Der Jahreswechsel 2019/20 gestaltete sich im Social Media Bereich hysterisch. Aufhänger war eine Umdichtung des Kinderlied-Klassikers „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“. Ausgestrahlt wurde die neue Version des Liedes als „Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“ erstmals am 09.11.2019 im Rahmen eines WDR 5-Kabarett-Programms „Satire Deluxe – Live beim Köln Comedy Festival“ – hier kommentiert als Satire auf überzogene Umweltschutz-Wünsche der „Fridays for Future“-Generation und von erwachsenen Interpreten gesungen. Öffentliche wahrnehmbare Reaktionen auf die Erstausstrahlung: Keine. Der Audio-Beitrag ist auch weiterhin in der Mediathek des WDR online.
Am 27.12.2019 kommt es zu einer zweiten Nutzung des umgedichteten Liedes, diesmal bei WDR2, aufgenommen vom WDR-Kinderchor Dortmund, gedacht als Thematisierung eines Konfliktes zwischen den Generationen mit dem Mitteln von Überspitzung und Humor. Der Radiosender postet ein Video der Aufnahme auf seinem Facebook-Kanal. Auf Facebook veröffentlichen empörte Accounts daraufhin Kritik unter dem Video-Post, auch ein reichweitenstarker Kanal der rechten Szene teilt das Video. Schnell wächst das Kommentaraufkommen auf der Facebook-Seite von WDR 2 zu einem Shitstorm. Das Video wird noch am Abend des 27.12. von Facebook gelöscht, doch die Empörung – und Kopien und Ausschnitte – sind schon zu Twitter weitergewandert.
Wie es weitergeht, hat Medienexperte Martin Hoffmann in einem Twitter-Thread schon am 28.12.2019 kurz analysiert: Von Einzelpersonen schwappt die Empörung zu rechten „Influencern“ und „alternativen Medien“, dann greifen zum 28.12. seriöse Medien den Fall auf („Empörung über…“), ohne sich die Absender vorher anzusehen, zum Teil unter Einbettung rechtsalternativer oder rechtsextremer Tweets.
Aus einer Aufregung in der rechts-alternativen Twitter-Blase – nur 2 Prozent der Menschen in Deutschland nutzen Twitter, allerdings sind viele davon Journalist*innen – wird eine scheinbar breite Empörung über ein Satirelied.
Dies hätte ein Grund für redaktionelle Debatten sein können, über die Sinnhaftigkeit dieser Satire und den Umgang mit den Reaktionen. Stattdessen reagierte der Sender massiv beeindruckt, es gab eine Sondersendung inklusive Intendantenanruf mit Entschuldigung und Fehlerbezeichnung, Löschung des Beitrags, Distanzierung des Senders vom einem freien WDR-Journalisten, der daraufhin aus der rechtsextremen Szene bedroht wurde. Dabei gab es schon zu dieser Zeit Warnzeichen, dass es sich um organisierte Empörung mit einem politischen Ziel handeln könnte: Der fehlende Shitstorm bei der Erstausstrahlung, die Empörungswelle bei der zweiten Ausstrahlung durch politisch deutlich rechtsaußen positionierte Accounts (was ein Klick auf das eine oder andere Profil schnell gezeigt hat), die massiv mobilisierten und dadurch weit mehr Empörung zu produzieren verstehen, als es beispielsweise kritische Stimmen vermögen, wenn es um rassistische Satirebeiträge geht, die es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ebenfalls gibt. Doch der Furor der rechts-alternativen Szene produzierte massive Aktivität und führte zum #Omagate-Shitstorm, wie Datenanalysten wie Luca Hammer (vgl. Spiegel) oder Philip Kreißel später zeigen konnten. Doch lassen sich deren Zahlen mit Inhalt füllen?
