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#120db – Wie Rechtsradikale versuchen, die Sexismus-Debatte zu kapern

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Screenshot aus dem YouTube-Video zur Kampagne aus dem Umfeld der "Identitären".

2016 wollte Martin Sellner unbedingt ein Frauenhaus besuchen. In einem Video, dass Sellner damals veröffentlichte und das mittlerweile nicht mehr online zu finden ist, entspann sich folgender Dialog zwischen ihm und Patrick Lenart, damals Leiter der IB Steiermark, heute neben Sellner der Leiter der „Identitären“ in Österreich:.

Sellner: „Einen letzten Kommentar, bevor wir ins Frauenhaus Graz gehen?“

Lenart: „Du hast mir versprochen, dass man sich dort die Frauen aussuchen kann.“

2017 veröffentlichte Sellner ein Video mit einer Aktivistin der österreichischen IB. Auch dieses Video ist auf seinem Kanal nicht mehr zu finden. Das Fazit: Frauen sind emotionaler als Männer, weswegen sie sich nicht als Politikerinnen eignen würden. Frauen lassen sich nämlich, laut den Rechtsextremen, durch Bilder von geflüchteten Kindern manipulieren und würden deshalb Parteien wählen, die „die Grenzen aufreißen“, das führe perspektivisch dazu, dass sie „vergewaltigt werden und Schleier tragen müssen“. Sowieso, dieses verdammte Frauenwahlrecht: Hätten in den letzten zwanzig Jahren nur Männer in Europa gewählt, gäbe es keine „Masseneinwanderung“ und keine „Islamisierung“.

Derselbe Martin Sellner hat jetzt die Domain der angeblichen Frauenrechtsaktivistinnen registriert. Gleichzeitig benutzt er seine Reichweite, um die Aktion zu verbreiten. In bereits zwei Videos bietet er eine Plattform und rechtfertigt sich gleichzeitig dafür, die Domain registriert zu haben. Auch Sellners Freundin, Brittany Pettibone, eine amerikanische YouTuberin, die der Alt-Right nahesteht, unterstützt die Aktion mit Videos.

Die laut Sellner „zehn, 15 Mädchen“ hätten sich „offenbar abgesprochen“. Mitinitiatorin „Franziska“, eigentlich Annika S., erzählt ihm, dass es „ganz verschiedene“ Frauen seien, die im Video auftreten. Man habe einen Aufruf gestartet – wo und auf welchen Plattformen wird nicht erwähnt – auf den sich „sehr viele“ gemeldet hätten. Aber wer sind die elf Frauen, die im Video auftauchen und sind sie wirklich so „verschieden“, wie im Gespräch suggeriert wird? Mindestens fünf davon lassen sich direkt der rechtsextremenen „Identitären Bewegung“ zuordnen, der Sellner in Österreich vorsteht.

Annika S.

S. tritt als Mitinititiatorin von #120db in einem Video von Sellner unter dem Namen „Franziska“ auf. Auf Twitter nennt sie sich „Berit Franziska“. S. betont vor allem die  Abgrenzung zur #metoo-Bewegung. S. findet #metoo „heuchlerisch“ und  wenn sie in diesem Zusammenhang das Wort „Vergewaltigung“ benutzt, deutet sie mit ihren Händen Anführungszeichen an. Die Berichte unter #metoo sind ihrer Meinung nach übertrieben. Noch schlimmer: über Übergriffe durch Nicht-Deutsche bzw. Migranten könne man unter dem Hashtag ohnehin nicht berichten, ohne in die rechte Ecke gestellt zu werden.

S. ist eine der Betreiberinnen von „Radikal Feminin„, einem antifeministischen IB-nahen Blog. Auf der Website geht es um die „moderne und konservative Frau“, die von ihrer Rolle als Hausfrau, Mutter und Ehefrau erfüllt sei. Der moderne Feminismus hat laut „Radikal Feminin“ die traditionelle Familie zerstört. Männer und Frauen seien zu Gegner_innen geworden und der Feminismus mache Frauen zu Opfern.

„Radikal Feminin“ war schon einmal Thema bei Martin Sellner. Unter dem Titel „Frauen gegen Genderwahn“ interviewte er bereits im September 2017 Annika S. für seinen YouTube-Channel. Auch dieses Video ist mittlerweile nicht mehr online. Im Video sprach S. über ihre Mitgliedschaft im Tübinger Ableger der IB, damals sagte sie, dass sie bereits über ein Jahr dort aktiv sei.

Ingrid Weiss

Weiss ist eine österreichische Identitären-Aktivistin. Auch sie ist bestens mit Sellner bekannt und war diejenige, die im bereits erwähnten Video zu Frauen in der Politik interviewt wurde. Weiss gehört zu den prominenten weiblichen Gesichtern der „Bewegung“ und taucht immer wieder in Artikeln und Dokumentationen zum Thema auf. Sie betreibt den YouTube-Kanal „European Kitchen“ und betont vor allem vermeintlich weibliche Tugenden. Ihren Aktivitäten als rechtsradikale Aktivistin scheint das nicht im Weg zu stehen.

„Paula Winterfeldt“

Die Aktivistin, die unter dem Namen „Paula Winterfeldt“ aktiv ist, gehört zu den bekanntesten weiblichen Gesichtern der „Identitären“. Sie war eine der Rednerinnen bei der gescheiterten Identitären-Demonstration in Berlin und stand in der ersten Reihe. Auch in Videos aus dem Umfeld der Identitären, zum Beispiel über Veranstaltungen des neurechten Antaios-Verlages, taucht „Winterfeldt“ immer wieder auf.

Freya H.

H. ist eine Aktivistin der „Identitären Bewegung“ in Dresden. Genau wie die anderen Aktivistinnen, ist H. immer wieder Teil der Aktionen der IB. So nahm sie an der „Besetzung“ des Justizministeriums in Berlin im Mai 2017 teil. Als im Sommer 2017 gegen das „identitäre“ Hausprojekt der „Kontrakultur Halle“ demonstriert wurde,  war H. vor Ort und unterstützte das rechtsextreme Projekt.

Aline M.

M. gehört ebenfalls zur IB Dresden. Auch sie taucht immer wieder bei den öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Rechstextremen auf. Sie war bei der „Besetzung“ des Justizministeriums dabei, wie auch bei den Protesten rund um das IB-Haus in Halle. Zusammen mit „Paula Winterfeldt“ hat sie mehrmals am „Laut gedacht“-Podcast teilgenommen. Einem Videoformat der Identitären-Kader Alexander K. und Philip T.

Die Behauptung, dass man es bei #120db mit einer organisch gewachsenen Aktion zu tun hat, unter deren Schirm Frauen aus verschiedenen Umfeldern zusammenkommen, erscheint bei genauerer Betrachtung eher unrealistisch. Mindestens die Hälfte der gezeigten Personen kommt aus der Mitte der „Identitären Bewegung“: Aktivistinnen, die immer wieder an Aktionen teilnehmen. Martin Sellner hat bereits angekündigt, dass #120db noch nicht zu Ende ist. Wer der Frauen dann im Vordergrund steht und welche Rolle Sellner übernehmen wird, wird sich zeigen.
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