Ab diesem Wochenende findet der 14. Bundesparteitag und der erste Teil der Europawahlversammlung der AfD statt. Am 28. Juli startet in Magdeburg der Parteitagsmarathon mit dem Bundesparteitag, am morgigen 29. beginnt die Europawahlversammlung, die dann am nächsten Wochenende vom 4. bis 6. August fortgesetzt wird.
Die AfD könnte eigentlich frohlocken: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland konnte eine Partei am äußersten rechten Rand auf so viel Zuspruch in der Bevölkerung bauen. Aktuell erreicht sie in einigen bundesweiten Umfragen über 20 Prozent, in Thüringen könnte die Partei mit Abstand die stärkste Kraft bei den nächsten Landtagswahlen im Herbst 2024 werden und in Baden-Württemberg erreicht sie bei in einer Umfrage von Ende Juli 19 Prozent der Stimmen und damit sieben Prozent mehr als bei den letzten Landtagswahlen.
Die Parteien des demokratischen Spektrums wirken nicht nur konzeptlos im Umgang mit der AfD, sie sind es auch weitestgehend. Die Partei gibt sich harmonisch geeint seit dem Meuthen-Abgang. Doch wie Tocotronic es schon 2007 besungen haben: Harmonie ist eine Strategie. Auch bei der AfD. Die vermeintliche Harmonie soll verbergen, dass die Partei tief zerstritten ist und wenig inhaltliche Substanz hat. Der letzte Parteitag in Riesa wurde nach einem heftigen Streit über eine EU-Resolution, die u.a. vom Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke eingebracht wurde, vorzeitig abgebrochen.
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Währenddessen herrschen in der EU-Fraktion Streit und Intrigen. Der in der eigenen Partei umstrittene AfD-Abgeordnete Maximilian Krahl musste die eigene Fraktion verlassen, EU-Delegationsleiter Nicolaus Fest trat zurück, weil er „kein Vertrauen mehr in die Delegation“ habe, berichtete der Spiegel im Februar 2023.
Daher ist durchaus mit Spannung zu erwarten, ob die AfD es schafft sich beim Bundesparteitag und der anschließenden Europa-Versammlung als geeint und harmonisch zu inszenieren. Die Debatte um einen EU-Austritt und die Spitzenkandidatur für die EU-Wahl könnten konträr zur Harmonie-Strategie laufen. Die AfD will auf der Europaversammlung ihr Programm und ihre Kandidat*innen für die Wahl zum EU-Parlament bestimmen, aus dem sie eigentlich am liebsten raus will.
Stellvertretender AfD-Landeschef: „Wir müssen die EU vernichten!“
Als eine Gruppe unter Billigung des parteiinternen Netzwerkes um Björn Höcke die Forderung auf den DEXIT, also den Austritt aus der EU nach dem eher unrühmlich Vorbild Großbritanniens, auf dem Bundesparteitag 2021 in Dresden ins Wahlprogramm zur Bundestagswahl bugsierte, stand der damalige Bundesvorstand um Jörg Meuthen und dem Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland brüskiert da. Der Antrag wurde gegen ihren Willen beschlossen.
Inzwischen ist Meuthen weg, Tino Chrupalla hat ihn ersetzt und jetzt ist der Dexit nahezu Konsens in der Partei, auch wenn das Wort selber gemieden wird. Dafür ist der Brexit eine zu negative Blaupause. Wie kompliziert es ist, einen Dexit zu wollen ohne ihn beim Namen zu nennen, zeigt der Leitantrag vom Bundesvorstand. Dort heißt es: „Unsere Geduld mit der EU ist erschöpft. Wir streben daher die geordnete Auflösung der EU an“. Kurz nachdem der Leitantrag veröffentlicht wurde, wollte der Bundesvorstand davon nichts mehr wissen. Es habe sich um ein „redaktionelles Versehen“ gehandelt, leider könne es jetzt nicht mehr im Vorfeld aus dem Antrag getilgt werden. Die Erklärung wirkt unglaubwürdig, da der Auflösungswunsch mit einem Vorsatz eingeleitet wird. Wahrscheinlicher ist, dass die Forderung nach einer Auflösung der EU, die u.a. vom formal aufgelösten Flügel um Björn Höcke erhoben wird, im letzten Moment noch aus dem Leitantrag rausgeflogen ist, der einen Kompromiss der unterschiedlichen Positionen der AfD darstellt.
Vielleicht war es aber auch eine Retourkutsche von Dexit-Befürworter*innen, den Satz stehen zu lassen, als Signal an die Parteichef*innen Weidel und Chrupalla. Dass der Flügel das Ende der EU will, ist kein Geheimnis, im Gegenteil. Seine Vertreter*innen betonen es immer wieder und nutzen dafür mitunter auch markige Worte. So forderte der stellvertretende AfD-Landesvorsitzende von Sachsen Anhalt, Hans Thomas Tillschneider, auf dem Landesparteitag seiner Partei im April diesen Jahres: „Wir müssen die EU vernichten!“ Niemand widersprach.
