Das Pergamonmuseum in Berlin war nach einer pandemiebedingten Schließung erst wenige Stunden wieder geöffnet, ehe etliche Kunstschätze beschädigt wurden. Mindestens 70 ägyptische Statuen, griechische Götterbildnisse, Sarkophage und europäische Gemälde des späten 19. Jahrhunderts wurden mit einer öligen Flüssigkeit bespritzt. Der Verdacht steht im Raum: Hatte der antisemitische Verschwörungsideologe Attila Hildmann etwas damit zu tun?
Betroffen sind Kunstwerke und Antiken in den Beständen des Vorderasiatischen Museums, des Museums für Islamische Kunst, der Antikensammlung, im Neuen Museum und in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel, die seit 1999 zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Die Flüssigkeit hat sichtbare, zum Teil große dunkle Flecken hinterlassen.
Bislang schweigen die Museen zu dem Vorfall – wohl auf Rat des ermittelnden LKAs, doch auch, weil es ihnen peinlich sein dürfte. Denn manche der beschädigten Gegenstände sind Leihgaben, andere wurden zu Kolonialzeiten entwendet und bleiben vermeintlich aus „Sicherheitsgründen“ im Schutz deutscher Museen.
Der Anschlag ereignete sich am 3. Oktober 2020, dem Tag der Deutschen Einheit. Doch erst zwei Wochen später, am 20. Oktober, gelang er dank Recherchen von Die Zeit und Deutschlandfunk an die Öffentlichkeit. Selbst die Senatsverwaltung für Kultur erfuhr davon erst aus der Presse. Der Zeit zufolge geht es um die „umfangreichsten Angriffe auf Kunstwerke und Antiken in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands“. Zwei Wochen später konnten Restaurator*innen die Flecken immer noch nicht entfernen.
Was hat der Vorfall also mit Attila Hildmann zu tun? Seit August behauptete Hildmann mehrmals auf seinem Telegram-Kanal, das Pergamonmuseum beherberge den „Thron Satans“. Das Museum sei das Zentrum der „globalen Satanisten-Szene und Corona-Verbrecher“. Dass Angela Merkel in der Nähe wohnt, ist für Hildmann kein Zufall. Und dass das Museum im Frühling und im Sommer aufgrund der Covid-19-Pandemie vorübergehend geschlossen war, ist ihm äußerst suspekt. Ein Post, in dem er behauptet, im Pergamon würden nachts Menschen geopfert und Kinder geschändet, hat der Vegankoch mittlerweile gelöscht. Was man mit solchen „kinderschändenden, sadistischen, verschwörerischen Satanisten“ laut Hildmann tun soll, wird in einer ebenfalls mittlerweile gelöschten Umfrage klar. Die erste Option: „Sie im Namen des Allmächtigen vernichten!“
Dass Hildmanns Hetze Anhänger*innen dazu animiert hat, künstlerisch und historisch wertvolle Objekte sinnlos zu zerstören, liegt nahe. Am Tag des Anschlags fanden in Berlin-Mitte diverse verschwörungsideologische und pandemieleugnende Demonstrationen statt. Seit März ist Hildmann mit über 100.000 Telegram-Abonnent*innen zu einem der Wortführer dieser Bewegung geworden.
Seit Bekanntwerden des Angriffs postet Hildmann im regelmäßigen Takt Links zu Zeitungsartikeln darüber auf seinem Telegram-Kanal – ob Spiegel, Bild oder Guardian. Er zitiert Textpassagen, wo es um den satanischen Verschwörungsmythos oder seine mögliche Verbindung zur Tat geht. Unter einem Artikel im Tagesspiegel mit der Überschrift „Anschlag auf Kunstwerke auf Museuminsel – waren es Hildmann-Anhänger?“ schreibt er: „Hetzerblatt Tagesspiegel!“ – und postet die Adresse und Telefonnummer der Zeitung.
Neu ist Hildmanns Behauptung, Satan wohne im Pergamonaltar, nicht. Bereits 2006 kam die amerikanische Forscherin Adela Yarbo Collins in der in evangelikalen Kreisen renommierten Zeitschrift „Biblical Archaeology Review“ zu diesem merkwürdigen Schluss. In ihrem Beitrag analysiert sie eine Passage aus der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament. In einem Schreiben Christi an den Vorsteher der Gemeinde Pergamon heißt es: „Ich weiß, was du tust und wo du wohnst, da des Satans Stuhl ist.“ Teile des Pergamonaltars wurden ab 1879 vom heutigen Bergama in der Türkei, damals im osmanischen Reich, nach Berlin transportiert, wo der Altar wieder aufgebaut wurde. Dass also der heutige Pergamonaltar lediglich eine Rekonstruktion ist, scheint für Verschwörungsfans keine Rolle zu spielen. Auch dort fühlt sich der Teufel offensichtlich zuhause.
Auch Hildmanns Obsession mit dem Pergamonmuseum hat eine Vorgeschichte: Bereits im August teilte Hildmann einen Aufruf, das Pergamonmuseum zu stürmen. Das folgte regelmäßigen Auftritten im Juni auf den Stufen des Alten Museums. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die die Museuminsel verwaltet, distanzierte sich damals von Hildmann mit einem großen Transparent am Alten Museum. Darauf stand eine klare Botschaft für Weltoffenheit und gegen Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus. So gerieten Berliner Museen in Hildmanns Visier und wurden zum Ziel seiner Hetze. Die Berliner Versammlungsbehörde verbot seine Demonstrationen wegen einer erheblichen Wahrscheinlichkeit von Volksverhetzung, Bedrohung und Beleidigung. Spätestens seit Juli wird in Berlin und Brandenburg wegen Volksverhetzung gegen Hildmann ermittelt. Bei der für Internetkriminalität zuständigen Schwerpunktstaatsanwaltschaft liege inzwischen eine Vielzahl von Anzeigen und Hinweisen vor, heißt es von der Staatsanwaltschaft Cottbus.
Nach dem Angriff auf der Museumsinsel ermittelt das Berliner LKA gegen Unbekannt wegen Sachbeschädigung. Auch wenn die Täter*innen zunächst unbekannt bleiben, spricht Hildmanns Reaktion auf den Vorfall Bände. Man findet in seinen im fast Minutentakt geposteten Hasstiraden auf Telegram weder eine Distanzierung, noch Kritik zu dem Angriff. 1944 schrieb Jean-Paul Sartre in seinem Drama Geschlossene Gesellschaft: „Die Hölle, das sind die anderen“. In Anbetracht Hildmanns Obsession mit Satanismus könnte man meinen: Das trifft auf ihn voll und ganz zu.
Foto: Flickr / Jim Woodward / CC BY 2.0