Sie bezeichnen sich als „Lebensschützerinnen und Lebensschützer“. Dabei geht es ihnen eigentlich darum, Frauen das Recht zur Selbstbestimmung über ihren Körper und ihr Leben abzuerkennen und sie zurück an Heim und Herd zu schicken. Am kommenden Samstag, den 26. September ab 13 Uhr will der Bundesverband Lebensrecht in Berlin am Neptunbrunnen beten und dann zur St. Hedwigs Kathedrale unter dem Motto „1000 Kreuze für das Leben“ demonstrieren – und zwar gegen die „jährlich hunderttausendfache Tötung ungeborener Kinder“.
Abtreibungen in Deutschland
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland immer noch illegal; allerdings werden sie bis zu einem gewissen Grad nicht strafrechtlich verfolgt. Doch schon, dass Abtreibungen im Strafgesetzbuch nach Mord und Tötungsdelikten im §218 auftauchen, zeigt wie sie in Deutschland bewertet werden. Die bekannte Parole der Frauenbewegung „Mein Bauch gehört mir“ ist längst nicht Wirklichkeit. In westlichen Ländern hat Deutschland mittlerweile die restriktivste Abtreibungsgesetzgebung. Nur nach Zwangsberatungen, Wartefristen oder bei psychischer und physischer Gefährdung der Frau sind Abtreibungen strafffrei. Und das auch nur innerhalb der ersten zwölf Wochen. In der ersten Hälfte des Jahres 2009 wurden die Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruches nach der zwölften Woche stark eingeschränkt. Vorgebliches Ziel der Debatte war der Schutz von Kindern mit Behinderungen, die von „Frauen ohne zu überlegen, einfach so“ abgetrieben werden. Doch seit 1995 ist die medizinische Indikation in der BRD abgeschafft und eine mögliche Behinderung des Fötus ist kein alleiniger Grund für eine Abtreibung mehr. „Die jetzige Gesetzesänderung wurde maßgeblich von Abtreibungsgegner*innen gepusht, die dies als Einfallstor benutzen wollen, um die eigene Entscheidung zu einer Abtreibung und die Möglichkeiten dazu weiter einzuschränken“, sagt dazu Sarah König, Pressesprecherin des Bündnisses gegen den 1000-Kreuze-Marsch.
Was „Lebensschutz“ bedeutet
In dieses Bild fügt sich der für Samstag angekündigte „Marsch der 1000 Kreuze“ vom Bundesverband Lebensrecht ein. Die 1000 weißen Holzkreuze, die verteilt werden, sollen die „1000 an einem normalen Werktag in der BRD getöteten ungeborenen Kinder“ symbolisieren. „Das ist eine statistisch unhaltbare Angabe über die Anzahl der Abtreibungen in der BRD“, sagt König. Doch mit solchen hanebüchenen Behauptungen arbeitet der Bundesverband, dessen Vereinszweck auch Lobbyarbeit ist, um solche Gesetzesentscheidungen wie dieses Jahr zu beeinflussen. Wie viele Parlamentarier*innen sie dabei unterstützen, kann man auf der Webseite des Bundesverbands nachlesen. Für Frauen unmittelbar noch problematischer sind Strategien, die in den USA, Südamerika oder Afrika schon Realität sind: „Lebensschützerinnen und –schützer“ blockieren Kliniken, in denen Abtreibungen vorgenommen werden, oder bieten „Beratungen“ an, die vorrangig dazu dienen, Frauen vom Schwangerschaftsabbruch abzuhalten. Dabei gilt eine Frau in den Augen der Abtreibungsgegner*innen nicht als selbstdenkendes und entscheidungsfähiges menschliches Wesen, sondern als potentielles Risiko für den Fötus. Im Mai diesen Jahres wurde Dr. George Tiller, ein Abtreibungen durchführender Arzt in den USA, vom „Lebensschützer“ Scott Roeder erschossen. Soweit zum „Lebensschutz“.
