Fabian Bechtle organisiert den Preis und wir haben mit ihm über Kunst in Zeiten der Pandemie, Identitätspolitik und politische Künstler:innen gesprochen.
Belltower.News: Wer bewirbt sich eigentlich für den Amadeu Antonio Preis?
Fabian Bechtle: Vor allem sind es immer mehr Künstler:innen. Am Anfang haben sich weniger als hundert beworben, jetzt sind wir bei 250. Tendenz steigend. Die Bewerbungen kommen vor allem aus dem deutschsprachigen Raum, also auch aus Schweiz und Österreich. Es bewerben sich Künstler:innen und Gruppen, die professionell arbeiten, das hat sich über die Jahre verändert. Früher gab es viele Bewerber:innen aus der politischen Bildung, jetzt kommen sie aus ganz unterschiedlichen Disziplinen, von der klassischen Malerei bis zu Online-Projekten. Die Künstler:innen kommen aus allen Altersgruppen, haben diverses Hintergründe und es sind vor allem Bewerbungen von Frauen.
Wer ist 2021 nominiert?
In diesem Jahr hat sich die Jury für zehn Einreichungen von Künstler:innen entscheiden. Das zeigt schon die Bandbreite, die wir abbilden. Es gibt ein Theaterstück in Form einer App, wir haben Videoperformances, wie immer auch Literatur, klassische Fotografie. Einerseits bewerben sich viele dokumentarische, aber auch eher aktivistische Formate. Das hält sich die Waage. Alle Disziplinen, alle Sparten bewerben sich.
Ist die Pandemie ein Thema?
Eher weniger, aber wir sehen es an den Formaten. Es gibt eine Einreichung von onlinetheater.live, in Zusammenarbeit mit dem Berliner Theater Hebbel am Ufer. Die Einreichung ist ein Theaterstück in Form einer App. Es werden neue Formate ausprobiert und das hat mit der Pandemie zu tun, sicherlich auch damit, dass Institutionen und Künstler:innen viel offener dafür geworden sind. Gleichzeitig erschließt sich mit der neuen Technik auch ein neues Spielfeld.
Worum geht es in den Arbeiten der Künstler:innen?
Vor zwei Jahren haben wir noch die Nachwirkungen von 2015 gesehen, es waren anlass- und themenbezogene Bewerbungen zur sogenannten „Flüchtlingskrise“. 2021 zeigen sich aber andere Themen viel stärker: emanzipatorische Aspekte von Identitätspolitik spielen eine Rolle und vor allem Empowerment. Viel gehts es um Erinnerungs- und Aufarbeitungspolitiken. Dokumentarische Praxen gehören genauso dazu, Wiederaufführungen von Zeitzeug:innen-Interviews oder Zugänge auf historische Orte, die heute nicht mehr als solche zu erkennen sind. Identität und Erinnerung sind die Schlagworte.
Alle Infos zum Amadeu Antonio Preis und zu den Nominierten gibt es hier
Was hat sich verändert?
Die Kunst ist zunehmend politisiert und kümmert sich um die wichtigen Themen. Deswegen ist der Preis seiner Zeit voraus. Der Amadeu Antonio Preis ist der einzige Kunstpreis, der sich an alle Sparten richtet und ein Thema hat: Wenn man teilnehmen will, muss man sich auf die ein oder andere Weise gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit positionieren und artikulieren. Das zeigt sich in der Pandemie, es zeigt sich in alle Krisen, dass es eine sehr gute Idee war, den Preis so zu definieren. Kunst ist eine öffentliche Praxis. Dafür ist der Preis ein perfektes Beispiel.
Ist so ein politisches Bekenntnis für die teilnehmenden Künstler:innen Normalität oder sind die Arbeiten Ausnahmen?
Alle, die sich bei uns bewerben, sehen ihre Kunst als öffentliche Praxis, manche vielleicht als aktivistische, manche als individuelle, manche sind historisch interessiert. Aber zum Schluss treffen sich alle bei der Idee, dass Kunst eine politische Praxis ist. Der Amadeu Antonio Preis ist dafür ein Match.
Bemerkbar macht sich die Pandemie auch deshalb, weil dieses Jahr der Festakt ausfällt.
Das ist sehr schade. Denn der Festakt war unser Netzwerkevent und mit einer der Gründe dafür, warum wir überhaupt diesen Preis machen: Die Nominierten sind zusammengekommen, treffen auf Menschen aus Eberswalde, auf Engagierte. Es ist leider die harte Realität, dass wir das in diesem Jahr nicht schaffen werden. Beim nächsten Mal, 2023, wenn der Preis zum fünften Mal verliehen wird, wollen wir dafür umso größer feiern und alle einladen, die über die Jahre nominiert und ausgezeichnet wurden. Wir hoffen, das klappt! In diesem Jahr setzen wir auf Social Media, es gibt Videoporträts der Nominierten, es gibt Laudatios online und wir wollen so gut wie möglich den Festakt ersetzen. Denn es geht trotzdem um die Arbeiten und die Sache. Deswegen haben wir in Eberswalde eine kleine Ausstellung gemacht, wo sich Interessierte die Künstler:innen und die Werke anschauen und dann auch für den Publikumspreis abstimmen können.