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Angriffe auf Meldestellen Erst Dokumentation macht das Ausmaß diskriminierender Gewalt sichtbar

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Derzeit werden die Berliner Register in einer Kampagne angegriffen (Quelle: Berliner Register)

Jeden Tag passieren in Berlin im Durchschnitt elf menschenverachtende Vorfälle. Alleine 4.156 im letzten Jahr. Das wissen wir dank der Berliner Register so genau, die unermüdlich recherchieren, mit Betroffenen reden und Vorfälle öffentlich machen. Ohne diese Arbeit wäre die Zivilgesellschaft auf polizeiliche Kriminalstatistiken angewiesen, die aber Fälle unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit gar nicht erfassen. 

In jedem Berliner Bezirk gibt es seit 2016 eine Registerstelle. Alle Registerstellen zusammen sind die Berliner Register. Sie dokumentieren rassistische, antisemitische, LGBTIQ*-feindliche, antiziganistische, extrem rechte, rechtspopulistische, sozialchauvinistische oder behindertenfeindliche Vorfälle. Sie sammeln, veröffentlichen und werten aus. Die Registerstellen haben sich bewährt und bieten einen guten Überblick über das Ausmaß diskriminierender Vorfälle in Berlin.

Kati Becker ist die Leiterin der Berliner Meldestelle. Sie erklärt gegenüber Belltower.News, warum es Meldestellen braucht: „Sie sind in erster Linie für die Menschen wichtig, die von Diskriminierung, Abwertung und Ausgrenzung betroffen sind, weil sie einer Minderheit angehören.“ Wenn Betroffene ihre Erfahrungen an die Register zusenden, würde sie das entlasten, weil sie wissen, dass sie allen anderen Betroffenen damit weiterhelfen. Jede einzelne Erfahrung sei zwar individuell, aber aus der Fülle an Meldungen lassen sich Muster erkennen, wenn zum Beispiele ein bestimmter Ort oder eine bestimmte Behörde immer wieder in den Meldungen auftauchen. Zudem mache die Meldestelle Gewalterfahrungen und Diskriminierung für alle sichtbar, die selbst nicht davon betroffen sind. „Das stärkt die Perspektive von Betroffenen, denen sonst nicht geglaubt wird“, so Becker.

Doch in Zeiten wie diesen erleben wir es immer häufiger, dass Menschen und Institutionen, die auf rechte Gewalt und auf Diskriminierungsformen aufmerksam machen, mundtot gemacht werden sollen. Derzeit sind die Registerstellen inmitten einer Kampagne. Ende August erschien in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) ein Artikel, der die Arbeit der Meldestelle falsch darstellt. Die Autorin schreibt : „Bürger denunzieren Bürger“. Focus Online zieht nach und behauptet, „mit dem Meldesystem werde ein Klima der Angst und Verdächtigungen erzeugt.“ Es breite sich in Deutschland, 34 Jahre nach dem Ende der DDR-Diktatur, „eine Kultur des Denunziantentums aus – staatlich erwünscht und mit Steuergeldern gefördert“. Für den Focus Online-Autor ist die Meldestelle ein „Online-Pranger“ und da sie durch den Berliner Senat mitfinanziert wird, wittert er Steuerverschwendung. Es folgten zahlreiche Vorwürfe und Hass-Nachrichten in den sozialen Medien gegen die Register und die Mitarbeiter*innen.

Die Berliner Register haben mittlerweile mit einer Gegendarstellung reagiert, in der sie auf die zahlreichen Vorwürfe eingehen und ihre Arbeitsweise erklären. „Der Vorwurf, wir wollten lediglich Menschen an den Pranger stellen, die andere diskriminieren oder zur extremen Rechten gehören, begleitet uns seit Entstehung der Registerstellen“, so Leiterin Becker. 

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Expert*innen und Beratungsstellen gehen von einer hohen Dunkelziffer der staatlichen Zahlen zu politisch motivierter Gewalt aus. Zivilgesellschaftliche Meldestellen tragen dazu bei, diese Lücken zu schließen, indem sie das Dunkelfeld erhellen. Rechtsstaat und Politik profitieren enorm von den aus dem zivilgesellschaftlichen Monitoring erhobenen Daten. Das verbessert den Opferschutz und hilft den Betroffenen. Die Strafverfolgung liegt allerdings ausschließlich beim Rechtsstaat.

