Erst kürzlich titelte der Tagesspiegel: „Haben Rechtsextreme Rechtsextreme beobachtet?“ Es hatte sich herausgestellt, dass Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes, die für die Beobachtung von Rechtsextremen verantwortlich waren, sich gegenseitig rassistische und rechtsextreme Memes geschickt hatten. Ein absurdes Paradoxon, dass sich ähnlich im „Parlamentarischen Kontrollgremium“ (PKGr) wiederfindet, in dem auf Bundesebene seit 2018 Roman Reusch als Vertreter der rechtsradikalen AfD anwesend ist.
„Das PkGr ist für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig und überwacht den Bundesnachrichtendienst (BND), den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Die Bundesregierung ist nach dem Kontrollgremiumgesetz dazu verpflichtet, das PKGr umfassend über die allgemeinen Tätigkeiten der Nachrichtendienste und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Das PKGr kann von ihr außerdem Berichte über weitere Vorgänge verlangen“, so heißt es auf der Website des Bundestages. Jedes Bundesland hat ein eigenes Gremium für die ansässigen Geheimdienste. Das Gremium setzt sich aus neun Abgeordneten aller Fraktionen zusammen und wird vom Bundes- bzw. Landtag gewählt. Das PKGr besteht in seiner jetzigen Form seit 1978 und ist seit 2009 auch verfassungsrechtlich in Artikel 45d verankert. Die Arbeit und die Sitzungen des Gremiums unterliegen der Geheimhaltungspflicht, was es zu einem eher mysteriösen Organ macht. Zur Entmystifizierung beitragen, soll seit 2017 eine jährliche Anhörung der Präsident*innen der Geheimdienste durch die Mitglieder des Gremiums. Die dreistündige Anhörung ist auf der Website des Bundestages archiviert.
Das PkGr kann Bewertungen abgeben und Forderungen an die Bundesregierung stellen, so zum Beispiel geschehen im Fall „rechtsextremer Netzwerke mit Bezügen zur Bundeswehr.“ In einer öffentlichen Bewertung fordert das PkGr: „Das Parlamentarische Kontrollgremium erwartet, dass die Bundesregierung die Nachrichtendienste des Bundes als einen wichtigen Teil der föderalen Sicherheitsarchitektur mehr denn je dazu anhält, auch bei der Extremismusabwehr Hand in Hand zusammen zu arbeiten.“ Aus der Bewertung folgte im September 2019 eine Reform des MAD, die auch eine Aufstockung des für Rechtsextremismus zuständigen Personals festlegte. (vgl. die Zeit)
In der Vergangenheit gab es immer wieder Diskussionen über die Mitgliedschaft von Parteien, die im Verdacht standen, extremistisch zu sein. So betraf dies in den 80er Jahren „die Grünen“, in den 90er Jahren die PDS und aktuell die AfD.
In den letzten Jahren hat das Gremium durch die öffentlichen Anhörungen und auch den Führungswechsel im Verfassungsschutz an Bedeutung und Sichtbarkeit gewonnen. Gremiumsmitglied Ulli Grötsch (SPD) sagt auf Nachrfrage von Belltower.News: „Ich bin mir sicher, dass das PKGr in den letzten Jahren großen Einfluss auf die Arbeitsweise des BfV hatte. Durch eine intensive Befassung mit einer Vielzahl von Vorgängen im BfV haben wir deutlich gemacht, wie wir uns ein modernes Amt vorstellen. Unter Präsident Maaßen war dies schwieriger als unter Präsident Haldenwang, der nach meiner Wahrnehmung hinsichtlich der Schwerpunktsetzung grundsätzlich in die gleiche Richtung denkt, wie wir Mitglieder des PKGr es tun.“
Die AfD im Kontrollgremium
Bei den Landtagswahlen in Thüringen im Herbst 2019 wurde die AfD zur zweitstärksten Kraft, deswegen stehen ihr zwei Plätze im Thüringer PKGr zu. Aktuell scheiterte die Wahl der Kandidat*innen aber immer an der fehlenden Mehrheit. (vgl. SZ)
Auf Bundesebene ist die AfD seit dem 1. Februar 2018 im PkGr in Person von Roman Reusch vertreten. Bis zu seiner politischen Tätigkeit im Bundestag war Reusch als leitender Oberstaatsanwalt in Berlin tätig. Reusch fiel bereits in den 00er Jahren mit „kontroversen“ Äußerungen zum Thema Kriminalität von Migrant*innen auf. Im Mai 2007 sagte Reusch in einem Gespräch mit dem Spiegel, in Bezug auf Jugendkriminalität unter Menschen mit Migrationshintergrund: „[…] jeder Einzelne dieser ausländischen Täter [hat] in diesem Land nicht das Geringste verloren.“ Seit 2013 ist Reusch Mitglied der AfD und hat damit den kompletten Radikalisierungsprozess mitgemacht und mitgetragen. Reusch äußerte sich auch in seiner politischen Tätigkeit vermehrt antimuslimisch und rassistisch. Seiner Meinung nach sei Deutschland „auf dem besten Weg in die islamische Republik“, so zitierte ihn 2018 der Spiegel.
