Al-Qaida-Terroristen steuerten zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers in New York. Insgesamt starben dabei 2.763 Menschen. Ein Flugzeug der American Airlines stürzte auf das Pentagon, 189 Menschen starben. Die Passagier:innen eines weiteren Flugzeugs, dass entweder das Weiße Haus oder das Kapitol treffen sollte, überwältigten die Entführer. Das Flugzeug stürzte auf einem Feld bei Shanksville in Pennsylvania ab, alle 44 Insassen kamen ums Leben.
Antisemitismus war ein zentraler Bestandteil der Anschläge. Die islamistische Ideologie von al-Qaida wollte ein Welt erschaffen, „in der sämtliche Errungenschaften von Aufklärung, Moderne und Demokratie zerstört und sämtlicher emanzipativer Fortschritt zum Stillstand gebracht werden soll“, schreibt Samuel Salzborn, Antisemitismusbeauftragter in Berlin. Die Werte, die bekämpft werden sollen, sind allesamt jüdisch konnotiert, vor allem „weil im islamistischen Weltbild alles, was abgelehnt wird, letztlich jüdisch identifiziert wird“, so Salzborn. Osama bin Laden höchstpersönlich stellte mehrmals klar, dass die Anschläge sich gegen die moderne Welt und ihre Errungenschaften, aber eben auch im Besonderen gegen Juden und Jüdinnen richteten.
Der Terrorangriff vom 11. September war der schlimmste Anschlag in der Geschichte der USA und einmalig, was Organisation und Ausführung anging. Die Taten trafen das Land, aber auch den Rest der Welt wie ein Schlag und führten zu tiefer Verunsicherung in der ganzen Gesellschaft. Kein Wunder, dass fast unmittelbar nach den Attacken Verschwörungserzählungen blühten. Fast alle von ihnen sind antisemitisch. Die zentralste ist die Geschichte vom „Inside Job“, also dass die USA selbst die Angriffe ausgeführt hätten, um eine aggressive Außenpolitik zu rechtfertigen. Drahtzieher in dieser Erzählung ist eine kleine Clique innerhalb der Regierung, angeführt oder durchsetzt von Juden und Jüdinnen. Dem gegenüber steht die Erzählung vom „Outside Job“, demnach steht Israel hinter den Anschlägen und schiebt die Schuld auf Islamist:innen um so die USA dazu zu zwingen, arabische Länder anzugreifen. Um diese beiden großen Erzählungen ranken sich unzählige alternative Szenarien, etwa, dass es keine Flugzeuge gab, sondern dass die Gebäude gesprengt wurden, um Beweise für diverse andere Verschwörungen zu vernichten oder dass die Terroristen israelische Agenten gewesen seien. Die Türme des World Trade Centers wurden von Satelliten beschossen oder von Raketen, während die entführten Flugzeuge, in denen eigentlich gar keine Passagiere waren, ins Meer gesteuert wurden. Alternativ waren die Flugzeuge mit Sprengstoff beladen, um mehr Zerstörungskraft zu generieren.
Am 17. September meldete der TV-Sender der Terrororganisation Hisbollah, dass am 11. September 4000 Juden nicht zur Arbeit im World Trade Center erschienen seien, weil sie vorher vom israelischen Geheimdienst Mossad gewarnt wurden. Außerdem habe Ariel Scharon, damals Israels Ministerpräsident, den Besuch eines zionistischen Festivals in New York am gleichen Tag abgesagt. Beide Meldungen waren falsch. Die Jerusalem Post hatte am 12. September gemeldet, dass sich 4000 Israelis, die in der Gegend um das World Trade Center lebten, sich noch nicht bei Freunden und Angehörigen gemeldet hätten. Diese Meldung wurde verfälscht und macht seitdem die Runde unter Verschwörungsfreund:innen. Tatsächlich waren ca. 400 bis 500 Juden und Jüdinnen unter den Opfern. Der New-York-Besuch von Scharon war nicht für den 11., sondern den 23. September geplant und das Festival wurde wegen der Anschläge abgesagt.
Alle diese unterschiedlichen Erzählungen wurden in den letzten 20 Jahren immer wieder widerlegt und doch gehören sie und viele andere auch heute noch zum festen Repertoire der Verschwörungsszene. Das ist kein Wunder, denn viele Akteure aus ganz unterschiedlichen Spektren beschreiben 9/11 als eine Art „Erweckungsmoment“, so etwa der antisemitische Video-Aktivist Nikolai Nerling, der unter dem Namen „Volkslehrer“ auftritt. Nerling, der eng mit Rechtsextremen und Holocaustleugner:innen vernetzt ist und selbst wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, verbreitet nicht nur die immer gleichen Verschwörungserzählungen über die Anschläge, sondern beschreibt auch die eigene Radikalisierung, die ihm zufolge mit dem Eintauchen in die sogenannte „Truther“-Szene begann, also jene Internet-Aktivist:innen, die glauben, die „Wahrheit“ über die Anschläge herausgefunden zu haben. Dasselbe gilt für unzählige andere Akteure, für die Verschwörungsideologien um den 11. September 2001 zur unverrückbaren Wahrheit geworden sind. Ken Jebsen, Oliver Janisch, Xavier Naidoo, kleine und große Akteure aus dem QAnon-Umfeld und viele mehr erwähnen immer wieder die Anschläge und machen klar, wie wichtig sie für das Weltbild und das Selbstverständnis der Szene sind.
Der Hass auf Juden und Jüdinnen, der über all die Erzählungen weiterverbreitet wird, ist ein Teil des Erfolgs der „antisemitischen Revolution“, die laut Samuel Salzborn Ziel der Anschläge war. Die Angriffe galten der modernen Gesellschaft, den USA und Juden und Jüdinnen. Dabei waren nicht nur die eigentlichen Taten erfolgreich und haben Tausende Menschen getötet, sondern sie haben auch Erzählungen geschaffen, die Antisemitismus immer weiter tragen und im Weltbild von Verschwörungsgläubigen normalisiert und verankert haben haben.
Foto: Wikimedia / Robert J. Fisch / CC BY-SA 2.0