Zivilgesellschaftliche Meldestellen erhellen also ein Dunkelfeld und ersetzen nicht den Rechtsstaat, das ist auch gar nicht ihr Anspruch. Für viele Betroffene ist es mitunter nicht leicht, sich an staatliche Institutionen zu wenden oder Vorfälle bei der Polizei anzuzeigen. Selbst strafrechtlich relevante Fälle, die angezeigt werden, gehen nicht immer in polizeiliche Statistiken ein. In den seltensten Fällen werden sie als politisch motivierte Hasskriminalität erfasst. Meldestellen wie die Berliner Register nehmen auch nicht-strafrechtlich relevante Vorfälle auf.

„Diese Arbeit ist für uns unersetzlich“

„Ohne die Arbeit der Registerstellen und anderer Meldestellen wären wir auf polizeiliche Kriminalstatistiken angewiesen, die aber Fälle unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit gar nicht erfassen“, so Oliver Saal, vom Projekt Civic.net – Aktiv gegen Hass im Netz, der Amadeu Antonio Stiftung. Erst Meldestellen machen das Ausmaß rechter Gewalt sichtbar. „Deshalb ist diese Arbeit für uns unersetzlich – genau wie für die Betroffenen von rechtsextremen, rassistischen, antisemitischen, queerfeindlichen, sozialchauvinistischen, behindertenfeindlichen und antifeministischen Vorfällen.“

Dass zunehmend Meldestellen im Fokus rechter Kampagnen sind, verwundert nicht. Trägt ihre Arbeit doch dazu bei, ein genaueres Bild zu zeichnen, wie stark verbreitet rechte Gewalt und menschenfeindliche Einstellungen sich im Alltag zeigen. Rechte Aktivist*innen und zumindest konservative Journalist*innen wollen die Probleme lieber in anderen gesellschaftlichen Bereichen sehen. Sie problematisieren die Sichtbarkeit von queeren Menschen, behaupten arabische Clans würden deutsche Großstädte regieren und Geflüchtete kämen nur nach Deutschland, um Sozialleistungen abzugreifen.

„Rechte Akteure profitieren von der ungleichen Machtverteilung in unserer Gesellschaft und wollen diesen Status erhalten“

Die extreme Rechte findet es richtig, dass Menschen unterschiedlich viel wert sind. Sie nutzt verschiedene Kommunikationsstrategien, um es nicht direkt auszusprechen. „Solche Akteure profitieren von der ungleichen Machtverteilung in unserer Gesellschaft und wollen diesen Status erhalten“, erläutert Kati Becker. Die Meldestellen machen diese Gegensätze von öffentlicher Wahrnehmung und Alltagserfahrungen von Minderheiten sichtbar. „Während die einen weiter diskriminieren wollen, arbeiten wir daran, Diskriminierung zu verhindern.“

Die Angriffe auf die Berliner Register werden stärker, „weil wir mit unseren Bewertungen und unserer Datensammlung an Bedeutung gewonnen haben“, mutmaßt die Leiterin der Meldestelle. Seitdem ihre Arbeit öffentlich stärker wahrgenommen wird, wachse auch der Anteil derer, die diese Öffentlichkeit für sich selbst nutzen wollen. Die Themen Antifeminismus und Transfeindlichkeit seien besonders anfällig für Angriffe in den Sozialen Netzwerken. „Sogenannte Männerechtler oder das TERF-Spektrum bekommen wenig Gehör und hoffen dann, über Empörungswellen gegen uns, weitere Mitstreiter*innen zu finden.“

Rechte Gewalt entspringt einem menschenverachtenden Weltbild. Sie kann Menschen in ihrer Identität erschüttern und wirkt nicht selten traumatisierend. Neben der individuellen Wirkung auf die Betroffenen und deren Umfeld, hat rechte, rassistische, antisemitische, queerfeindliche Gewalt auch immer einen symbolischen Charakter. Sie stellt einen Angriff auf ein offenes und menschenfreundliches Gemeinwesen dar. Auch deshalb ist die Sichtbarmachung solcher Vorfälle um so wichtiger.

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Berliner Register 2022 jeden Tag elf menschenverachtende Vorfälle

Durchschnittlich elf menschenverachtende Vorfälle, an jedem einzelnen Tag: Das zählten die Berliner Register im Jahr 2022. Insgesamt waren es 4156 rechtsextreme, rassistische, antisemitische, queerfeindliche, sozialchauvinistische, behindertenfeindliche und antifeministische Fälle.

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