Anfang März hatte der Verfassungsschutz bekannt gemacht, dass die Behörde den sogenannten „Flügel“ der AfD als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“ ab sofort beobachten wird. Für die Gesamtpartei ein Problem, Beamt*innen oder Mitarbeitende des öffentlichen Dienstes können arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen, wenn sie weiter in der Partei und vor allem im Flügel bleiben. Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang kündigte „Einzefallprüfungen“ an.
Kurzfristig schienen sich die Reihen der Partei gegen den Flügel und seine gut 7.000 Mitglieder zu schließen. Die AfD, die sich monatelang über den Verfassungsschutz und eine angebliche „Instrumentalisierung“ echauffiert hatte, blieb merkwürdig still. Es äußerten sich vor allem angeblich gemäßigte Vertreter*innen der Partei, die schon seit längerem den Flügel und dessen Anführer Björn Höcke kritisieren. Der Vorstand der AfD in Nordrhein-Westfalen wandte sich per Brief an den Bundesvorstand, forderte die Auflösung des Flügels um damit „wieder Ruhe in unsere Partei einkehren zu lassen und die bereits begonnene Austrittswelle zu stoppen.“ Uwe Junge, Fraktionschef der Partei im rehinland-pfälzischen Landtag hatte ebenfalls vor Austritten gewarnt und forderte „harte Ordnungsmaßnahmen gegen Höcke“. AfD-Bundesvorstandsmitglied Alexander Wolf bezeichnete Höcke als „König der Eigentore“. Aussagen des thüringischen Vorsitzenden hätten „der Partei in den vergangenen Jahren geschadet – und machen die Partei für viele im Westen unwählbar.“
Vermutlich auch mit diesen Stimmen im Ohr beschloss der Bundesvorstand der Partei am 20. März, den Flügel zur Selbstauflösung aufzufordern. Bis Ende April sollte das laut Beschluss geschehen, dagegen gestimmt hatte lediglich Andreas Kalbitz, neben Höcke ein weiterer wichtigr Flügel-Vertreter, Stephan Brandner, dem ebenfalls Nähe zu der rechtsextremen Parteiorganisation nachgesagt wird, enthielt sich. Die restlichen elf Mitglieder des Gremiums stimmten dafür.
Nur einen Tag später äußerte sich Björn Höcke im Interview mit dem rechtsradikalen Kleinstverleger Götz Kubitschek auf dessen Blog und löst den Flügel auf. Gewohnt verklausuliert spricht Höcke von einer „Historisierung“ des Flügels innerhalb der AfD. Was er damit genau meint, präzisiert er auch nach der zweiten Nachfrage nicht. Offenbar glaubt der Flügel-Chef – nicht zu Unrecht – dass die AfD die Positionen des Flügels mittlerweile zu ihren eigenen gemacht hat, sich also in den letzten Jahren immer weiter radikalisiert hat. Dadurch braucht es den Flügel in der Partei nicht mehr. Die parteiinterne Diskussion ist damit aber noch lange nicht zu Ende, würde der Flügel in der Partei aufgehen, wäre dadurch die Gefahr durch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz noch lange nicht gebannt.
Jörg Meuthen – 2017 und 2018 immerhin noch Stargast beim jährlichen Kyffhäusertreffen, einer Veranstaltung des Flügels – holt ausgerechnet am 1. April zum nächsten Schlag aus. Im Interview mit dem rechtskonservativen Blog Tichys Einblick fordert Meuthen eine Trennung von AfD und Flügel. Beide Gruppierungen könnten, so Meuthen, mehr Wähler*innen mobilisieren, wären sie nicht in der Partei aneinander gebunden: „Jeder weiß, dass der Flügel und dessen maßgebliche Exponenten uns ganz massiv Wählerstimmen im bürgerlichen Lager kosten, und ich denke auch, dass die ordoliberalen Ansichten des bürgerlich-konservativen Teils der AfD noch bessere Ergebnisse im staatpaternalistisch [sic!] geprägten Wählermilieu des Flügels verhindern.“
Das kommt allerdings im großen Rest der Partei überhaupt nicht gut an. Unterstützt wird Meuthen jetzt nur noch von von den wenigstens, darunter der Berliner AfD-Fraktionsvorsitzenden Georg Pazderski, der spricht von einem „sehr interessanten Ansatz“, den man „durchaus diskutieren solle“.
Tino Chrupalla, Co-Vorsitzender der AfD neben Meuthen, reagiert harsch: „Wer eine Diskussion über die Zukunft der Partei anstoßen will, der tut dies erstens in den zuständigen Gremien und zweitens ergebnisoffen. Er sei „überrschascht“ von Meuthens Interview gewesen und „und menschlich enttäuscht“. Auch der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland ist alles andere als begeistert: „Die Überlegungen von Jörg Meuthen sind wenig zielführend und extrem unpolitisch“, lässt er wissen. Alice Weidel, Fraktionschefin im Bundestag nennt die Idee des Vorsitzenden „völlig verfehlt“, Höcke bezeichnet Meuthens Plan als „töricht und verantwortungslos“. Die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch erwähnt immerhin, dass es „rote Linien“ geben müsse, „aber IN EINER PARTEI. Das ist der richtige Weg – und der einzige (sic!).“
Jetzt ist klar: Meuthen hat hoch gepokert und verloren. Am Montag, den 06. April. tagte der Bundesvorstand per Telefonkonferenz und veröffentlichte danach eine Pressemitteilung, die ein Schlag ins Gesicht von Meuthen sein dürfte.
Meuthen habe „eingeräumt mit seinem Interview in Tichys Einblick einen großen Fehler gemacht zu haben“ und „erklärt, die Diskussion nicht weiter zu führen“. Meuthen würde sich „zur Geschlossenheit der AfD als einheitlicher Partei“ bekennen und bekräftigen „ausschließlich in diesem Sinne gemeinsam vorzugehen.“ Gesicht wahren sieht anders aus. Meuthen wird offensichtlich zurechtgewiesen. Das könnte auch ein Zeichen des Flügels sein. Mit der rechtsextremen Parteiorganisation sollte man es sich offensichtlich nicht verscherzen, die Demütigung in aller Öffentlichkeit könnte eine Folge sein, wie der Umgang mit Meuthen beweist.
Die ersten personellen Konsequenzen gibt es jetzt bereits. Uwe Junge, der angeblich „gemäßigte“ Fraktionschef in Rheinland-Pfalz hatte bereits am 05. April seinen Rückzug angekündigt. Nach Ablauf der Legislaturperiode will er an 20121 „in den Ruhestand gehen“. Wie die Zukunft des AfD-Co-Vorsitzenden aussieht, steht derweil in den Sternen.