Antifeminismus und das „deutsche Volk“
Fundamentale christliche Ideologie unter dem Gewand der Menschenrechte gepaart mit der Sorge um aussterbende Deutsche sorgt auch hierzulande für eine stetige Erschwerung der Möglichkeiten von Abtreibungen. Nicht alle Kliniken führen sie durch, Schwangerschaftsabbrüche sind nicht Teil der gynäkologischen Ausbildung, Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen, werden zunehmend kriminalisiert. Hinzu kommt ein Klima, das es Frauen schwerer macht, die eigenständige Entscheidung, zu einem Zeitpunkt Mutter zu werden oder nicht, zu treffen. „Wie alle religiösen Fundamentalismen arbeiten auch sie auf eine gesellschaftliche Dominanz ihrer Dogmen hin, etwa Familienzentriertheit, Heterosexualität, Schicksals- und Obrigkeitsergebenheit“, sagt König.
Dieser Rückschritt hinter eine eigentliche Selbstverständlichkeit sowie die Kolportation traditioneller Rollenbilder ruft auch Neonazis auf den Plan. Diese fühlen sich im Christentum zwar nicht hundertprozentig wohl, stimmen aber mit dem Familienbild der Abtreibungsgegner*innen überein. Frau hat Mutter zu sein – und zwar von vielen deutschen Kindern, die zukünftig für das Wohl der nationalen Gemeinschaft sorgen. So findet sich auch auf dem Neonazi-Internetportal „altermedia“ ein Bericht über den „1000 Kreuze“ Marsch vom letzten Jahr: „Um Welten größer aber sind die Übereinstimmungen mit unseren Ansichten: Mehrfach wird von unserem deutschen Vaterlande gesprochen, in einem Grußworte gar von der Ehre unseres Volkes. […] Wünschenswert wäre außerdem, dass Nationalisten sich wieder mehr den Themen annehmen“. Antifeminismus und damit auch Abtreibungsgegnerschaft taucht in der letzten Zeit vermehrt in der Neonazisszene auf. So war auf dem „Fest der Völker“ in Thüringen am 12. September 2009 auch die Neonazi-Initiative „Raus aus den Köpfen – Genderterror abschaffen“, die auf ihrer Webseite frank und frei die gleichen Argumente wie fundamentale Christen zum Thema Schwangerschaftsabbruch verwenden und diese auch als Quelle angeben. Manfred Libner, Verantwortlicher im Sinne des Presserechts für den Bundesverband Lebensrecht, scheut sich auch nicht bei Burschenschaften Vorträge mit dem Titel „Ein Volk entsorgt seine Kinder“ zu halten. So geschehen im April diesen Jahres in Göttingen.
„1000 Kreuze in die Spree“
Um diesen antifeministischen „Schweigemarsch“ der fundamental-christlichen Abtreibungsgegner*innen und nicht einfach vorüber ziehen zu lassen und vor allem auch auf die problematische Lage von Frauen hinzuweisen, denen ihr Recht auf Abtreibung – noch nie hundertprozentig gegeben – immer mehr verwehrt wird, finden um 12.30 Uhr am Neptunbrunnen und 14.45 Uhr an der St. Hedwigs Kathedrale am Bebelplatz Gegenveranstaltungen unter dem Motto „1000 Kreuze in die Spree“ statt. Im Aufruf zur Gegendemonstration steht: „Wir fordern hingegen weiterhin, dass jede Frau selbst über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden kann. Wir wollen eine Gesellschaft, in der eine Abtreibung kein gesundheitliches, rechtliches oder ökonomisches Problem für Frauen darstellt und ohne Eingriff oder Belehrungen des Staates und der Angst vor dem moralischen Stigma zugänglich ist. Wir wollen aber auch eine Gesellschaft, in der keine Frau psychische Probleme bekommt, weil sie sich ‚verpflichtet‘ fühlt, abzutreiben, nachdem eine Pränataldiagnose die Möglichkeit der ‚Behinderung‘ des späteren Kindes ergeben hat“. Punkt.
Mehr Infos unter no218nofundis.wordpress.com
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).