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27. Januar Warum noch erinnern?

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Argumente gegen Antisemitismus gesucht? Die Facebook-Aktion "Nichts gegen Juden" der Amadeu Antonio Stiftung hat eine Menge. (Quelle: Screenshot Facebook)

Warum noch erinnern? So könnten wir provokant fragen. Die Studien des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld zum Phänomen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit lassen die Frage geradezu wissenschaftlich zynisch erscheinen, berücksichtigen wir, wie viele Menschen in Deutschland 70 Jahre nach Ausschwitz einen Schlussstrich unter die Geschichte des Nationalsozialismus setzen möchten. Nunmehr zwölf Jahre lang haben wir den deutschen Zustand beobachtet und vermessen. Wir haben insbesondere nach den Menschenfeindlichkeiten und anti-demokratischen Einstellungen, jüngst aber auch der Willkommenskultur und den Meinungen zur Integrationsgesellschaft gefragt. Wir haben über Jahre berichtet, wie ein hartnäckiger Teil von circa zehn Prozent der Bevölkerung hartnäckige antisemitische Vorurteile mit rassistischen Zügen pflegt. Wir haben darauf hin oft vernommen, dies sei ein unbelehrbarer Teil der Bevölkerung. Es sind aber nicht jene zehn Prozent Antisemiten, die vor 20 Jahren bis heute identisch sind. Es sind zehn Prozent, die sich stabil in der Gesellschaft erhalten, von Generation zu Generation, bis heute. Es sind auch nicht jene, die sich in rechtsextreme oder jihadistische Zellen zurückziehen und von dort aus Gewalt ausüben und den Antisemitismus zur Legitimation von Terror und Mord pflegen. Solche haben sich längst aus der Gesellschaft verabschiedet.

Mögen uns kleine Mengen beruhigen, muss der weitere Blick zumindest verstören. Es wird kaum gelingen, den Antisemitismus wegzureden. Wir sehen, wie sich jeder Zweite der von uns befragten Bundesbürger darüber ärgert, dass „den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden“. Eben so viele meinten noch im September letzten Jahres, sie wären „es leid, immer wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hören“. Hier drückt sich ein sekundärer Antisemitismus aus, der die Repression des Antisemitismus, die Entdeckung der Antipathie umgeht und von einer Schande befreit sein möchte.

Wie aber soll diese Befreiung möglich sein, wenn die Erinnerung erst gar nicht zugelassen wird. Alexander und Margarete Mitscherlich analysierten vor 52 Jahren die Unfähigkeit der Deutschen, zu trauern, nachdem diese ihre starke Führung verloren hatten. Im vergangenen Jahr meinten einundsechzig Prozent der von uns Befragten in der Studie ZuGleich (Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit) es wäre „gut, wenn unsere Traditionen zunehmend wiederbelebt würden“, und eben so viele meinten: „Es ist wichtig, dass wir unsere Identität, Werte und Eigenschaften wieder stärker in den Mittelpunkt rücken“. In der Studie „Fragile Mitte – Feindselige Zustände“ stimmte gar ein Viertel der Befragten zu: „Was Deutschland jetzt braucht ist eine einzige Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.“ Müssen wir heute angesichts der Reflexe, Traditionen gegen Vielfalt zu stellen, Menschenfeindlichkeit kleinzureden und lieber ein glanzvolles von Nationalfahnen belebtes Identitätsgefühl in den öffentlichen Raum zu bringen, nicht eher eine Unfähigkeit, uns zu erinnern, befürchten? Wenn die Eltern nicht getrauert haben, an was können wir uns dann erinnern und wie ermöglichen wir überhaupt eine Erinnerung, die uns schützt und nicht „Jüdisches“ zum einfachen Appendix an das Abendland verkümmern zu lassen?

Die stete Beobachtung und Verfolgung von Menschenfeindlichkeit ist eine mögliche Erinnerungskultur, in der sich das Gedenken an Opfer erhält. Das ist ein unangenehmer Weg, aber auf ihm sind Menschenrechte und Grundrechte entstanden. Vergessen wir dabei am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus auch eines nicht: In Ausschwitz und anderen Konzentrations- und Arbeitslagern war nicht nur Jüdinnen und Juden jeder Freiheit und Rechte beraubt. Der Rassismus des Nationalsozialismus richtete seine menschenvernichtende Ideologie gegen viele Gruppen, die wir in unseren Studien als Zielgruppen der Menschenfeindlichkeit beobachten: arme, arbeitslose, gleichgeschlechtlich Liebende, behinderte Menschen, Sinti und Roma, politische Gegner des Systems. Menschenfeindlichkeit kommt nie alleine daher. Die Menschenfeindlichkeit sucht den Bruder, die Schwester und die Verwandten der „Unterrassen“, der „Abweichenden“, der „Minderwertigen“. Auch das lehrt Ausschwitz. Und wir könnten überlegen, wie die Ökonomie der Vernichtung von lebenswertem und minderwertigem Leben einem Denken entspricht, dass Leben nach Nutzen beurteilt. Wir sind gehalten, zu prüfen, wie stark sich auch dieses Denken erhalten hat, oder in zeitgemäßer Form den Weg bahnt.

Der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno hat 1966 gefragt, wie Erziehung nach Ausschwitz möglich ist. Wir könnten am Gedenktag nach der Bildung nach Ausschwitz fragen, wenn wir schon die pädagogische Frage nicht stellen möchten, die so wichtig wäre. Angesichts der Tatsache, schon 70 Jahre weit von ‚Ausschwitz’ entfernt zu sein, drängt sich die Frage auf, wie eine Erinnerung gelingen kann. Im Rassismus und Rechtsextremismus ist diese Erinnerung als Vision der Vernichtung erhalten. In der Menschenfeindlichkeit der modernen Gesellschaft wird das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus um das ausradiert, was die Opfer erzählen. Es wurden Mitglieder von Gruppen vernichtet und verfolgt, es waren aber Menschen, die zu Gruppen gehören, die das heutige Deutschland ausmachen. Ein Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus trägt uns auf, eine Antwort auf die Frage zu geben, was menschlich ist. Das können wir nach Ausschwitz nie mehr alleine beantworten. Es ist eine Frage an die demokratische Gemeinschaft.

 

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