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AfD Direkte Demokratie von rechts

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Wenn die AfD mit Willy Brandt wirbt, wie 2019 in Brandenburg, will sie verschleiern, dass sie eigentlich die parlamentarische Demokratie abschaffen möchte... (Quelle: Screenshot)

Als sich im März 2013 die AfD gründete, versuchte der damalige BDI-Chef und das AfD-Gründungsmitglied Hans-Olaf Henkel im Gespräch mit dem heute-journal Bedenken zu zerstreuen, dass die AfD mit „Rechten oder Rechtsradikalen“ zu tun haben könnte: Dagegen spreche, dass sie „sich für Volksabstimmungen in wichtigen Fragen einsetzen will“. Ob diese Aussage die Naivität und das Unwissen von Henkel widerspiegelte sei dahingestellt. Er hätte es besser wissen können, ja müssen.

Das wohl bekannteste Volksbegehren von rechten, antidemokratischen Kräften in der deutschen Geschichte war jenes von 1929 gegen die Reparationszahlungen des 1. Weltkrieges (Young-Plan), das als Volksbegehren „gegen die Versklavung des Deutschen Volkes (Freiheitsgesetz)“ in die Geschichte einging. Volksbegehren waren in der Weimarer Republik für die Feinde der parlamentarischen Demokratie ein wichtiger Hebel um eben diese mit Hilfe breiter Propagandafeldzüge zu diskreditieren und den Reichstag als gegen die „Volksinteressen“ gerichtete Quassel- bzw. Quatschbude (Kaiser Wilhelm II und Goebbels) hinzustellen. Auch wenn das Volksbegehren zum Young-Plan aufgrund zu geringer Beteiligung nicht erfolgreich war, hat es nach Auffassung vieler Historiker*innen durch die breit angelegte Desinformationskampagne zu einer nachhaltigen Schwächung der parlamentarischen Demokratie und einem Abwandern von Wähler*innen konservativer Parteien hin zur NSDAP geführt.

Daher verwundert es nicht, dass die extreme Rechte auch in der Bundesrepublik sich für Volksentscheide stark macht. Sie hat aus den Anfangsjahren gelernt. Um in Deutschland erfolgreich zu sein, muss man sich verbal von Diktatur und Nationalsozialismus abgrenzen, sich als die wahren Demokrat*innen inszenieren und den Gegner*innen vorwerfen, gegen Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit zu sein. Auch die NPD hat hierbei ein Lernprozess durchgemacht. In den 2000er Jahren wurden daher Forderung wie „Für eine wahre Demokratie nach Schweizer Vorbild – Volksentscheide jetzt auf allen Ebenen einführen“ wichtiger Bestandteil ihres Politik- und Kommunikationskonzeptes. Bei der NPD war dieses vermeintliche Demokratiebekenntnis aufgrund der vielen in der Partei vertretenen vorbestraften Neonazis aus der Kameradschaftsszene nur bedingt erfolgreich. Dieses Problem hat die AfD weit weniger. Als „Professorenpartei“ gestartet, gehört die Forderung nach direkter Demokratie nach Schweizer Vorbild zu ihren Kernaussagen.

Welchen Stellenwert die Forderung einnimmt, zeigt ein Blick in die aktuellen Wahlkämpfe. In den Wahlprogrammen für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist sie an erster Stelle platziert, wie auch schon 2020 bei den Wahlen in Thüringen und Brandenburg: Die Forderung nach mehr (direkter) Demokratie ist eines der wichtigsten Themen der AfD im Superwahljahr 2020.

Eine Umfrage aus dem Jahr 2017 zeigt, dass 74% der Deutschen sich für direkte Demokratie aussprechen. Also kein Wunder, dass die AfD sich diesem Thema annimmt. Zumal sie damit scheinbar eindrucksvoll widerlegen kann, ein Problem mit der Demokratie zu haben. Die Vorstellungen der AfD, wie für sie direkte Demokratie aussehen soll, lässt aber am Motto „mehr Demokratie wagen“ erhebliche Zweifel aufkommen.

Im August 2019 legte die AfD Bundestagsfraktion einen Entwurf für ein „Direkte Demokratie Einführungsgesetz“ vor. Der Verein „Mehr Demokratie e.V.“, welcher sich seit 1988 für mehr direkte Demokratie einsetzt, kam zu einem vernichtenden Urteil über den Gesetzesentwurf: „Der AfD zu folgen, hätte fatale Auswirkungen für unsere Demokratie, würde Menschen- und Minderheitenrechte in Frage stellen und das Parlament unterlaufen.“ (Quelle: mehr-demokratie.de).

