Ethnopluralismus, die Version des Rassismus, die die „Identitären“ pflegen, um nicht mehr Rassist_innen genannt zu werden, lässt manche erstaunliche Volte zu. Im Kern glauben Ethnopluralist_innen, dass es viele verschiedene Völker und Kulturen gibt, und das das auch gut so ist, solange sie sich nicht „vermischen“ – also, solange es keine Migration gibt. Ohne ein ethnopluralistisches Weltbild wäre die neueste Aktion der zuletzt recht glücklosen „Identitären“ nicht zu erklären: Ein Video zeigt „identitäre“ Aktivisten, darunter Sven Engeser von der „IB Schwaben“, der auch für die „AHA!“-Website verantwortlich zeichnet, die mit „AHA!“-T-Shirts durch ein Zeltlager laufen, nach eigenen Angaben im Libanon. Hier möchten sie helfen, und zwar den Familien, die sie hassen, wenn sie nach Deutschland kommen: Sie sprechen mit verschleierten Frauen und bärtigen Männern und filmen lebhafte Kindern.
Dazu erklärt die Website die Idee rassistisch motivierter Flüchtlingshilfe: Die sollen halt da bleiben, wo sie herkommen, und nicht zu uns. Aber dafür wollen die „Identitären“ auch etwas tun, und zwar besser als die bisher engagierten professionellen Hilfsorganisationen. Denn sie wollen sich beim Helfen „an den kulturellen Begebenheiten der Einheimischen orientieren, ein Aufzwängen westlichen Denkens vermeiden und so die Identität der notleidenden Bevölkerung bewahren.“ Identität, natürlich. Die Vorstellung, dass Rechtsextreme zukünftig lieber in Krisenregionen „nachhaltige Strukturen auf(…)bauen, die langfristige Perspektiven ermöglichen“, als in Deutschland an der Destabilisierung demokratischer Werte mitzuwirken oder Propaganda für rassistische Übergriffe auf Geflüchtete zu machen, klingt verlockend, selbst wenn das Engagement rassistisch motiviert ist.
Aber was tut „AHA!“, was für „Alternative Help Association“ stehen soll, denn eigentlich? Bisher, nach eigenen Angaben, etwa 50 Dollar im Monat an eine nicht genannte Zahl syrischer Familien in libanesischen Flüchtlingslagern zahlen, damit diese ihren Zelt-Platz finanzieren können – eine Idee, die Cash-System-Programme der UN etwa auch verfolgen. Später sollen auch Lehrkräfte finanziert werden für die Kinder „von Familien, die nach Syrien zurückkehren.“ Und damit Deutschland verlassen. Trotzdem: Nicht verkehrt. Ob es allerdings „Kamerad_innen“ geben wird, die das angedachte Angebot annehmen, vor Ort syrische Familien handwerklich zu unterstützen, dürfte noch interessant werden.
Die Reaktionen in der Szene, zumindest wie sie auf Facebook sichtbar werden, sind deutlich gespalten. Die zustimmenden Fans koppeln ihre Freude über die Sinnhaftigkeit des Projektes mit Kritik an bestehenden Hilfsorganisationen („dass sich andere soziale Organisationen nur bereichern wollen und nicht gewillt sind diese Probleme zu mindern oder gar abzuschaffen.“ „Leider verdienen einfach zuviele Global Player mit dem Leid dieser Leute.“). Ablehnende Stimmen klingen dann gern mal so wie die von „Guntar“: „Ich setze lieber auf sichere Grenzen und gute bewaffnung. Als zu versuchen in irgendwelchen Ländern einzumischen. Jedem das seine. Nicht falsch verstehen.“ (Fehler im Original, und nein, die Anspielung auf das Konzentrationslager Buchenwald, über dessen Eingang „Jedem das Seine“ stand, verstehen wir bestimmt nicht falsch). Auch als „super naive Gutmenschen“ müssen sich die „AHA!-Aktivisten“ beschimpfen lassen. Ein Unterstützer kontert empört: „gutmenschen/bessermenschen/übermenschen sind was anderes. in syrien zu helfen ist preiswerter als hier in deutschland. nur verdient die asylindustrie in deutschland nichts dabei.“ (Auch im Original so. So viel zur Pflege deutscher Sprachkultur in der digitalen Kommunikation).
Verdienen ist ein gutes Stichwort, denn letztendlich geht es auch bei „AHA!“, wie so oft bei den „Identitären“, um die Sammlung von Spenden – natürlich ohne Transparenz über Spenden oder Verwendung der gespendeten Gelder. Während normale Spender_innen hinterfragen würden, ob ihr Geld auch tatsächlich bei notleidenden Familien ankommt oder für „identitäre“ Flugtickets und Videoproduktion verwendet wird, gibt es in der rechten Sphäre einen Vertrauensvorschuss qua ideologischer Verbindung. „Lorrd Socar“ schreibt etwas: „vielleicht ergibt sich auf diesen Wege, eine Möglichkeit dass ein Druck durch diese Kräfte in den Bevölkerungen auf die betreffenden Regierungen, die Loslösung der Abhängigkeiten durch die Mainstream- Hilfsorganisationen erzwingt. Das wäre für alle das Beste denke ich.“ Ob die Menschen vor Ort wirklich von den „Mainstream-Hilfsorganisationen“ losgelöst werden wollen und glauben, dass zwei „IB“-Aktivisten in einem Zeltlager Druck auf Regierungen ausüben können?
Immerhin sind die „AHA!“-Macher offenbar schon selbst auf die Idee gekommen, das der Eindruck entstehen könnte, man wolle auf diese Weise unlauter Gelder für andere „IB“-Aktionen sammeln, zumal die „Identitären“ in Österreich derzeit so massive Probleme mit der staatlichen Strafverfolgung haben und derzeit zu Spenden an die „IB Deutschland“ aufrufen, weil ihre eigenen Konten gesperrt wurden. Deshalb, so wird auf der Website begründet, trete man auch nicht unter IB-Namen auf: „Durch die Gründung eines eigenen Vereins samt eigenem Konto wollen wir die Spendengelder nach der Intention aufteilen: Hilfe vor Ort in den Krisenländern oder patriotische Aufklärungsarbeit in Europa.“ Das müssen potenzielle Spender_innen jetzt nur noch glauben.
Mehr im Internet:
Ein paar interessante Zusatzbeobachtungen auf Englisch:
- Why has an anti-immigrant ‚extremist‘ NGO set up in Lebanon? (Al Jazeera, Juni 2018)