Im Vorfeld der Wahlen zum sächsischen Landtag am 1. September will der Landesverband der AfD am Wochenende auf einem Parteitag in Lommatzsch bei Meißen sein „Regierungsprogramm“ beschließen. Der 69 Seiten starke Entwurf liegt der LVZ bereits vor und zeugt nach den Wahlerfolgen bei Europa- und Kommunalwahl von Selbstbewusstsein – zu viel Selbstbewusstsein?
Schon in der Präambel des „Trau dich Sachsen“ betitelten Papiers, ist die Rede von einem „revolutionären“ Vorhaben und den „Idealen von 1989“. Auch bei konkreten Forderungen nimmt die AfD den Mund offenbar ziemlich voll. So soll unter anderem Hartz IV abgeschafft und der Rundfunkstaatsvertrag aufgekündigt werden. An den Grenzen des Freistaats will die Partei wieder Grenzkontrollen einführen. Ambitionierte Vorhaben, die zwar die Herzen der potentiellen AfD-Wähler*innen höherschlagen lassen, in der Umsetzung durch eine sächsische Landesregierung jedoch schwer werden dürften. Schließlich liegen die Kompetenzen in diesen Feldern beim Bund. Auch die geforderte Neueinstellung von Polizist*innen dürfte durch Ausbildungszeit und -kapazitäten schnell an ihre Grenzen stoßen.
Durchzogen mit Versatzstücken völkischer und rechter Ideologie
Durch das Papier ziehen sich Versatzstücke völkischer und rechter Ideologie. In der Präambel wird etwa eine „natürlich gewachsene Heimat, die eine sichere sächsische und deutsche Identität prägt“ als Basis der eigenen Politik angeführt. Wenn in dem Entwurf davon die Rede ist, „den ungesunden, gleichmacherischen, bevormundenden Zeitgeist“ außen vor lassen zu wollen, bedient die sächsische AfD das rechte Narrativ des “links-grünen Mainstreams”, gegen den nur die AfD rebelliere. Sozialleistungen sollen stärker als bisher an die deutsche Staatsbürgerschaft gekoppelt werden – und nicht nur an diese: die geforderte Erhöhung des Landeserziehungsgeldes soll nur Menschen zugutekommen, die seit mindestens zehn Jahren deutsche Staatsbürger sind und ihren Hauptwohnsitz in Sachsen haben. Der Islam gehöre nicht zu Sachsen, und die Bevölkerung sollen in Volksentscheiden über die Einrichtung von Moscheen entscheiden können.
Reaktionäres Familienbild soll im Lehrplan verankert werden
Klar ideologisch sind auch die Einlassungen zur Familienpolitik. So heißt es in der Vorlage: „Für uns ist das in Sachsen vorherrschende traditionelle Familienmodell aus Mann, Frau und deren Kindern Grundlage und Voraussetzung unseres Handelns.“ Die vielfältigen und komplexen Familienmodelle, die unser Zusammenleben (auch in Sachsen) heute prägen, werden so explizit ausgeklammert – gleichgeschlechtliche Partnerschaften sowieso. Dieses reaktionäre Familienbild soll darüber hinaus in den Lehrplänen aller Schulformen verankert werden. Offene pädagogische Konzepte werden rundweg abgelehnt.
Kulturpolitik im Sinne der AfD Sachsen
Die gegenwärtige Form der Kulturförderung ist der sächsischen AfD schon lange ein Dorn im Auge. In Dresden etwa bereitet sie der Freien Szene erfolgreich Schwierigkeiten. Im Entwurf zu ihrem Regierungsprogramm heißt es: „Kultur darf kein Tummelplatz für soziokulturelle Klientelpolitik sein.“ Zumindest nicht für das falsche Klientel: Kultur müsse „identitätsstiftend“ sein, als „Spiegel des Selbstverständnisses der sächsischen Bürger“. Und den sächsischen Bürgern traut man viel zu, aber kein Interesse für moderne Kunst. Schon im Vorfeld der Kommunalwahlen hatte der Dresdner AfD-Stadtrat Gordon Engler zu Protokoll gegeben, „neumodische Extravaganzen“ und „exzentrische Randgruppenkunst“ passten einfach besser nach Berlin. Zu oft würden „Kunst und Kultur als linksgrünes politisches Erziehungsinstrument missbraucht“.
Leider sind nun nicht alle Forderungen, die wohl am Wochenende Eingang ins AfD-Regierungsprogramm für Sachsen finden werden, so absurd wie die Rufe nach der Abschaffung von Hartz IV (wohlgemerkt: nur in Sachsen), der GEZ (nur in Sachsen) und des Schengen-Abkommens (nur in Sachsen). Für alle Menschen, die nicht dem Bild der AfD vom „sächsischen Bürger“ entsprechen, wird es mit jedem Wahlerfolg der Partei in Sachsen, bereits mit jedem Mandat auf kommunaler Ebene ungemütlicher. Das Regierungsprogramm führt deutlich vor Augen, was eine Regierungsbeteiligung der AfD auf Landesebene für die Familien-, Bildungs- und Kulturpolitik in Sachsen hieße.
Wie berechtigt ist nun das Selbstvertrauen des AfD-Landesverbandes Sachsen, das sich im Beschluss eines „Regierungsprogramms“ ausdrückt? Ja, bei den Europawahlen wurde die Partei wie schon bei den Bundestagswahlen 2017 erneut stärkste Kraft im Freistaat. Ja, auch bei den Kommunalwahlen verwies die AfD die CDU auf den zweiten Platz. Doch fehlten der Partei nicht auch im Falle eines Wahlsiegs die Koalitionspartner? Ministerpräsident Kretschmer schloss nach dem vergangenen Wahlsonntag eine Zusammenarbeit mit der AfD erneut aus. In der zweiten Reihe aber zeigt sich die Sachsen-CDU weniger abgeneigt: Fraktionschef Christian Hartmann hatte im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt, als er eine CDU-AfD-Koalition nicht prinzipiell ausschließen wollte. Seit Anfang des Jahres arbeitet schließlich der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt am Programm der Sachsen-CDU für die Landtagswahl mit. Patzelt war schon als Berater für die AfD tätig und machte 2015 als „Pegida-Versteher“ von sich reden. Er wird als Türöffner einer schwarz-blauen Zusammenarbeit eingeschätzt. Bei der Arbeit am Wahlprogramm ist er zuständig für dessen „Zuspitzung“.
Einen ganz eigenen „Zuspitzer“ hat die sächsische AfD in petto. Neben den „Flügel“-Kollegen des Spitzenkandidaten Jörg Urban, Björn Höcke und Andreas Kalbitz, hat der US-amerikanische Stratege der Alt-Right Steve Bannon seine Unterstützung im Sachsen-Wahlkampf zugesagt. Auch mit seiner Hilfe soll es gelingen, den populären Ministerpräsidenten Kretschmer abzulösen. Als Wahlziel hat Jörg Urban 30 Prozent der Stimmen ausgegeben, die CDU solle dann als kleinerer Koalitionspartner zur Regierungsmehrheit verhelfen. Das AfD- Regierungsprogramm für Sachsen dürfte beredtes Zeugnis dieses Führungsanspruchs im Freistaat werden – dass er nicht gänzlich aus der Luft gegriffen ist, stimmt bedenklich.