Am Morgen des 24. Februar 2022 beginnt die Russische Föderation in der gesamten Ukraine einen Angriffskrieg. Den Ereignissen geht eine einseitige Anerkennung der Souveränität der pro-russischen Separatistengebiete rund um Donezk und Lugansk durch den Kreml voraus. Während russische Raketen auf ukrainische Städte niedergehen und Invasionstruppen von drei Seiten in das Land eindringen, frohlockt die radikale Rechte Russlands. Der „Eurasier“ Alexander Dugin verkündet den Beginn der „großen slawischen Reconquista“. Der monarchistisch-christliche Oligarch Konstantin Malofejew, laut ukrainischem Innenministerium einer der Finanziers der Separatisten in der Ostukraine, spricht derweil vom Ende „der Zeit unserer Schmach“.
Insbesondere Alexander Dugin ist im Westen alles andere als ein Unbekannter. Die Auslandspresse spekuliert gern über sein Verhältnis zu Putin und einen etwaigen Einfluss auf die russische Außenpolitik. Sowohl Dugin als auch Malofejew verfügen über dokumentierte Verbindungen zur rechtsextremen „Neuen Rechten“ in Deutschland, Frankreich und den USA. Trotzdem vertreten die beiden teilweise unterschiedliche ideologische Positionen. Sie stehen ferner nur für einen Teil des durchaus pluralen rechten Spektrums der Russischen Föderation. In den kommenden Tagen beschäftigt sich Belltower.News deshalb mit russischen Rechtsradikalen, ihren Verschränkungen mit dem Kreml und ihren Kontakten zu AfD und europäischen Nationalist:innen. Für einen ersten Überblick folgt hier jedoch ein Blick auf das Tagesgeschehen: Wie steht Alexander Geljewitsch Dugin zum Krieg gegen die Ukraine?
Eine radikal rechte Stimme
Schon in der Sowjetunion kam Dugin mit rechtsextremem und esoterischem Gedankengut in Verbindung. Seit dem Zusammenbruch des Riesenstaates engagiert sich der politische Philosoph am rechtsextremen Rand. Im Zentrum seines in zahlreichen Schriften ausformulierten Weltbildes steht eine Gegenüberstellung zwischen Gut und Böse. Die „Landmächte“ unter Führung Russlands befinden sich demnach in einem Krieg mit den teuflischen „atlantischen Seemächten“ unter der Führung der USA. Der selbsternannte Geopolitiker Dugin träumt von einem geeinten eurasischen Festland, das sich unter russischer Vorherrschaft dem verderblichen Einfluss „des Westens“ entgegenstellt: „Wenn sie ein russischer Patriot sind, dann müssen sie sagen ‚der Westen ist unser Feind‘“, erklärt Dugin deshalb auch in einem Interview mit dem kremltreuen Nachrichtenportal Vashi Novosti vom 10. Februar. Zu dieser Zeit zieht Russland seine Invasionstruppen an der ukrainischen Grenze zusammen.
Mag Dugin Ende der 1990er einen unmittelbaren Einfluss auf politische Entscheidungsträger:innen besessen haben, geht dieser laut Expert:innen spätestens seit 2014 zurück. Als die Gewalteskalation im Donbass damals ihren Anfang nahm, war Dugin unzufrieden mit dem seiner Meinung nach zögerlichen Vorgehen des Kremls. Den Ukraine-Krieg von heute wünschte er sich folglich schon vor sieben Jahren. „Der Kreml war in einer geopolitisch glasklaren Situation nicht zum entschiedenen Handeln bereit“, erinnert er am 22. Februar 2022 mit Blick auf das soeben obsolet gewordene Minsker Abkommen. Wenige Stunden zuvor hatte Russland die Unabhängigkeit von Donezk und Lugansk anerkannt. Dugin beklagt nun, für die selbe Forderung im Jahr 2014 aus dem Staatsfernsehen verbannt worden zu sein.
Im Jahr 2022 ist Alexander Dugin Chefredakteur des rechtsradikalen Think Tanks und Nachrichtenportals Katehon. Involviert ist er auch in den christlich-erzkonservativen TV-Sender tsargrad.tv, der sich selbst als russisches Pendant zu Fox News begreift – dem Organ US-Amerikanischer Neokonservativer und Trump-Anhänger:innen. Katehon und tsargrad.tv sind beides Projekte des Oligarchen Konstantin Malofejew. Sie sind Plattformen der russischen radikalen Rechten und keine Staatsmedien im engeren Sinne. Dennoch tragen sie Putins außenpolitischen Kurs weitestgehend mit. Ihre Berichterstattung über den Krieg folgt jener des Kremls. Ziel der „russischen Spezialoperation“ sei demnach die „Denazifizierung und Demilitarisierung“ der Ukraine. Zumindest für Dugin setzt dies jedoch eine „Befreiung“ des gesamten ukrainischen Staatsgebiets voraus.
Dugin tritt hin und wieder auch in den kremltreuen Medien in Erscheinung. Tituliert wird er dort als „Experte“ oder als „Politologe“ und nicht etwa als rechtsradikaler Demagoge. Daneben agitiert er auf seinem Telegram-Kanal (lediglich 3.900 Follower) und im russischen Social-Media-Portal Vkontakte (VK), wo er über 34.000 Abonnent:innen verfügt.
„Die sieben Jahre des Schreckens sind vorüber“
Da Dugin bereits früher als Befürworter eines Krieges gegen die pro-westliche Regierung in Kiew aufgetreten war, sieht er sich durch die jüngsten Ereignisse in seiner Weltsicht bestätigt: „Mit einer Verspätung von sieben höllischen Jahren tut der Kreml endlich das, was er schon längst hätte tun sollen“, schreibt Dugin in einem Artikel für Katehon vom 22. Februar 2022.