Staatenverbund statt EU
Die Weiterentwicklung der EU laufe auf einen „europäischen Bundesstaat“ hinaus, heißt es im Leitantrag des Pateivorstands. Dies lehne man ab, da der EU-Bundesstaat „weder über ein Staatsvolk, noch über das erforderliche Mindestmaß an kultureller Identität, welche notwendige Voraussetzungen für gelingende Staaten sind“ verfüge. Mit Identität ist bei der extremen Rechten auch immer Homogenität verbunden.
Die AfD und weite Teile der extremen Rechten ist in Anlehnung an den NS-Staatsrechtler Carl Schmitt davon überzeugt, dass ein demokratischer Staat nur funktioniere, wenn eine große Homogenität in fast allen Belangen existiert. Schmitt schrieb 1923: „Jede wirkliche Demokratie beruht darauf, daß nicht nur Gleiches gleich, sondern, mit unvermeidlicher Konsequenz, das Nichtgleiche nicht gleich behandelt wird. Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen. (…) Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, daß sie das Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß“.
Das Diktum hat für die extreme Rechte bis heute Gültigkeit. Wenn sie von Demokratie redet, meint sie meist immer genau dieses Verständnis von Schmitt. Das Heterogene muss vernichtet werden, daher muss auch die EU vernichtet werden, wie Tillschneider es im April formulierte.
Potpourri der Ressentiments
In dem Leitantrag werden zudem die klassischen Feindbilder benannt, wobei ein antisemitisches Geraune nie fehlen darf. Schon in der Präambel ist von den die EU „tragenden globalistisch eingestellten Eliten“ die Rede. Antisemitismus will die AfD zwar bekämpfen, aber nicht in ihren eigenen Reihen. Antisemitismus wird im Leitantrag vor allem mit dem Islam in Verbindung gebracht und weitestgehend darauf reduziert.
Auch im Weiteren ist der Leitantrag eher ein Potpourri und „copy and paste“ aus alten AfD-Verlautbarungen. Das kritisiert auch eine Antragsgruppe um Björn Höcke, die eine alternative Präambel zur Abstimmung stellt. Dieser Präambelentwurf ist noch zugespitzter formuliert, betont queer- und transfeindliche Positionen der AfD stärker. Wie so häufig kommen diese teils im Namen des Kinderschutzes daher, wenn gegen eine vermeintliche „Regenbogen-Agenda“ in Grundschulen gewettert wird und von „natürliche Gegebenheiten des Lebens, wie die biologische Zweiheit von Mann und Frau“ gesprochen wird.
Neben den Feinden im Inneren wird in beiden Leitantragsentwürfen mit den USA auch der Hauptfeind im Äußeren markiert. Während selbstredend Russland als wichtiger Partner und Freund benannt wird
USA Feind, Russland Freund
Gleich in mehreren Anträgen ist die Russlandliebe der AfD mehr als spürbar. Die Partei hat sich in den letzten Jahren immer mehr anti-amerikanisch und pro-russisch positioniert. Der Leitantrag vom Bundesvorstand ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Nur noch wenige Versatzstücke einer amerikafreundlichen Positionierung sind dort zu finden. Am Beginn des Kapitels zur USA heißt es: „Gute Beziehungen zu den USA sind für Deutschland und Europa von wesentlicher Bedeutung“. Aber schon der nächste Satz mahnt eine Partnerschaft auf Augenhöhe an, um dann zu bemängeln, dass die „geopolitischen und ökonomischen Interessen der USA […] sich jedoch in zunehmendem Maße von denen Deutschlands und anderer europäischer Staaten“ unterscheiden würden. Danach wird als Beispiel die Positionierung der USA gegen Nord-Stream II angeführt.
Nur noch ganz wenige in der AfD versuchen die transatlantische Flagge hochzuhalten. In einem Änderungsantrag fordern fünf Delegierte eine Passage aufzunehmen, in der betont wird, dass die USA der wichtigste „außereuropäische politische Partner Deutschlands und der wichtigste Handelspartner unserer Wirtschaft“ seien. Formal mag das stimmen, aber nicht für die AfD. Transatlantische Position wie diese sind seit dem Rücktritt Meuthens in der Partei völlig isoliert.
Die anfänglichen Befürchtungen in der extremen Rechten, dass durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, sich AfD und die extreme Rechte spalten könnten, haben sich als weitestgehend unbegründet erwiesen. In der AfD hat sich ganz klar die Putin-Fraktion durchgesetzt. Der kritischste Satz steht am Beginn des Absatzes zu Russland: „Die russische Invasion hat in der Ukraine viel Leid unter den Betroffenen erzeugt“. Im restlichen Leitantrag wird dann das Loblied auf die vormals guten Beziehungen zu Russland angestimmt, die es wieder herzustellen gelte.
