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Anklam Rechtsextremer Terror wie in den Neunzigern

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Anklam- eine 14.000 Einwohner*innenstadt hat ein Problem mit rechter Gewalt (Quelle: flickr / cc / thonk25)

In der Nacht zum Freitag, dem 4. Mai 2012, wurde der Demokratieladen in Anklam, das Internationale Kultur und Wohnprojekt (IKuWo) in Greifswald und das Peter-Weiss-Haus in Rostock angegriffen. Alle drei Einrichtungen wurden mit Buttersäure und teilweise auch mit brauner Farbe attackiert. Diese Anschlagsserie stellt eine neue Qualität rechtsextremer Gewalt in  Mecklenburg- Vorpommern dar. Es wurden gezielt Projekte ausgewählt, die demokratische und zivilgesellschaftliche Teilhabe in dem Bundesland stärken. 

Doch leider sind dies noch nicht einmal die einzigen Vorfälle. Am Abend desselben Freitags gab es in Anklam einen Angriff auf alternative Jugendlichen. Laut Angabe der Opferberatungsstelle „Lobbi“  haben vermummte Personen aus der rechtsextremen Szene Punks und nicht-rechte Jugendliche gezielt gesucht und durch die Stadt gejagt. Die Jugendlichen wurden dabei zum Teil schwer verletzt. Der Nordkurier berichtet: „Es ist Freitagabend gegen 21.30 Uhr, da rückten sie an, eine Horde schwarz gekleideter und teils vermummter Neonazis. Sie haben Schlagringe und Knüppel dabei. Die Mädchen sehen nur breite Schultern und Sturmmasken, es sind wütende Beschimpfungen zu hören. Sie haben Todesangst. Schnell retten sich die jungen Frauen hinter eine Stahltür im Keller der Max-Sander-Straße in Anklam vor den Angreifern. Dann Schreie: „Lasst mich rein, lasst mich rein!“ Der 24-Jährige Freund einer der Frauen liegt blutüberströmt vor der Tür, brutal zusammengeschlagen. Der junge Mann erlitt Kopfverletzungen und liegt noch im Greifswalder Krankenhaus.“ Ursache ist möglicherweise eine Rempelei zwischen einem rechten Jugendlichen und einem Punk, für die „Rache“ genommen werden soll, so die Zeitung weiter. Immerhin wird die Polizei hier nun aktiv: Am Montag hat die Polizei drei 20, 21 und 23 Jahre alte Männer festgenommen, die mutmaßlich zur rechtsextremen Szene gehören, berichtet die Ostsee-Zeitung.

Neonazistische Gewalt fußt auf entsprechender Infrastruktur

Diese Angriffe reihen sich in eine lange Liste von neonazistischen und rassistischen Aktivitäten in der vorpommerschen Kleinstadt.  Zuvor war am 12. April 2012 eine Gruppe von nicht-rechten Jugendlichen von vermummter und bewaffneter Neonazis angegriffen und verletzt worden. Die Opferberatungsstelle Lobbi berichtet in ihrer Pressemitteilung vom 7. Mai auch, dass in den vergangenen Wochen Neonazis durch die Stadt patrouilliert seien, die gezielt Wohnungen aufgesucht haben, in denen Punks wohnen. 

Dass sich die Neonazis in Anklam so wohl fühlen, liegt unter anderem daran, dass sie hier gut organisiert sind. Drei Immobilien sind im Besitz von Neonazis. Für eine Stadt mit etwa 13.000 Einwohner*innen ist das eine sehr hohe Zahl. Anklam gilt damit sogar als die Stadt Deutschlands, die die meisten rechtsextremen Immobilien pro Einwohner*in besitzt. So haben sich Menschen aus der Kameradschaftsszene in einem ehemaligen Möbelhaus eingenistet. In der früheren Großbäckerei ist neben dem NPD-Büro ein rechtsextremer Verlag eingerichtet. Eine „Volksbibliothek“ soll bald dazukommen. Lesungen und Vorträge sind in Planung. Durch den Laden „New Dawn“ in der Anklamer Innenstadt haben die Anklamer*innen die Möglichkeit, sich mit Szene-Kleidung und Rechtsrock-CDs einzudecken. Auch im eigenen Briefkasten begegnen die Einwohner*innen fortlaufend rassistischen, menschenverachtende und völkischen Thesen. Der „Anklamer Bote“, die Gratis-Zeitung der Anklamer NPD, versorgt alle Haushalte regelmäßig mit neuesten „Informationen“. Das Ziel fasst NPD-Landtagsabgeordneter und Herausgeber Michael Andrejewski folgendermaßen zusammen: „Durch andauernde kommunale Arbeit eine solide Basis für eine nationale Alternative zu schaffen, die einst das herrschende Parteiensystem ablösen soll“. Bei dieser neonazistischen Infrastruktur schlägt das Neonaziherz höher. Die einzige sichtbare Jugendkultur scheint die der „Freien Kameradschaften“ zu sein. Viele Alternativen gibt es für junge Menschen nicht. Alle, die sich nicht-rechts oder alternativ verordnen oder nicht als „deutsch“ und“ weiß“ wahrgenommen werden, kriegen Probleme. Auf der Straße, im Klassenzimmer oder beim Bäcker. 

… und wenig Gegenpositionierung

In Anklam stoßen die Neonazis allerdings auch auf wenig Gegenwehr und haben dadurch ein leichteres Spiel als anderswo. In einer Stadt, die mit einer Arbeitslosenquote von 20 Prozent zu den traurigen Spitzenreitern in Deutschland gehört, ist die Perspektivlosigkeit stark zu spüren. In dem Problemviertel, der Südstadt, bezieht jede*r vierte Bewohner*in Hartz 4. Der versprochende Neuanfang nach der Wende entpuppte sich schnell als Farce. Von den 20.000 Einwohner*innen, die damals in Anklam lebten, sind nur noch etwa 14.000 übrig geblieben. Auch der regionale Arbeitsmarkt nimmt beständig ab. Obwohl sich die Stadt auf ihrer Internetpräsenz als „zukunftsfähiger Wirtschaftsstandort“ betitelt,  zieht es viele in andere Regionen. Besonders junge Menschen hält nicht viel in der Stadt an der Peene. Die ehemaligen Fabriken sind still gelegt. In den Häusern, in denen früher die Zucker- oder Brotfabrik untergebracht waren, werden jetzt rechtsextreme Veranstaltungen geplant. Rund 34 Prozent der Anklamer*innen halten die NPD für eine normale Partei. Die Begegnung mit Menschen mit Migrationshintergrund fehlt in Anklam fast komplett – sie machen einen Bevölkerungsanteilvon 1 Prozent aus. So haben die Neonazis es leicht, mit rassistischen Erklärungen der schwierigen Situation auf offene Ohren zu stoßen. Und immer noch gibt es kaum öffentliche Solidarisierung mit den Opfern der Neonazi-Attacken.  Es scheint als befinde man sich in Anklam wieder in den 1990igern.  

Mehr im Internet:

| Lobbi e.V.| Demokratieladen Anklam| IKuWo| Peter-Weiss-Haus

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

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