Galerie: Klicken Sie sich durch eine Auswahl (!) von Artikeln zu #Omagate auf der rechts-alternativen Blog „Jouwatch“
An dieser Stelle eine kleine Exkursion zu einer einzigen reichweitenstarken rechts-alternativen Medienseite, „Jouwatch“. Jouwatch veröffentlicht allein zwischen dem 28.12.2019 und dem 31.12.2019, also in vier Tagen, insgesamt 15 Artikel zum Thema #Omagate (in 2020 übrigens noch einmal 12 bis zum 14.01.2020). Das heißt nicht, dass sich hier fleißige Onlinemitarbeiter*innen die Finger wund schrieben, sondern vor allem, dass über den Blog diverse #Omagate-YouTube-Videos von verschiedensten Akteur*innen der rechts-alternativen Online-Szene geteilt werden, oder rechtspopulistische „offene Briefe“, die die Redaktion im Internet gefunden hat. Die Beiträge stehen auf der Website von „Jouwatch“ und werden über deren Social Media-Kanäle geteilt. Bei „Jouwatch“ sind das Facebook (35.000 Fans), Twitter (6.200 Follower), ein Telegram-Kanal mit 4.400 Abonennt*innen, ein marginaler YouTube-Kanal (700 Follower) und VK (4.100 Fans). In allen Kanälen werden die Beiträge weitergeteilt. Auf diese Weise fungiert „Jouwatch“ als Brandbeschleuniger für den Diskurs, verbreitet die feindlichen rechten Stimmen, denen es scheinbar um #Omagate geht. „Jouwatch“ ist nur eines von hunderten „rechts-alternativen Medien“ im Internet, daneben gibt es unzählige YouTube- und Telegram-Kanäle, sie tragen die Kunde, dass nun der WDR angreifbar ist, in alle rechtsextremen, besorgtbürgerlichen, demokratiefeindlichen und fortschrittsfeindlichen Szenen im Internet. Sie alle nutzten #Omagate als Türöffner für einen Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Trolle haben Telefon: Wie die WDR-Nummer gepostet wurden:
Warum tut die rechtsalternative Szene das eigentlich?
Denn auch wenn die rechtsextreme Szene ihre eigenen Themen mit Großeltern hat („Opa war in Ordnung“ heißt es seit Protesten gegen die Wehrmachtausstellung 2003 mit Blick auf die nationalsozialistische Vergangenheit), diesmal ist es nicht die Sorge um die ältere Generation, die bei #Omagate die rechts-alternative Szene antreibt. Hier hat man größeres im Blick: Den Sturz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Auf YouTube und Telegram echauffiert sich etwa der rechtsextreme „Influencer“ Martin Sellner („Neue Rechte“, „Identitäre Bewegung“). #Omagate ist für ihn nur ein Aufhänger für Größeres, deshalb dreht er auch vier YouTube-Videos zum Thema zwischen dem 28.12.2019 und dem 06.01.2020. Darin freut er sich u.a.: „Der erste Skandal des neuen Jahres (…) ich bin überrascht, wie weit sich das verbreitet hat und glaube, dass sich hier sehr, sehr viel angestauter Zorn über diese indoktrinäre und linkslastige Berichterstattung der Medien Bahn bricht. Sehr viele Leute, auch aus dem Mainstream, haben sich angeschlossen der Kritik an dem WDR-Kinderchor-Lied. So stark war die Kritik, dass die Leute diesmal so richtig in die Knie gehen mussten.“ (Video vom 29.12.2019, 84.000 Views)
Natürlich spricht auch Sellner von einer „Eskalationsstufe im Krieg der Worte“, von einer „Entmenschlichung“ der Oma und einer „Indoktrinierung“ der Kinder. Wichtiger ist allerdings: Jedes Video enthält einen „Call to action“. Und der richtet sich gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es sind nicht nur Aufrufe, die Redaktion per Mail, Social Media oder Telefon zu bestürmen, so wie an anderen Stellen des Internets. Den Beitragsservice, der bis 2013 Gebühreneinzugszentrale, also GEZ hieß, solle man „nerven“ und dort ein Sandkorn im Getriebe sein, man solle sie mit Datenauskunftsgesuchen nach DSGVO überschwemmen, falsche Beträge überweisen und so Bearbeitungsbedarf schaffen. Später wird Sellners Framing stärker, dann geht es um die „Gebührenrevolte“ und Sellner träumt von einer Front aus „patriotischen Medienkonsumenten, AfD-Sympathisanten und Gebührengegnern“, die einen „Kampf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ führen. Vielleicht könne man mit diesem Neben-Thema gar eine Version des (nur in Frankreich erfolgreichen) Gelbwesten-Protests in Deutschland in Leben rufen und „Massen von Menschen auf die Straße mobilisieren.“ (Video vom 31.12.2019, 64.000 Views). Sellner verweist auf ein Anleitungsvideo zum Gebührenboykott des rechtspopulistischen YouTube-Kanals „Achse: OstWest“, dass bisher über 200.000 Mal angesehen wurde. Kanal-Betreiber Feroz Khan, Sohn pakistanischer Eltern aus Dresden, war auch beim AfD-organisierten Kongress der „Freien Medien“ 2019 in Berlin. Als perfektes Mobilisierungsthema erscheint Martin Sellner der Kampf gegen Rundfunkgebühren und öffentlich-rechtlichen Rundfunk, „weil es ein unpolitisches Thema ist, aber mit Sprengpotenzial, das sogar den WDR-Chef zu einer Entschuldigung gebracht hat.“ (Video 06.01.2020, 43.000 Views). Das könne man auch „an einen unpolitischen Freund“ weiterleiten und damit das System zum Einsturz bringen.
