzen angezeigt zu bekommen, ist dabei extrem hoch.
Brand erreicht und beeinflusst ein Millionenpublikum, das ihm vertraut, seine Meinung teilt oder übernimmt. Neben der friedfertigen Darstellung als erleuchteter Yoga-Guru befeuert er demokratiefeindliche Ansichten und trägt zu einer Spaltung in der Gesellschaft bei, die auf Misstrauen, Angst und Hass basiert. Er untergräbt die Glaubwürdigkeit von seriösen Quellen und Expert*innen, die auf Fakten und Beweisen beruhen. Er fördert eine Haltung der Ignoranz, des Egoismus und des Narzissmus, die sich gegen das Gemeinwohl richtet.
Inwiefern Brand selbst gewissen Radikalisierungmechanismen unterliegt, bleibt erstmal offen und ist an einer anderen Stelle zu erörtern. Er stellt auch keinen Einzelfall dar, sondern soll als exemplarisches Beispiel dienen, wie eine öffentliche Person durch Meinungsäußerungen und Nutzung sozialer Plattformen eine Gefahr für Nutzer*innen und Herausforderung im Umgang mit Desinformationen und Verschwörungserzählungen darstellen kann. Gleichzeitig agiert Brand nicht nur aus seiner inszenierten Selbstlosigkeit heraus, sondern vermarktet sein spirituelles Erwachen profitorientiert: Er verkauft Bücher, bietet Online-Kurse und Festivals an. Einen interessanten Einblick in die Verstrickung von Verschwörungstendenzen und Spiritualität, also der sog. „Conspirituality“, bietet der Belltower.News-Artikel „Wie Verschwörungsideologie die Wellness-Gemeinschaft verseucht“.
Und was tun?
Spiritualität und Hunde-Content sehen auf den ersten Blick ganz und gar nicht nach demokratiegefährdenden Inhalten aus. Das macht es so schwierig, junge Leute auf die Gefahren aufmerksam zu machen. Die Überscheidung von Spiritualität und Verschwörungserzählungen sind ein Thema, an das man anknüpfen könnte, damit Jugendliche Warnsignale und mögliche Einstiege und Radikalisierungsspiralen erkennen lernen. Auch in Deutschland ist die Problematik spätestens seit Querdenken und Co. gewachsen. Wenn auch nicht genug. Der rechtsextreme und esoterische „König Thomas“ hatte durch sein TikTok ein großes Comeback gefeiert (siehe Newsletter #10). Viele junge Menschen finden die Videos einfach nicht lustig und können die Ideologie dahinter nicht erkennen.
Ein praktischer Ansatz zur Auseinandersetzung mit Verschwörungsideologien und Desinformation bietet das Tool „VerschwörungsChecker“:
Manchmal ist es gar nicht so einfach, Wahrheit und Fiktion auseinanderzuhalten. Orientierung bietet der VerschwörungsChecker, mit dem Nutzer*innen diverse Erzählungen ganz einfach selbst auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können: Ist tatsächlich eine Verschwörung die Ursache für ein Ereignis? Oder sind Zusammenhänge doch komplizierter als sie erscheinen? Das Spiel leitet durch Frage, mit denen eine beliebige Verschwörungserzählung überprüft werden kann. Das Spiel kann als Werkzeug dienen, um mögliche Wahrheiten von wahrscheinlichen Fiktionen zu trennen. Neben der Sensibilisierung für die Thematik erfahren die Nutzer*innen, wie Verschwörungserzählungen aufgebaut sind und was sie für viele Leute so anziehend macht.
Der Text erschien zuerst im Newsletter des Projekts Visualising Democracy. Wenn ihr nichts mehr von den TikTok-Kolleg*innen verpassen wollt, dann abonniert ihren Newsletter:
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von www.amadeu-antonio-stiftung.de zu laden.