Gesellschaftliche Entwicklungen, die auf die gleichen Rechte für alle abzielen, werden als Verlust der männlichen Vorrechte gesehen, da die Überlegenheit von Männern als selbstverständlich angenommen wird. Zivilgesellschaftliche Kämpfe für eine fairere, inklusivere Gesellschaft werden damit als Gefahr für patriarchale Macht- und Herrschaftsstrukturen erkannt und
von vermeintlichen Männerrechtsaktivisten entsprechend bekämpft. Dies äußert sich einerseits in direkten Gewaltakten (wie in den Fallanalysen ausführlich beschrieben wird), aber auch in Aussagen, sich die antidemokratische, sexistische Machtposition zurückholen zu wollen.
Männlichkeit: „Jungs brauchen Gewalt!“
In rechtsextremen Büchern, Posts und Videos finden sich vermehrt Stimmen, die behaupten, Männer könnten sich in einer Art urwüchsigen, germanischen Rudelsituation am besten entfalten – ohne dabei von einem weiblich verstandenen zivilisatorischen Korsett in ihrer Natürlichkeit eingeschränkt zu werden. Revierkämpfe und kameradschaftliche, gesunde Prügeleien zwischen erwachsenen Männern werden hierbei als angemessene Interaktionen propagiert.
Jack Donovan inszeniert sich als Fürsprecher einer als Clanwesen strukturierten Männergesellschaft. Der US-Amerikaner ist international gut vernetzt, insbesondere mit dem neurechten Verlag Antaios, der seine Bücher in Deutschland vertreibt. Historiker Volker Weiß beschreibt ihn als „apokalyptische[n] Frauenfeind mit dem Hang zum Neandertaler“. Für Donovan ist Gewalt ein „männliches Wesensmerkmal“ , das als hilfreich anerkannt und mitunter lustvoll zelebriert werden solle und gilt hierbei als die einzig sinnvolle Möglichkeit, Regeln und Ordnung innerhalb menschlicher Gemeinschaften zu installieren.
Gleichzeitig werden Frauen als Besitztümer und Ressourcen gesehen, deren wichtigste Merkmale ein angenehmes Aussehen
und Auftreten seien. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen wird aus der Perspektive der männlichen Ehrverletzung problematisiert.
Dies könnte als skurriles Hinterwäldlertum belächelt werden – allerdings erscheinen entsprechende Bücher beim neurechten Martktführer Antaios, der auch die Zeitschrift Sezession herausgibt und über eine große Reichweite innerhalb der Szene verfügt. Hier wird real ausgeübte Gewalt ideologisch legitimiert und sogar als anzustrebende Utopie verkauft. Gewalt wird somit nicht nur als unvermeidlich abgetan (im Sinne von „So sind Jungs nun mal“) – Männlichkeit selbst wird daran geknüpft. Wer also ein „rechter Mann“ sein möchte, sollte die Sprache der Gewalt fließend beherrschen, da Ablehnung von Gewalt und Hierarchie als unmännlich angesehen wird. In rechtsextremen Gruppierungen, die nach diesem Prinzip funktionieren, kann Gewaltlosigkeit für Männer also auch bedeuten, die eigene Männlichkeit aberkannt zu bekommen und damit auch den Platz in der Gruppe zu verlieren.
Weiblichkeit: „Des Mannes Art sei Wille, des Weibes Willigkeit“
Wo Männer ideologisch dazu ermutigt werden, sich zu behaupten und ihre Interessen (mithilfe von Gewalt) durchzusetzen, braucht es „natürlich“ auch Frauen, die ihre Rolle als gebender Gegenpart akzeptieren. In rechtsextremen Verlagen finden sich entsprechende Bücher, die für die freiwillige Unterwerfung in ein patriarchales System werben und alle Frauen, die sich gegen dieses Lebensmodell entscheiden, schlecht reden.
