In öffentlichen Diskursen wird rechte Gewalt hauptsächlich mit Gewalttaten rechtsextrem organisierter Gruppen in Verbindung gebracht. Körperverletzungen, Nötigungen und Bedrohungen sowie Sachbeschädigungen und Brandstiftungen werden jedoch nicht nur von organisierten Gruppen oder bekennenden Rechtsextremen verübt. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, wie in der Beratungsarbeit mit Betroffenen von rechter Gewalt üblich, die Motive von Täter*innen in den Fokus zu nehmen. Als rechte Gewalttaten werden Angriffe bezeichnet, denen bestimmte Vorstellungen von Ungleichwertigkeit und Feindbildern zugrunde liegen.
Diese werden bspw. im Konzept der »Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit« nach Wilhelm Heitmeyer erfasst. Sie sind für die Ausführung der Tat und die Wahl des Opfers von Bedeutung. Der Begriff »Menschenfeindlichkeit« bezieht sich auf das Verhältnis zu spezifischen Gruppen. In der Beratungsarbeit wird deshalb fallabhängig bspw. von rassistischer, antisemitischer oder homofeindlicher Gewalt gesprochen. Auch Merkmale der Täter*innen geben Hinweise darauf, ob es sich um rechte Gewalt handelt. Darüber hinaus sind die Umstände der Tat entscheidend. Häufig können Angriffe als »Vorsatz bei Gelegenheit« charakterisiert werden, d.h. Täter*in und Opfer treffen in öffentlichen Räumen, etwa Bahnhöfen oder Kneipen, zufälligaufeinander. Von zentraler Bedeutung ist die subjektive Wahrnehmung und Bewertung der Tat durch die Betroffenen und Zeug*innen.
Zudem sind rechte Gewalttaten als »Botschaftstaten« zu verstehen: Die Betroffenen werden stellvertretend als Repräsentant*innen einer gesellschaftlich marginalisierten Gruppe wahrgenommen und deshalb angegriffen. Dies führt nicht nur zu Ohnmachtsgefühlen, Unsicherheit und Angst bei den Betroffenen und Zeug*innen, sondern auch bei den Angehörigen der gesellschaftlich marginalisierten Gruppe (kollektive Viktimisierung). Daher wird bei rechten Gewalttaten häufig von Hasskriminalität (Hatecrime) gesprochen. Hier wird umso mehr deutlich: Rechte Gewalt beinhaltet nicht nur physische und psychische Verletzungen, sondern äußert sich auch als politische Gewalt im Kampf um Macht und Herrschaft in der Gesellschaft.
Die Verfassungsschutzbehörden definieren Terrorismus als »nachhaltig geführte(n) Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in § 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen.« Zur Unterscheidung zwischen rechtsextremer Gewalt und Terror dient das Kriterium des geplanten und auf Dauer angelegten Handelns gegenüber spontanen Aktionen und Straftaten. Das Bundeskriminalamt und der Generalbundesanwalt hingegen beziehen sich auf die Definition nach §129a »Bildung terroristischer Vereinigungen« des Strafgesetzbuches und den vom Bundesgerichtshof dazu verfassten Bedingungen, bspw. eine Mindestanzahl von drei Personen. Daneben wird häufig der Paragraf 129 StGB »Bildung krimineller Vereinigungen« herangezogen. Nach Prof. Mark Zöller, Strafrechtler der Universität Trier, unterscheiden sich §129a und §129 StGB anhand der Schwere der Straftaten, die geplant wurden. Wenn es sich um besonders schwere Straftaten, bspw. Mord oder Totschlag handelt, werde aus der kriminellen Vereinigung (§129 StGB) eine terroristische Vereinigung (§129a StGB), so der Experte.