Personalentscheidungen als Konfliktfeld?
Neben den inhaltlichen Positionierungen dürften aber auch und vielleicht noch viel mehr die Personalentscheidungen für Konflikt auf der Europaversammlung der AfD sorgen, die am 29. Juli beginnt. Insbesondere die Frage, wer Spitzenkandidat wird, ist umstritten. Die besten Chancen werden Maximilian Krah zugerechnet. Er ist selbst in seiner Partei klar am rechten Rand positioniert, eng vertraut mit Höcke und dem neurechten Verleger Götz Kubitschek, aber auch international eng mit der extremen Rechten vernetzt.
Das rechtsextreme Compact-Magazin von Jürgen Elsässer lobt ihn als einen der „visionärsten Politiker seiner Partei“. Die ZEIT nennt Krah, der bereits seit Mai 2019 im Brüsseler Parlament sitzt, den „größten Provokateur von allen“. Ob er erneut antritt, habe er noch nicht endgültig entschieden, so Krah. Interessant, denn: Das Höcke-Umfeld scheut seit jeher das Risiko. Wenn Krah antritt, dann nur wenn seine Wahl als sehr sicher gilt. Der Jurist will daher offenbar eine „Risikoanalyse“ machen.
Das hat durchaus Gründe: Krah ist jemand der in seiner Partei polarisiert. Im Podcast des vom Verfassungsschutz beobachteten Instituts für Staatspolitik verblüffte er selbst Götz Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza als er den Einmarsch der Dschihadisten der Taliban in Kabul als „die einzig richtige Antwort auf den Pride Month“ begrüßte. Krah bezog sich auf einen Tweet der US-Botschaft in Kabul, die wenige Wochen vor dem Taliban-Einmarsch den #pridemonth feierte.
Provokation ist eines von Krahs Kerngeschäften. Auch sein Parteifreund Tomasz Froehlich, Spitzenkandidat der Jungen Alternativen für die EU-Wahl und seit 2019 Berater der EU-Delegation, forderte unlängst ein Verbot des CSD. Krah ist aber nicht nur wegen provokanten Äußerungen umstritten. Ihm wird zu große Nähe zu China und Katar vorgeworfen, bis hin zu Bestechlichkeits- und Betrugsvorwürfen. Er bestreitet alles und sieht darin eine Intrige von „Parteifreunden“. Wegen Betrugsvorwürfe ist er aktuell jedoch in der EU-Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) suspendiert. Insgesamt schon zum dritten Mal.
Die AfD ist seit Jahren relativ isoliert unter den Rechtsaußenparteien in der EU – daran scheint sich so schnell auch nichts zu ändern. Als ein Hauptgrund dafür gilt offenbar Krah. Antiwestliche Äußerungen, seine Nähe zu Russland und China, sowie sein ständiges Lob für noch radikalere und noch weiter rechts stehende Parteien, die in Konkurrenz zu den AfD-Partnern stehen, scheint viele zu stören. Dass die AfD ausgerechnet ihn zum Spitzenkandidaten küren will, kann somit auch als Kampfansage an die vermeintlichen Partner*innen im EU-Parlament verstanden werden.
Aber auch andere Personalentscheidungen an diesem und dem nächsten Wochenende sind von Interesse. Womöglich auf Platz 2 der AfD-Liste für das EU-Parlament möchte Björn Höcke seinen Parteifreund René Aust platzieren. Der 36-Jährige kommt ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen. Bis 2014 war er Mitglied der SPD. In die AfD trat er 2017 ein und arbeitete in Thüringen als Referent in der von Björn Höcke geführten Landtagsfraktion. Seit 2019 sitzt er dank eines Direktmandates als Abgeordneter im Thüringer Landtag. Dort hat er eine steile Karriere gemacht. Seit diesem Jahr ist er stellvertretender Landesvorsitzender. Das EU-Parlament soll wohl als Sprungbrett zu noch höheren Parteiämtern dienen.
Die Partei baut systematisch neues Spitzenpersonal auf. Dafür ist das EU-Parlament eine wichtige Weiche. Es kann als „Abstellgleis“ für ehemalige Parteigrößen dienen oder eben als Sprungbrett. Daher sollte man genau hingucken, wen die AfD an diesem und am nächsten Wochenende aufstellt.
Der Bundesparteitag und die EU-Versammlung werden aber auch zeigen, welcher Parteiflügel sich unterordnet, um die nach außen getragene Harmonie nicht zu gefährden. Oder kommt es doch zu einem Streit auf offener Bühne? Wahrscheinlicher ist aber, dass hinter den Kulissen Absprachen getroffen werden, damit der Parteitag nicht eskaliert wie der letzte, der im Streit vorzeitig abgebrochen werden musste: Harmonie ist eine Strategie.