Die meisten Publikationen sind von Männern verfasst, wie etwa die Reihe Frau ohne Welt – Trilogie zur Rettung der Liebe von Bernhard Lassahn, die im rechten Manuskriptum Verlag erschienen ist und die klassischen antifeministischen Mobilisierungsthemen der „Volksgemeinschaft“ abdeckt: Feminismus (Der Krieg gegen den Mann, 2013), sexuelle Selbstbestimmung (Der Krieg gegen das Kind, 2014) und Demografie-Fragen (Der Krieg gegen die Zukunft, 2020).
Im Antaios Verlag ist 2019 zudem der rechte „Mädchen-Ratgeber“ jung, weiblich, rechts erschienen, der sich an die Mädchen der Szene richtet und von Brittany Pettibone (verh. Sellner) verfasst wurde. Die Autorin vertritt die Einschätzung, dass „kein Mädchen […] von Natur aus großartig“ sei, aber glücklicherweise stetig an sich arbeiten könne.
Mädchen werden dazu ermutigt, die eigenen Bedürfnisse hinter denen der Familie und Jungs zurückzustellen – was im Endeffekt dazu führt, dass Pettibone genau jenes weibliche Verhalten positiv darstellt, welches Kinder und Jugendliche besonders anfällig dafür macht, sexualisierte Gewalt zu erfahren. Männliche Gewalt wird insgesamt verharmlost, wohingegen Feministinnen als irrational und übermächtig imaginiert werden. Dieser ideologische Überbau spiegelt sich auch auf der Seite der Akteur*innen wider. Heike Kleffner benennt die besondere Gefahr für Frauen, die der Kontakt zu rechtsextremen Männern mit sich bringt:
„Der Frauenhass, der dieser spezifischen Form von Gewalt zugrunde liegt, ist tief in der Ideologie der Ungleichwertigkeit der extremen Rechten verankert. Diese Gewalt richtet sich sowohl gegen politische Gegnerinnen als auch gegen Lebensgefährtinnen extrem rechter und neonazistischer Aktivisten sowie gegen Zufallsopfer und Sexarbeitende“
Insgesamt wird das Thema sexualisierte Gewalt in der extremen Rechten inhaltlich und programmatisch tabuisiert. Eine Ausnahme stellen hier die Fälle sexualisierter Gewalt dar, die für rassistische Mobilisierungen genutzt werden können. Auch zu genereller körperlicher Gewalt und Gruppendruck innerhalb der Szene wird größtenteils geschwiegen. Gewalt in heterosexuellen Paarbeziehungen wird, wenn überhaupt, ausschließlich auf rassistische, externalisierende Art problematisiert.
Um das männliche Selbstverständnis als Beschützer intakt lassen zu können, werden Sexismus, sexualisierte Gewalt und sexistische Gewalt in das (meist als muslimisch konstruierte) Andere projiziert. Glaubt man dem Narrativ, dass Gefahr für Frauen ausschließlich von fremden Männern ausgehe, scheint es nachvollziehbar, sich als Frau in der „Volksgemeinschaft“ voller soldatischer Männer sicher vor sexualisierter Gewalt fühlen zu wollen, was jedoch nicht der Realität in der extremen Rechten entspricht. Familie und Volksgemeinschaft bleiben somit vermeintlich von Gewalt unberührt, obwohl empirisch nachgewiesen ist, dass sexualisierte Gewalt am häufigsten durch Täter aus dem sozialen Nahraum geschieht. Es scheint wenig überraschend, dass Männer, die einer gewaltaffinen Ideologie wie der rechtsextremen anhängen, auch zu Tätern gegenüber Frauen und Kindern innerhalb ihres Umfeldes werden.