Den Beginn der Kampfhandlungen assoziiert Dugin mit dem Anbruch einer „neuen Zeit“. Demnach würden die Menschen nun einen „neuen russischen Frühling“ erleben, der Kampf um die Ukraine sei die Bedingung für die Wiedergeburt des russischen Imperiums. Auf VK erklärt er das postsowjetische Russland Boris Jelzins – „1991 von einer Bande westlicher Agenten errichtet“ – für beendet. Stattdessen steige nun das „ewige Russland“ aus der Asche auf. „Der heutige Tag markiert das Ende unserer dreißigjährigen Wanderung in der Wüste und unseren Einzug in das gelobte Land“, kommentierte Dugin auch gegenüber der Nachrichtenagentur FAN, die dem Dunstkreis der berüchtigten „Russian Troll Factory“ zuzuordnen ist.
Der russischen Opposition wirft Dugin hingegen – in Eins mit der gesamten Putin-treuen Presse – Verrat vor. Jede:r müsse sich demnach entscheiden, ob er oder sie „echte Russ:innen“ sind.
„Das ist kein Krieg mit der Ukraine. Das ist eine Auseinandersetzung mit dem Globalismus als ganzheitliches, planetarisches Phänomen“
Den Krieg mit der Ukraine weiß Dugin in sein übergeordnetes Weltbild einzubinden. In klassisch neurechter und verschwörungsideologischer Manier ist der wahre Feind dabei nicht etwa das ukrainische Volk, sondern der globalistisch-liberale Westen: „Der Westen ist einfach ein Irrläufer, ein Produkt der rasanten Degeneration einer einst strahlenden Kultur. Aber auch mit ihm ist nicht alles bedauerlich. Das Problem liegt einzig bei den infernal-satanischen globalen Eliten, die die Macht über die Völker des Westens an sich gerissen haben“, schreibt Dugin am 24. Februar 2022 auf VK. Wenige Sätze weiter assoziiert er die „globale Elite“ mit dem Antichristen und der „Weltregierung“. Demgegenüber bewahre nur Russland die Welt vor dem Untergang. Der Krieg sei „eine präventive Maßnahme – zeitgemäß und logisch“.
In den darauffolgenden Tagen bemüht Dugin sich noch immer, die ideologischen Dimensionen dieses Konflikts herauszustellen: „Russland lehnt am Globalismus alles ab – Unipolarität und Atlantismus einerseits, andererseits Liberalismus, Traditionsfeindlichkeit, Technokratie, in einem Wort den Great Reset“, schreibt er am 27. Februar auf VK unter Verweis auf eine der gängigsten neurechten Verschwörungserzählungen. Die „Völker Europas“ ruft er dazu auf, mit der korumpierten Idee des Westens zu brechen: „Der Bruch mit dem Westen ist kein Bruch mit Europa. Das ist ein Bruch mit Tod, Degeneration und Selbstmord. Das ist der Schlüssel zur Gesundung.“ Sogar die Menschen in den USA müssten „jenen folgen, die den Globalismus ablehnen“. Russland sei gerade dabei, „eine wirklich multipolare Welt zu schaffen“.
„Globalismus“, „Liberalismus“, „Satanismus“ und „Weltregierung“ sind indes alles Chiffren mit einem letztlich antisemitischen Unterton. Traditionsbewusste Völker einer kleinen und entwurzelten Elite entgegenzustellen, berührt den modernen Antisemitismus in seinem Kern. Solche Argumentationsmuster sind auch von der „Neuen Rechten“ in Europa bekannt, die Antiamerikanismus und Antiliberalismus ebenfalls groß auf ihre Fahnen schreibt. In diesem Sinne ist es nicht zufällig, wenn auch Dugin in seinen Schriften Carl Schmitt und weitere Denker:innen aus dem Dunstkreis des Deutschen Konservatismus referiert. Seit den 1990ern unterhält er zudem Kontakt zum neurechten Theoretiker Alain de Benoist. Auch seine Bekanntheit im Westen hängt mit diesen Überschneidungen zusammen.
Dugin fordert „ostslawische Vereinigung“
Ideologisch eingefärbt ist weiterhin Dugins Vorstellung vom Schicksal der Ukraine. Dem Narrativ von der Wiedergeburt des russischen Imperiums folgend, träumt er von einer „ostslawischen Vereinigung“ Russlands mit der Ukraine und Belarus. Damit gemeint ist, dass die beiden letztgenannten Staaten ihre nationalstaatliche Souveränität wieder verlieren – ein Prozess, der sich mit Bezug zu Belarus unter Diktator Lukaschenko tatsächlich zunehmend beobachten lässt. In einem Interview mit tsargrad.tv bezeichnet Dugin die Ukraine am 22. Februar deshalb als einen „failed state“, sie habe sich die falschen „Herren“ ausgesucht. Am ersten Kriegstag attestiert Dugin dem russischen Nachbarland gar eine „historische Unfähigkeit“ zur Staatsgründung. Damit folgt er der Argumentationslinie von Präsident Putin.
Dass Russland die Ukraine vielleicht nicht einverleibt, sondern in Kiew lediglich eine Kreml-treue Regierung einsetzt, lehnt Dugin in seinen „Anmerkungen aus der Kriegszeit“ vom 28. Februar hingegen konsequent ab: „Die Ukraine als Projekt oder als Realität war, ist und kann nur Anti-Russisch sein. Wozu bräuchte sie andernfalls eine eigene Staatlichkeit?“ „Patrioten“ müssten sich dahingehend aber keine Sorgen machen, der russische Einsatz werde allen Widrigkeiten zum Trotz bis zu seinem „Endziel“ fortgesetzt.
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