„H!NGUCKEN“ – diesen Button trug am Freitagabend, den 14. September, eine Vielzahl der bis zu 6000 Besucher der Aktion „Auf die Plätze!“ in Halberstadt. Sachsen-Anhalts Regierung hat diesen Spruch kreiert, um zu erreichen, dass Bürger nicht länger ‚wegschauen‘, wenn rassistische Gewalt in ihrem Bundesland passiert. Das war zum Beispiel am 9. Juni diesen Jahres in Halberstadt der Fall, als eine Gruppe Schauspieler nach der Premierenfeier zur „Rocky Horros Picture Show“ auf offener Straße von Neonazis krankenhausreif geschlagen wurde. Noch nicht einmal die herbeigerufene Polizei schaute genau hin und kümmerte sich um die Täter.
Halberstädter eroberten ihre Plätze zurück
Nach diesen gewaltsamen Übergriffen wollte das Nordharzer Städtebundtheater ein Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen. Zusammen mit der Stadt Halberstadt und vielen Sponsoren und Partnern stellten sie eine beispiellose Aktion auf die Beine: mit Kunst und Kultur sollte der öffentliche Raum für die Demokratie zurückerobert werden. Bis zu 6000 Menschen aus Halberstadt und der Region Harz folgten dem Aufruf und gingen am letzten Freitag „Auf die Plätze!“. Von 19 Uhr an wurde buchstäblich „bis in die Puppen“ getanzt, gesungen und gespielt.
Der Höhepunkt des ganzen Abends war die Performance der „Rocky Horror Show“ auf dem Fischmarkt, jenes Stücks, deren Darsteller im Juni von Neonazis krankenhausreif geschlagen wurden. Mit ihrer farbenfrohen und schrillen Show zogen sie die zahlreichen Besucher in ihren Bann und machten die Negativschlagzeilen der letzten Monate zumindest für einen Augenblick vergessen. Doch auch auf anderen Plätzen in Halberstadt wurde erfolgreich gegen das Image des „braunen Sumpfs“ angekämpft. Auf einer Bühne am Halberstädter Hauptbahnhof präsentierten sich junge Musiker aus der Region wie Ten Sing, Subsoil Empire und Vit-Armin B und brachten in einigen Songs ihren Unmut gegenüber rechter Gewalt zum Ausdruck. Der Park an der Plantage verwandelte sich in ein buntes Kinderparadies mit dem Figurentheater „Spatz Fritz“ und der Tiershow des Halberstädter Tierparks. Und auch die beiden Halberstädter Gymnasien beteiligten sich mit Theater, Musik und Sport tatkräftig an der Aktion.
Die von dieser Gewalttat im Juni betroffene Theatergruppe machte am Freitag den Auftakt in Halberstadts Fußgängerzone. Punkt 19 Uhr zeigte sie auf offener Bühne Szenen aus der „Rocky Horror Picture Show“, ihr Auftritt wurde sogar vom ZDF-Theaterkanal live übertragen, moderiert von Theo Koll. „Wenn Mügeln nicht passiert wäre, wäre der sicher nicht hier“, unkten Umstehende.
Im Fall des Überfalls auf die Theatertruppe hatten die eingesetzten Beamten kaum Anstalten gemacht, die noch greifbaren Täter zu fassen. Diesmal stand die Stadt quasi unter Polizeischutz. Eine Gruppe Neonazis, die sich zu Beginn in einer der Plattenbau-Siedlungen Halberstadts sammelte, wurden von Zugang in die Innenstadt abgeschirmt.
Als Vertreter*in der Landesregierung nahmen die Justizministerin von Sachsen-Anhalt und der Leiter der Staatskanzlei teil. Sie betonten, wie wichtig es sei, noch mehr Anstrengungen mit langem Atem durchzuführen, um den Rechtsextremisten den Nachwuchs abzuschneiden. 80 Prozent der rechtsextremen Gewalttäter in Sachsen-Anhalt seien unter 25 Jahre alt.
„Schön wäre es natürlich, wenn nach dem Halberstädter Vorbild auch anderswo engagierte Bürger*innen so auf die Straße gehen und es nicht immer nur bei denen bleibt, die sich eh engagieren.“