Dunkelfeld sexualisierte Gewalt in der extremen Rechten
Die letzte Studie zum Anzeigeverhalten von sexualisierter Gewalt in Deutschland (bezogen auf die gesamte Gesellschaft, nicht die extreme Rechte) stammt aus dem Jahr 2003 und kommt zu dem Schluss, dass nur acht Prozent der betroffenen Frauen Anzeige erstatten. Bezüglich der EU-weiten Situation wurden 2014 im Rahmen einer Studie 42.000 Frauen zu sexualisierter Gewalt befragt. Von den betroffenen Frauen gaben 67 Prozent an, sich weder zivilgesellschaftlichen Organisationen noch der Polizei anvertraut zu haben.
Das Dunkelfeld innerhalb einer gewaltaffinen, sexistischen Szene, die staatliche Akteur*innen in vielen Fällen ablehnt, Aussteiger*innen verfolgt und keine Widersprüche aushält, dürfte um einiges größer sein. So beschreibt beispielsweise Michaela Köttig in ihrer Forschung mit Mädchen einer extrem rechten Clique, dass die Mädchen untereinander weder Beziehungskonflikte, noch andere Probleme thematisieren, die die eigene Schutzbedürftigkeit betreffen. Als Grund hierfür benennt sie die Gruppendynamik, die es von den Mitgliedern verlange, ihre Zugehörigkeit permanent aufs Neue beweisen zu müssen. Hier wäre es sicherlich lohnend, zu untersuchen, welche stabilisierende Funktion die Individualisierung von sexistischer Gewalt für die Szene hat: Wenn jede Frau, die Gewalt von Männern aus der Szene erlebt hat, denkt, das sei ihr ganz persönliches Problem (und vielleicht sogar ein Makel, weil das Benennen der Gewalt gruppeninterne Konflikte auslösen könnte), dann ist die Hemmschwelle hoch, übergeteilte Gewalterfahrungen zu sprechen.
Die Aussteigerin Tanja Privenau beschreibt die extreme Rechte als „eine Parallelwelt, in der Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Kinder zum Alltag gehört“. Auch Ricarda Riefling (NPD) machte die Gewalt, die sie in der Ehe mit einem Rechtsextremen erlebt hatte, öffentlich . 2011/12 wurde außerdem ein Fall bekannt, in dem einem 13-jährigen Mädchen sexualisierte Gewalt durch einen NPD-Wahlkampfhelfer, der mit ihrem Vater aktivistisch tätig war, angetan wurde.
In einer Studie gaben elf Prozent der Befragten von 364 Frauenhäusern in Deutschland an, bereits Erfahrung mit Frauen gemacht zu haben, die von den Mitarbeiter*innen als rechts eingestuft wurden. Auch hier dürfte die Dunkelziffer höher liegen, da die Frauen vor allem dann als zweifelsfrei rechts erkannt wurden, wenn sie sich explizit selbst in der Szene verorteten bzw. diese Einordnung durch Externe erfolgte. Da die Frauen der Szene ihre Ideologie oft strategisch für sich behalten, kann hier davon ausgegangen werden, dass weitaus mehr rechtsextreme Frauen Zufluchtsstätten aufsuchen, ohne dass dies den Fachkräften bewusst ist – und dass somit mehr Frauen aus der Szene einen entsprechenden Bedarf haben, als gemeinhin thematisiert wird.
Insgesamt zeichnet sich so das Bild einer Szene, die eine vermeintliche Ungleichwertigkeit zwischen den Binärgeschlechtern ideologisch zementiert, die Männer darin bekräftigt, Gewalt auszuüben, und Mädchen und Frauen dazu anhält, sich konsequent nach den Bedürfnissen eben dieser Männer zu richten und Beziehungsgewalt, innerfamiliäre Gewalt und sexualisierte Gewalt zu verschweigen.
Dass Frauen in der extremen Rechten trotzdem genauso Täterinnen sein können, auch in Fällen sexistischer rechter Gewalt, zeigen etwa die Fallanalyse zu Patricia W., sowie zur sexistischen und sexualisierten Gewalt bei Sturm 18.
Die Studie „Alles Einzelfälle? Misogyne und sexistisch motivierte Gewalt von rechts“ gibt es hier zum Download.