Die Kritik an den Vorstellungen direkten Demokratie von rechts ist seit Jahren die gleiche: Minderheiten- und Menschenrechte sollen unterlaufen und die parlamentarische Demokratie diskreditiert werden. Schon 2010 brachte der damalige sächsische Landtagsabgeordnete von B´90/Die Grünen, Miro Jennerjahn, diese Kritik in einer Debatte um einen NPD-Antrag für Volksentscheide nach Schweizer Vorbild auf den Punkt: „Wenn die NPD plebiszitäre Elemente fordert, glaubt sie, einen Weg gefunden zu haben, die Menschenrechtsorientierung und die normative Basis moderner Demokratien beseitigen zu können. Recht ist demnach, was die Mehrheit verlangt, egal, worauf dieses Verlangen beruht. Minderheitenrechte und der Schutz des einzelnen Menschen existieren nicht mehr. Das ist durch Wahlen verschleierter Sozialdarwinismus.“ (vgl. Gruene-fraktion-sachsen.de). Auch im Gesetzesvorschlag der AfD findet sich keine Regelung, die dafür sorgt, dass Volksbegehren daraufhin überprüfen werden, ob sie dem Grundgesetz entsprechen bzw. Grund- und Minderheitenrechte antasten.

Die AfD fordert zudem, dass durch einen Volksentscheid beschlossene Gesetze eben nur durch einen solchen wieder geändert werden können, aber nicht durch das Parlament. Andersherum sollen durchs Parlament beschlossene Gesetze erst nach 100 Tagen in Kraft treten, da jedes Gesetz in dieser Zeit durch das Volk gekippt werden kann. In einem Konzeptpapier zu ihren Demokratievorstellungen fordert die AFD, dass zukünftig Bürger*innen das Recht erhalten sollen, Kandidat*innenlisten von Parteien abzuändern. Es wäre also keine souveräne Entscheidung einer Partei mehr. Das sägt an den Grundfesten der parlamentarischen Demokratie.

Einige in der AfD wollen aber die Entmachtung und Deligitimierung der parlamentarischen Demokratie noch stärker vorantreiben. Der Bundestagsabgeordnete Enrico Komming, der den Gesetzentwurf der AfD mit in den Bundestag eingebracht hat, plädiert dafür die repräsentative Demokratie fast komplett abzuschaffen: „Die (Parlamentarische Demokratie, Anm. J.R.) wollen wir ja aber gar nicht. Die wollen wir doch abschaffen […] Ich möchte eigentlich, dass wir da oben gar nicht mehr sitzen, sondern dass vielleicht nur noch ein, zwei oder fünf oder wieviel auch immer, also ganz viel, viel weniger Leute sitzen und die nur eigentlich mehr oder weniger die Strukturen begleiten, aber dass die wirklichen Entscheidungen beim Volk bleiben. Und zwar viel mehr, als dass die Schweizer das machen. Die Schweizer bestimmen ja nur über ganz, ganz wenige Sachen mit. Ich finde, fast alles sollte das Volk bestimmen und nur ganz wesentliche, strukturelle Sachen sollten wirklich bei gewählten Abgeordneten bleiben.” (vgl. Nordkurier)

Eine Lähmung der Regierungs- und Parlamentsarbeit könnte auch der aktuelle Gesetzesentwurf der AfD zur Folge haben. Um über einen abgelehnten Gesetzesentwurf das Volk entscheiden zu lassen, bedarf es nach den Vorstellungen der AfD nur 10% der Abgeordneten. Aktuell verfügt die AfD über 12,4% der Abgeordneten im Bundestag. Die AfD hätte dadurch ein Instrument, dass die Gesellschaft sich im Dauermodus mit ihren Inhalten befassen müsste. Die AfD bräuchte dafür nicht einmal Unterschriften zu sammeln um das Volksbegehren zu starten. Das käme der Kampagnenpolitik der AfD sehr entgegen. Schon 2017 beschrieb die AfD in einem Strategiepapier, welches bezeichnenderweise „Demokratie wiederherstellen – Dem Volk die Staatsgewalt zurückgeben“ betitelt war, wie solch eine Kampagnenpolitik auszusehen habe: „Es ist wichtiger, den Finger in die Wunde der Altparteien zu legen, als sich in einer Expertendiskussion um Lösungsvorschläge zu verheddern. […] Konzentration auf Eingängiges geht vor Vollständigkeit, harte und provokante Slogans sind wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze, die es allen recht machen wollen“. Und weiter; „Die AfD muss […] ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein“. (vgl. Belltower.news)  . Diese bevorzugte Kampagnenstrategie schreit quasi nach regelmäßigen Volksabstimmungen um eine Gesellschaft zu kippen.

