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Änderung im Online-Duden Es gibt mehr als das generische Maskulinum 

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(Quelle: Screenshot von der Facebook-Seite des Dudens. )

Aber was ist dann passiert? Ausgelöst wurden die Hasskommentare durch eine Änderung in der Online-Ausgabe des Dudens: ab sofort stehen bei allen Personen- und Berufsbezeichnungen die Erklärungen zur männlichen und zur weiblichen Form gleichberechtigt nebeneinander. Für die Wörter Ärztin und Arzt gibt es also nun jeweils einen eigenen Eintrag. Zuvor gab es für die weiblichen Formen nur einen Verweisartikel à la “weibliche Form von Arzt”. Der Verlag veränderte die Einträge, da er nach Auswertung des Duden-Korpus,zu dem Schluss gekommen ist, dass die Verwendung des generischen Maskulinums zunehmend hinterfragt werde.  Der Duden-Korpus ist eine umfangreiche Datenbank, für die ständig eine Vielzahl aktueller Texte auf sprachliche Veränderungen ausgewertet werden. Die Redaktion beobachtete, dass zum Beispiel viele Universitäten,  schreiben nicht mehr nur von Studenten schreiben, wenn sie Menschen aller Geschlechter an der Hochschule ansprechen möchten, sondern Student*innen oder Studierenden. Die Hannoveraner Stadtverwaltung spricht und schreibt von Bürger*innen. Insbesondere das Sternchen schließt Frauen und nicht-binäre Menschen explizit mit ein. Im Gegensatz zum generischen Maskulinum finden diese Gruppen nun also auch sprachliche Repräsentation und Sichtbarkeit. Ein Privileg, das in der Geschichte der deutschen Sprache lange nur Männer hatten. 

Kurzum: DieDuden-Redaktion stellte fest, dass mittlerweile in vielen Texten gegendert wird und informiert seine Nutzer*innen darüber. Es gibt eine neue sprachliche Entwicklung und der Verlag nimmt sie auf. So simpel, so erwartbar für ein Nachschlagewerk, das nach deskriptiven Kriterien zusammengestellt wird.

Doch auf Social Media, wo sich Menschen gerne aufregen und ungebremst ihren Unmut kundtun, gibt es in diesem Fall keine Hemmungen. Das Gendern von Texten zieht generell Empörung auf sich, aber wenn es durch die Aufnahme in den Duden geadelt wird, sehen sich Teile der Gesellschaft bedroht, auch wenn ihnen nichts weggenommen wird.  Auf Facebook wird die Neuerung wahlweise als Zwang, neumodischer Quatsch oder Ideologie diffamiert. Viele Kommentare mussten gelöscht werden, da sie krasse Beleidigungen und ähnliches enthielten. Besonders beliebt bei den verbliebenen Kommentaren sind Whataboutisms aller Art, Strawmans und Dammbruchargumente.

Zum Beispiel dieser Nutzer versucht geschlechtergerechte Sprache als nutzlos zu relativieren, indem er ihr vorwirft, ein bestimmtes Ziel nicht zu erreichen, dass niemals mit dem Konzept angestrebt wurde, nämlich häusliche Gewalt zu verhindern. Damit argumentiert er gegen einen Strohmann und relativiert das Konzept geschlechtergerechter Sprache gleichzeitig mit dem Whataboutism „ABER häusliche Gewalt ist schlimm“. Genauso gut ließe sich gegen die Existenz der Müllabfuhr damit argumentieren, dass sie nicht auch das Treppenhaus putzt. Der Job der Müllabfuhr ist es Müll zu entsorgen und nicht Treppenhäuser zu putzen. Der Job gendergerechter Sprache ist es, Repräsentation, Sichtbarkeit und Inklusivität sprachlich abzubilden – und nicht, vor häuslicher Gewalt zu schützen.

Andere Facebook-Nutzer*innen finden, dass der Duden mit der Aufnahme der Neuerung Ideologie betreibe und seine Neutralität verliere. 

Völlig übersehen wird dabei, dass Sprache nie ein rein objektives und neutrales Instrument ist, sondern historisch wächst. Sprache unterliegt ständigen Veränderungsprozessen und ist niemals fix. Das ist schon immer so. Vor fünfzig Jahren sprach man  unverheiratete Frauen mit „Fräulein“ an, heute nicht mehr. Der Grund dafür ist, dass sich Frauen über Jahrzehnte hinweg dafür einsetzten, dass ihre Anrede nicht aus ihrem Verhältnis zum Mann bestimmt wird. Eine Norm, die heute selbstverständlich ist. Ähnlich ist es bei der englischen Anrede Ms.. Feminist*innen nutzten sie aus den gleichen Gründen, wie deutsche Frauen das „Fräulein“ ablehnten. Heute ist Ms. anstatt Mrs. eine allgemein gebräuchliche Form und das Miss (Äquivalent zu Fräulein) komplett verschwunden.  

Eine Sprache, die das generische Maskulinum für Gruppen- und Berufsbezeichnungen verwendet ist nicht neutral, sondern sie ist bereits gegendert. Nämlich männlich gegendert. In einer Welt, in der Menschen allen Geschlechts Ärzt*innen, Handwerker*innen und Professor*innen sind, entspricht es nicht mehr der sozialen und politischen Realität, Sprache grundlegend auf „männlich“ zu programmieren. So wie es nicht mehr der sozialen und politischen Realität entspricht, Frauen primär danach zu kategorisieren, ob sie verheiratet sind oder nicht. 

Neben dem Ideologie-Vorwurf finden sich in den Kommentaren Menschen, die im Aufkommen gendergerechter Sprache den Beginn einer sprachlichen Apokalypse sehen. Dieser Facebook-Nutzer befürchtet, dass Artikel in Zukunft grundsätzlich in allen ihren Formen vor Substantiven angegeben werden. Wie und warum es dazu kommen sollte, bleibt völlig unklar. Die Aussage schließt von einer aktuellen Entwicklung auf eine weitreichendere, für die es absolut keine Bestrebungen gibt.  Auch die radikalsten Verfechter*innen gendergerechter Sprache sprechen von „der Sonne“ und nicht von „der/die/das Sonne“. Von dem Wort Ärzt*innen eine Entwicklung zu der/die/das Praxis zu prognostizieren ist ein Dammbruch, weil hier ein Dominoeffekt vorausgesagt wird, dessen einzelne Schritte nicht nachvollziehbar, geschweige denn wahrscheinlich sind.

Auffällig ist, dass gendergerechte Sprache in den Reaktionen auf die Duden-Änderung meist als ein Verlust gesehen wird. Doch gendergerechte Sprache heißt in vielerlei Hinsicht ein mehr, nicht ein  weniger. Mehr Geschlechter werden sichtbar. Mehr Menschen dürfen sich angesprochen fühlen. Mehr Menschen werden mitgedacht. Debatten und Diskussionen dazu wie, ob und warum gegendert werden sollte, sind wichtig. Nur so kann sich Sprache verbessern. Aber nicht valide Argumente im Netz sind kein sinnvoller Debattenbeitrag. 

 

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