Problematisch bei der Konzeption der Ermittlungsbehörden und des Verfassungsschutzes ist: Einzeltäter*innen im Sinne des »Lone-Wolf-Konzeptes« finden nicht genügend Berücksichtigung. Dabei zeigen verschiedene Beispiele aus Geschichte und Gegenwart, dass rechtsterroristische Einzeltäter*innen, etwa der Attentäter der Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker, in vielen Fällen zum Tatzeitpunkt oder davor in rechtsextremen Strukturen organisiert waren. Zudem fokussiert diese Konzeption maßgeblich Strukturen, langfristige Strategien und Konzepte rechtsextremer Gruppierungen, die es in diesem Ausmaß häufig nicht gibt. Gewalt ist nicht nur ein legitimes Mittel oder eine Strategie zur Erreichung politischer Ziele; vielmehr steht Gewalt zur Einschüchterung oder Vernichtung der konstruierten Feindgruppen und zur Beseitigung des demokratischen Systems als Ziel im Mittelpunkt.
Auch rechtsterroristische Taten sind als Botschaftstaten zu verstehen: In den meisten Fällen rechtsterroristischer Gewalt taucht kein bekennendes Schreiben auf, da das Motiv für die Tat aus der Tat und den Umständen selbst spricht. Für die Unterscheidung zwischen Gewalt und Terror seien nicht ideelle Ziele entscheidend, sondern die Art der Ausführung und die Planung der Tat, so Rechtsanwältin Dr. Kati Lang.
Expert*innen wie Andrea Röpke und Daniel Köhler verweisen darauf, dass wir es heute auch mit dem »Schwarm-« oder »Alltagsterrorismus« von rechts zu tun haben, der teilweise andere Erscheinungsformen annimmt. Rassistische Überfälle auf Geflüchtete oder People of Color (PoC), Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte, die Bedrohung von politischen Gegner*innen oder Angriffe auf Politiker*innen und Journalist*innen. Die Dokumentationen rechter Gewalttaten seitens des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. weisen darauf hin: Die Gewalttaten haben in den letzten zwei Jahren zugenommen und sind mittlerweile Teil des sogenannten Alltagsterrors.
Die Übergänge von rechter Gewalt zum Rechtsterrorismus können fließend sein
Daniel Köhler spricht von »Ermöglichungsnetzwerken«, die für die Ausführung solcher Taten zentral sind. Parteien, Organisationen, Netzwerke und Vereine bilden ein Sammelbecken, in dem eine ideologische Schulung der Täter*innen stattfindet und ein Umgang mit Waffen oder Sprengstoff erlernt wird. Rechtsterroristische Taten selbst werden von kleineren Gruppen oder Einzelpersonen durchgeführt, teilweise spontan und abseits des Netzwerkes. Zusammenschlüsse wie Pegida und Co., aber auch rechtsextreme und neurechte Gruppierungen wie die Identitären legitimieren Gewalt, verbreiten Angst und können den ideologischen Nährboden für eine Radikalisierung und schlussendlich die Umsetzung solcher Taten bieten.
Befeuert werden mögliche Taten auch durch die vielfache Hetze in sozialen Netzwerken. Hier zeigt sich: Solche Taten und ihre Botschaft finden Akzeptanz in den jeweiligen Netzwerken und Anklang in Teilen der gesellschaftlichen Mitte. Zu enge Definitionen im Sinne des §129a können dazu führen, dass rechter Terror in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen, juristisch weniger verhandelt und in letzter Konsequenz gesellschaftlich bagatellisiert wird. Aktuelle Prozesse, etwa gegen die Oldschool Society und die Gruppen um Nauen, Salzhemmendorf oder Ballstädt, machen dies deutlich. Sie verkörpern den Schwarmterrorismus, der z.T. aus Ermöglichungsnetzwerken entstanden ist oder z.T. aus rechtsextrem organisierten Strukturen kommt und auf diese zurückgreifen kann.
DIE BROSCHÜRE:
Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der
„Le_rstellen im NSU-Komplex: Geschlecht, Rassismus, Antisemitismus“.
Hrsg.: Amadeu Antonio Stiftung
Berlin 2018
Als PDF zum Download hier:
http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/leerstellen_internet.pdf
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