Roman Reusch nahm bisher an einer öffentlichen Anhörung am 29. Juni 2020 teil, bei der er zwei Fragen stellte, die die Schwerpunkte seiner Partei in Bezug auf die Arbeit der Geheimdienste deutlich werden lassen: Zunächst erkundigt er sich über die aktuelle Wirkung und das Potential von Dschihadisten in Deutschland. Die Fokussierung auf islamistischen Terror ist ein Werkzeug der AfD, um rassistische Stimmung und Angst zu schüren. Reuschs zweite Frage bezieht sich auf Rechtsextremismus, allerdings bagatellisiert er ihn. Reusch sagt: „Nach meinem Eindruck haben wir in letzter Zeit besonders intensiv eine ausgesprochene Kampagne zur Delegitimierung unserer Sicherheitskräfte: Polizei alles Rassisten, Soldaten nicht nur Mörder, sondern jetzt auch noch alles Nazis… Und da frag ich mich: Was macht das eigentlich mit unseren Soldaten?“ Eine Verharmlosung von Rechtsextremismus und Rassismus, im Allgemeinen sowie im Speziellen in Bundeswehr und Polizei. Zugleich versucht die Reusch sich bei den Beamt*innen anzubiedern.
Das AfD Paradoxon
Zur internen Arbeit und dem Einfluss von Roman Reusch können die anderen Gremiumsmitglieder aufgrund des Geheimhaltungspflicht keine Auskunft geben. Allerdings ist offensichtlich, dass eine fragwürdige Konstellation entstanden ist, in der die Partei eines Gremiumsmitglieds selbst in Teilen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes und damit unter Beobachtung einer der zu kontrollierenden Institutionen steht. Der Vorsitzende des PkGr Armin Schuster (CDU) sagt auf Nachfrage von Belltower.News: „Kurzfristig hat die AfD zu einem intensiven Arbeitsanfall beim Bundesamt für Verfassungsschutz geführt – allein schon wegen der Beobachtung des Flügels und der Jungen Alternative.“
Die AfD ist mittlerweile in allen Landtagen vertreten und seit 2016 mit 89 Abgeordneten im deutschen Bundestag. Sie hat dabei nicht nur Rechtsaußen-Gedankengut mitgebracht, sondern auch Personen mit direkten Verbindungen ins rechtsextreme Milieu im Parlament angestellt, wie Recherchen der „taz“ vor zwei Jahren belegten. Die kürzlich öffentlich gewordenen Äußerungen des ehemaligen Pressesprechers der AfD, Christian Lüth, offenbaren einen weiteren tiefen Blick in die Gedankenwelt der AfD. (vgl. die Zeit) Inwieweit die Partei durch das PKGr Einfluss auf die Geheimdienste nimmt, ist aufgrund der Geheimhaltung schwer zu sagen. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass sich Roman Reusch mit seinen Positionen in der Minderheit befindet. Uli Grötsch antwortet auf die Frage nach der Wirkung der AfD auf die Arbeit des Verfassungsschutzes: „Ich gehe davon aus, dass der Verfassungsschutz noch über Jahre hinweg mit einer sich mit rasender Geschwindigkeit radikalisierenden AfD beschäftigt sein wird.“ Wahrscheinlich von beiden Seite: Als Beobachtungsobjekt und als Beobachter*in.