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Antifeminismus Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung? Im Internet nicht ohne Hasskommentare

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Antifeministische Videos auf YouTube (Quelle: Screenshots YouTube / BTN)

In Deutschland, so berichtet eine aktuelle Umfrage des Ipsos-Meinungsforschungsinstituts, geben zwar 65 Prozent der Befragten an, dass sie das Erreichen von mehr Gleichberechtigung als ein wichtiges Ziel ansehen, aber nur 28 Prozent der Frauen und nur 18 Prozent der Männer würden sich selbst als Feminist*innen bezeichnen. In Sozialen Netzwerken lässt sich live beobachten, was dafür ein Grund sein könnte: Es gibt kaum ein Feindbild, dass ausgeprägter scheint, als Feminismus. Wer sich für Feminismus einsetzt, für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, für Geschlechtergerechtigkeit, stößt auf eine Vielzahl von teils weinerlichem, teils aggressivstem Widerstand. Es gibt nicht „die“ antifeministische Szene, sondern viele verschiedene zwischen fundamental-christlich motivierten „Lebensschützer“-Abtreibungsgegner*innen, Männerrechtlern und Maskulinisten über Rechtspopulist*innen, die Sexismus mit Rassismus und Nationalismus verschränken, bis zu „modernekritischen“ Konservativen, die wenigstens den gesellschaftlichen Status Quo zementieren möchten, lieber aber noch wieder in die 1950er Jahre zurückschreiten, als Männer Macht und Frauen Heim und Herd hatten und niemand auf die Idee kam, Sprache zu gendern, um mehr als zwei Geschlechter mitzudenken. Aber während Rassismus oder Antisemitismus der Ruch des Reaktionären und Demokratiefeindlichen anhaftet, sind Sexismus und Misogynie, also Hass auf Frauen, gesellschaftlich noch so weit verbreitet, dass selbst sexistisches Trolling und Mobbing, das wiederholte und gezielte Beleidigen und Herabwürdigen von Frauen im Internet, manchen Männern immer noch als akzeptables Verhalten erscheint.

Angriffe auf Frauen sind Alltag im Internet: „Ligue du LOL“ und „Toxic Twitter“

Die Anfang Februar in Frankreich aufgeflogene „Ligue du LOL“ war so eine Frauenhasser-Facebook-Gruppe, in der Journalisten, Werber, Grafikdesigner und Informatiker versammelten, um „einfach Spaß zu haben“, wie der Gründer berichtet: „Aber schnell ist unsere Art, Spaß zu haben, sehr problematisch geworden.“ Angriffsziele waren feministische Autorinnen, Journalistinnen und YouTuberinnen.  Angriffsformen: Sexistische Beleidigungen oder Fotomontagen oder pornografische GIFs mit ihren Gesichtern auf den dargestellten Körpern.  Die Folgen des „Spaßes“: Von der Gruppe belästigte Frauen zogen sich aus Sozialen Netzwerken zurück, hatten Angstzustände und Selbstmordgedanken (vgl. Spiegel Online).

In der Ipsos-Umfrage sagen 43 % der befragten Männer, in Deutschland werde genug zu Gleichstellung von Männern und Frauen getan (2018 waren es noch 34 %), bei den Frauen sehen das nur 28 % so. Die Frauen wünschen sich vor allem gerechtere Löhne und strengere Gesetzte zum Schutz vor Gewalt und Belästigung. Diese Gewalt und Belästigung erleben Frauen im Offline-Alltag, aber auch massiv, wenn sie soziale Netzwerke nutzen. Die Gefahr potenziert sich, wenn Frauen sich in Sozialen Netzwerken politisch äußern, feministisch äußern und / oder People of Colour sind. Und weil der Strom aus Misogynie, also Frauenhass, niemals versiegt, wird er zu einer belastenden Realität, der weibliche Stimmen im Internet verstummen lässt.

Zu diesem Ergebnis kam auch mehrere Studien der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“, die sich mit Online-Gewalt gegen Frauen auf Twitter beschäftigten und zu dem Schluss kommen, Twitter sei „toxic“ für Frauen (Studie „Toxic Twitter“, 2017). Die neueste Studie aus dem Dezember 2018 betrachtete die Kommunikation mit den Twitter-Accounts von 778 Politikerinnen und Journalistinnen aus den USA und Großbritannien.