Galerie: Klicken Sie sich durch eine Auswahl von Postings aus dem Sellner-Umfeld zu #Omagate
Die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Den Traum von der Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks träumen Rechtsextreme, Verschwörungsideologen, „Demokratiekritiker*innen“ und andere, die ihre Meinung dort nicht repräsentiert sehen, schon seit langer Zeit – schon als „Pegida“ 2014 „Lügenpresse“ skandierte, war das ein alter Hut. So gibt es zum Zeitpunkt, als #Omagate ausbricht, bereits ein ausgewähltes Netzwerk an aktuellen Online-Initiativen, die Anleitungen zur Verfügung stellen, wie Menschen den Beitragsservice boykottieren, stören oder wenigstens ärgern sollen – und sie werden im Zuge von #Omagate auf allen nur denkbaren Kanälen beworben.
Viele Aktionen nennen sich „parteilos“ und „unabhängig“, finden aber vor allem Unterstützer*innen aus dem rechts-alternativen Spektrum. Manche Aktionen, etwa „Rundfunkfrei“, präsentieren auf ihrer Website Unterstützer aus dem verschwörungsideologischen Spektrum, etwa u.a. KenFM , Jo Conrad (Bewusst.tv) oder Heiko Schrang, und zeigen eine Buchauswahl unter anderem aus dem verschwörungsideologischen Kopp-Verlag auf der Website der Aktion.
Am beliebtesten ist derzeit in der rechtsalternativen Szene eine Aktion namens „Hallo Meinung“ des „parteilosen Unternehmers“ Klaus-Peter Weber. Die Aktion bietet eine professionell aufgemachte Website und macht mit zahlreichen Unterstützer-Videos auf YouTube Stimmung – u.a. von rechtsalternativen Medienmachern wie „Neverforgetniki“ oder Markus Hibbeler. Weber nennt „Hallo Meinung“ in YouTube-Videos „eine patriotische Organisation gemeinnütziger Art“ (Video 12.01.2020) oder eine „Eine nationale Kraftanstrengung für mehr Meinungsfreiheit!“ (Kommentar unter Video 05.11.2019; in diesem Video wird übrigens diskutiert, ob Ex-NPD-Mitglieder bei „Hallo Meinung“ Mitglied werden dürfen – Weber findet, eher nicht, entscheiden soll das aber ein noch zu gründender „Beirat“). „Hallo Meinung“ verbreitet Taktiken, mit dem der Beitragsservice des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sabotiert werden soll. Die Gruppe ist auf YouTube (13.900 Abonennt*innen) aktiv, auf Facebook (53.000 Fans), Twitter (2.400 Fans) und Instagram (977 Abonennten), sie macht eine Radiosendung und ein Veranstaltungsformat, die „Runde Ecke“. Übrigens hatte „Hallo Meinung“ auch zur Demonstration am 04.01.2020 in Köln gegen den WDR aufgerufen, die durch die rechtspopulistischen und rechtsextremen Teilnehmer*innen deutlich zeigte, in welcher politischen Ecke der Protest zu verorten ist (BTN berichtete).
Auf diese Aktion verweist übrigens auch der Anwalt Joachim Steinhöfel, als er auf seinem Blog bereits am 21.12.2019 im Artikel „Weihnachtsgrüsse an den ‘Beitragsservice’: Systemkollaps durch Datenschutzgrundverordnung“ schreibt: „Wenn jeder, den die Abgabe ärgert, diese Anfrage stellt, wird es beim ‘Beitragsservice’ möglicherweise zum Systemkollaps kommen. (…) Das ist ebenso schnell erledigt, wie ein Kommentar bei Facebook. Und es wäre ein Heidenspaß. Würden alle mitmachen, ist das System am Ende. Auf gehts. Und vielleicht noch den Auskunftsantrag beenden mit ‘Mit weihnachtlichen Empfehlungen’.“ Der Artikel wurde ebenfalls auf dem Blog „Achse des Guten“ veröffentlicht, für die Steinhöfel gelegentlich schreibt. Seither gibt es übrigens drei weitere Beiträge auf Steinhöfels Blog zum Thema. Auch er kann sich offenkundig für die Arbeit gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begeistern.