Während die AfD das Quorum zur Erreichung eines Volksentscheids durch Parlamentarierer*innen extrem niedrig ansetzt, wird es für das ach so geliebte Volk mit 10% der Wahlberichtigten, was aktuell ca. 6,2 Millionen Bürger*innen bedeuten würde, sehr hoch angesetzt. Das AfD-Modell bedeutet eher direkte Demokratie von oben statt von unten. Wie so häufig fordert die AfD je nach Region und Klientel sehr unterschiedliche Sachen. Im Wahlkampfprogramm für Rheinland-Pfalz fordert sie, das Quorum für einen erfolgreichen Volksentscheid von derzeit 25% der Wahlberechtigten komplett zu streichen. Es wäre demnach völlig egal wie viele Personen an dem Volksentscheid teilnehmen, die einfache Mehrheit reicht immer aus um das Ergebnis des Volksentscheids verbindlich zu machen.

Der so häufig zu vernehmende Ruf der AfD nach mehr Mitbestimmungsrecht der Bevölkerung wirkt auch angesichts ihrer anderen Politikvorschläge wenig überzeugend. Abstimmungsberechtigt dürfen nur Deutsche Wahlberechtigte sein, also keine Menschen ohne deutschen Pass, die aber ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland haben und die die Politik unmittelbar betrifft. Auch spricht die AfD sich vielerorts gegen ein Wahlrecht ab 16 Jahren aus, da sie die Jugendlichen noch nicht für reif genug hält. In Thüringen zog sie gar vor das Verfassungsgericht, um das Wahlalter 16 zu verhindern (vgl. thueringen24.de). Hingegen hält die AfD schon 12jährige für so reif, dass sie strafmündig sein sollen. Strafmündigkeit ab 12 Jahren gab es in Deutschland bislang nur in der Nazizeit (vgl. Anwaltsblatt). Auch positionieren sich zumindest Teile der AfD in menschenverachtender Form gegen ein inklusives Wahlrecht. Auf die Frage, ob Menschen mit geistiger Behinderung erlaubt werden solle, an Wahlen teilzunehmen meinte etwa der Thüringer Landessprecher der AfD, Stefan Möller „Das Wahlrecht hat einen viel zu hohen Wert, um Experimente solcher Art zu machen“. (vgl. sueddeutsche.de)

Das alles ist aber auch kein wirklicher Widerspruch zu Formen direkter Demokratie wie die AfD es sich vorstellt. Untersuchungen zeigen, dass Volksentscheide in der Schweiz, aber auch in den USA, weniger die Heterogenität der Gesellschaft abbilden, als es bei klassischen Wahlen der Fall ist und eher Privilegierte und Bessergestellte wählen gehen. Laut dem Politikwissenschaftler Jonas Rädel nehmen „Männer mittleren Alters, Personen mit höherer Bildung, höherem Einkommen und Berufsstatus überdurchschnittlich häufiger an Abstimmungen teil als Frauen, Personen mit geringerer Bildung, niedrigerem Einkommen und Berufsstatus sowie junge, alleinstehende und weniger sesshafte Personen“. (vgl. Katapult-Magazin) Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin sieht durch Volksentscheide wie sie in der Schweiz praktiziert werden auch eine Tendenz zur „Durchsetzung konservativer oder neoliberaler Fiskalpolitik mit negativen Verteilungskonsequenzen für die unteren Einkommensschichten“. Diese Untersuchungsergebnisse dürften in der AfD die Befürwortung direkter Demokratie eher befördern.

Teile der AfD gehen aber noch viel weiter und diskutieren schon seit einiger Zeit das allgemeine Wahlrecht abzuschaffen. Gern gesehener Gast auf hochrangigen AfD-Veranstaltungen ist der Degussa-Chef Markus Krall. Er positioniert sich in Fragen, für wen die Demokratie weiterhin gelten soll, sehr eindeutig; „Wir brauchen eine Reform des Wahlrechts. (…) Ich glaube, dass jeder Anfang der Legislaturperiode eine Wahl treffen sollte. Nämlich entweder zu wählen, also das Wahlrecht auszuüben, das er hat, oder Staatstransfers zu bekommen. (…) Nur, der der einzahlt, darf wählen oder zumindest der, der nichts aus dem System entnimmt, darf wählen.“ Wer also Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, BAföG, Wohngeld oder Kindergeld bekommt, soll nicht wählen dürfen (vgl. Belltower.news). Der sächsische AfD-Chef Urban zeigte offene Diskussionsbereitschaft bei dem Thema. Für den Deutschen Gewerkschaftsbund präsentiert die AfD hier ihr wahres Gesicht: „Die AfD diskutiert hier nichts anderes als einen Generalangriff auf unsere Demokratie. Mit diesen Ideen stellt sich die AfD weit außerhalb des Konsenses des Grundgesetzes.“ (vgl. DGB)

Die Vorstellungen der AfD von direkter Demokratie sind somit nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zur Dezimierung der Demokratie, wie sie in der AfD anscheinend angedacht wird.

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