  • Die 778 Frauen wurden in 1,1 Millionen Tweets abwertend erwähnt und angegriffen – das macht einen Frauenhass-Tweet alle 30 Sekunden und es machte 7,1 % der Kommunikation aus, in der sie insgesamt erwähnt wurden.
  • Weiße Frauen erhielten 6,7% abwertende Tweets, also 1 von 15 Tweets war abwertend.
  • Frauen of Colour, also mit schwarzer, lateinamerikanischer oder asiatischer Assoziation, wurden 34 mal mehr abgewertet und belästigt als Frauen mit weißer Hautfarbe.
  • Schwarze Frauen wurden sogar zu 84 % eher Ziel eines abwertenden Angriffs als weiße Frauen. In den meisten Tweets (70 %) waren Rassismus und Misogynie verknüpft.
  • Der Faktor „Frau“ zählte dabei mehr als politische Ausrichtung: Frauen aller politischen Richtungen von liberal bis konservativ wurden gleichermaßen frauenfeindlich attackiert.

 

Die Angriffe lassen weibliche Stimmen verstummen

Die erste Folge solcher Angriffe sind Schweigen und Rückzug. Weltweit nutzen Frauen das Internet im Schnitt 12 Prozent weniger als Männer, bei der aktiven Beteiligung wird die Kluft noch größer: Männer veröffentlichen mehr Inhalte, Kommentare, Kaufempfehlungen, starten mehr Online-Petitionen und schreiben mehr bei Wikipedia (20 % der Autor*innen sind Frauen, vgl. Alumniportal-Deutschland.de).

Wer die eigene Sicht einbringen will, muss sich auf einiges gefasst machen, kann aber auch Erfolge verbuchen. So haben Twitter-Kampagnen wie #aufschrei, #schauhin, #ausnahmlos oder #metoo für Sexismus und Rassismus sensibilisiert und gesellschaftliche Debatten beeinflusst. Die Kehrseite schildert die feministische Aktivistin Jasna Strick, eine der Initiatorinnen des Hashtags #aufschrei: Der Hass sei per E-Mail gekommen, per persönlicher oder öffentlicher Nachricht auf Twitter, durch Blogkommentare, Rezensionen von Büchern auf Amazon und Bewertung der Autorin dort, per SMS oder Anruf, wenn die Telefonnummer bekannt ist. Vortragsveranstalter*innen und Arbeitgeber*innen wurden per Mail oder Anruf „gewarnt“ vor den „Feministinnen“, Journalist*innen angeschrieben und mit diffamierenden „Informationen“ über die Aktivistinnen versorgt, der Bundesvorstand der Partei, in der sie aktiv war, wurde angeschrieben: „Es ging ums Anschwärzen, schau mal, was die schreibt. Es ging darum, dass wir Jobs verlieren, Freund*innen verlieren, nicht mehr öffentlich sprechen dürfen.“ (Vortrag auf YouTube). Dabei wurden „geistige Gesundheit, Aussehen und Fickbarkeit und Essgewohnheiten“ beurteilt, es gab Beleidigungen aufgrund von Intelligenz, Arbeit, (zugeschriebener) sexueller Identität und aus Rassismus, Vergewaltigungsdrohungen und Todeswünsche, aber auch Ankündigungen, auf öffentliche Veranstaltungen mit einer Waffe zu kommen: „Das ist kein Cybermobbing, das ist Online-Gewalt“. Wenn man dann noch bedenkt, dass es tatsächlich frauenfeindliche Online-Szenen gibt, die über Gewalt nicht nur schreiben, sondern ihre Hass-Fantasien auch als misogynen Terror in die Tat umsetzen, ist leicht zu verstehen, wie beängstigend diese Erfahrung ist und dass sie körperliche und seelische Folgen hat, von Angstzuständen und Depressionen bis zur Selbstmordgefahr.

Die Täter-Netzwerke

Hinter koordinierten Angriffen stehen oftmals Netzwerke aus antifeministischen Subkulturen wie Maskulinisten, „Incels“, „Pick-Up-Artists (PUA)“ und „Men going there own Way (MGTOW) (vgl. BTN). Aber auch in der rechtsextremen, rechtspopulistischen und rechtskonservativen Online-Szene sind Antifeminismus, Frauenhass und Wettern gegen Gender und Geschlechtergerechtigkeit ein Thema, auf das man sich einigen kann – und so für viele ein Einstiegspunkt in ein Weltbild, indem sich zum Sexismus und Antifeminismus schnell auch andere Abwertungen wie Rassismus oder Islamfeindlichkeit mischen (vgl. BTN).