Auch der AfD ist dieser schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Zu #Omagate veröffentlicht der AfD-Bund-Facebook-Kanal (über 485.000 Fans) eine moderate Menge von fünf Posts, von denen allerdings jeder im Schnitt 10.000 Likes erhielt und über 1.000 (in der Regel empörte) Kommentare sammelte. Im Facebook-Post vom 12. Januar 2020 bekennt sich die Bundes-AfD offen zum Gebührenboykott: „Das Fernsehvolk lässt sich nicht mehr alles bieten. Und das Prinzip des GEZ-Funks ist nicht bis in alle Ewigkeit festgeschrieben. Alle Gegner der gebührenverschlingenden Riesen-Anstalten haben darin einen Verbündeten, der immer größer wird: Die AfD. (…) Das ist unser Versprechen an alle Deutschen: Wir machen Schluss mit GEZ und Meinungsmache. Deutschland braucht einen schlanken, kostenorientiert arbeitenden Rundfunk, der neutral und ohne linksgrüne Scheuklappen berichtet. Und dann schauen wir uns auch mal das Gehalt von Herrn Buhrow an.“
Die Facebook-Redaktion der AfD in NRW war offenkundig zwischen Weihnachten und Silvester in Urlaub, hat aber seit Januar 2020 insgesamt 11 zum Teil geifernde Anti-Rundfunk-Beiträge mit Bezug zu #Omagate veröffentlicht, darunter Verweise auf „Hallo Meinung“, um die Rundfunkgebühren zu boykottieren.
Warum hasst die rechts-alternative Szene den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
An der Oberfläche ist bei den Protesten gegen Rundfunkbeitrag und den „ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice“ (die GEZ und die Rundfunkgebühr gibt es seit 2013 gar nicht mehr) gern von einer „Zwangsabgabe“ die Rede, mit der man einen Rundfunk finanziere, der wahlweise nicht „neutral“ genug berichte (also der eigenen Meinung und Weltsicht nicht entspreche), finanziell intransparent sei und/oder zu hohe Gehälter zahle.
Eine interessantere inhaltliche Begründung findet sich dagegen bei Martin Sellner. Im YouTube-Video vom 31.12.2019 zu #Omagate führt er aus, warum er den „Kampf“ gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so bedeutend findet: Es gehe um einen „Informationskrieg“, in dem sich Deutschland befände. Deutschland engagiere sich zu wenig für ein Abschottung der Grenzen, Sicherung der eigenen Identitäten und ähnlichem: „Was uns abhält, ist keine Ressourcen-Knappheit, kein übermächtiger Feind – es ist die Verbreitung von falschen Ideologien, falschen Narrativen, falschen Zahlen. Dabei geht es weniger um falsche Fakten, sondern darum, dass Leute mit der Moralkeule konditioniert werden, dass bestimmte Dinge in Fragen der Migrations- und Bevölkerungspolitik böse wären, dass man sie nicht denken dürfe, dass Grenzen grundsätzlich negativ wären, und all das geht zurück auf die Informationsschleudern, die metapolitischen Machtpositionen unserer Gegner, namentlich ist das eben der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Ganz genau das ist die Wurzel des Übels. Wenn die nicht mehr in der Lage sind, jeden Tag Millionen zu bewegen, (…) und genau diese falsche Propaganda zu verbreiten, dann schwindet die Säule der Macht. Das ist im Infokrieg (…) ihr Informationsmonopol, das wir ja auch immer wieder als Gegenöffentlichkeit, als Freischärler und Partisanen und Freischärler der Informationen, angreifen und unter Stress setzen.“
Ohne nicht-rechte Medien hätten rechts-alternative Demokratiefeind*innen es leichter, ihren Hass zu verbreiten? Ein besseres Argument für die Erhaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und einer vielfältigen Medienlandschaft gibt es kaum.