Vernetzt sind diese Szenen über Blogs oder V-Logs auf YouTube, Soziale Netzwerke und Messengerdienste. Tatsächlich entsteht der Eindruck, dass es im Internet kaum einen Beitrag über Gleichberechtigung oder Sexismus gibt, der nicht von Antifeminist*innen und Rechtspopulist*innen angegriffen wird.

Wenn sich Politiker*innen und Autor*innen mit großer Reichweite und professioneller Kommunikation dem Themenbereich widmen, geht es meist um die Ablehnung von Gender-Mainstreaming und Gender Studies, hat die Kommunikationswissenschaftlerin Ricarda Drüeke festgestellt. Auf Blogs und in Interessengruppen geht es mehr um männerzentrierte Opfermythen, vermischt mit homophoben und rechtsextremen Themen. Ein Aktivismus-Feld mit viel Engagement sind Kommentarfunktionen von großen Medien und Online-Verkaufsportalen wie etwa Amazon. Vorherrschende Diskurse: Die Beleidigung von Autor*innen und anderen Kommentator*innen. In der Alltagsöffentlichkeit von Foren, Blogs, Twitter und Facebook geht es dann um die Stärkung des „Wir-Gefühls“ in der Szene. Inhaltlich geht es auch hier um stark abwertende Kommentierungen von feministischen Artikeln und Veranstaltungen, Angriffe auf Personen sowie Aktionen zum Unterlaufen feministischer Aktionen und Hashtags.

So vielfältig wie die Akteur*innen im Feld sind auch die Themen, die Antifeminist*innen bewegen, auch wenn viele männer- oder familienzentrierter Antifeminismus sind. Beim Forum „WGVDL“, einem antifeministischen Urgestein im Internet, gibt es Kategorien wie „Abtreibungen in der BRD“, „Bildungsmisserfolg der Jungen“, „Feministischer Müllhaufen“, „Feminismuskritiken“, „Männerhasszitate“, „Männerknast“, „Sprachfeminismus“ oder „Weibliche Gewalt“. Das Antifeminismus-Wiki „Wikimannia“ (vgl. BTN) empfiehlt als Themen „Familienzerstörung“, „Feminismuskritik, Genderismuskritik“, „Frauenbevorzugung (Frauenquote)“, „Frauen gegen Feminismus“, „Geldtransfer (Unterhaltsmaximierungsprinzip)“, „Genderismus (Fachbegriffe des G., GM)“, „Hass auf Männer“, „Helferinnenindustrie“ (das sind z.B. Gleichstellungsbeauftragte oder Hilfs­organisationen wie Wohlfahrts­verbände, Beratungs­stellen, Frauen­häuser, Kinderschutz­vereine), „Männerbenachteiligung“ oder „Opferkultur“ (gemeint ist „die gesell­schaftliche Haltung, immer genügend Benachteiligte, Diskriminierte und Opfer zu erzeugen“).

Oder wer auf YouTube versucht, irgendein Video zum Thema „Feminismus“, „Antifeminismus“ oder „Gender“ anzusehen stößt in der Kommentarspalte schnell auf Beiträge wie diesen:

Antifeministischer Kommentar auf YouTube

Was tun?

Familien zerstören, Steuergelder verschwenden, „Genderwahn“ verbreiten, „Feminisierung“ der Gesellschaft – das sind die Vorwürfe, durch die Antifeminist*innen sich legitmiert sehen, abwertende Hass-Kampagnen zu fahren, um damit Frauen mundtot zu machen und nebenbei Sexismus wieder gesellschaftsfähiger zu machen. Diese Erfahrung macht auch Claudia Roth als stellvertretende Bundestagspräsidentin, wie sie vor wenigen Tagen dem Tagesspiegel schilderte: „Frauen werden ganz massiv eingeschüchtert und mit sexualisierten Gewaltfantasien konfrontiert. Wir veranstalten ab und an „Hate Slams“, bei denen wir Grüne unsere Hasspost vorlesen. Es zeigt sich immer wieder, dass auch Männer böse Zuschriften erhalten. Die körperliche Komponente aber kommt in den Briefen an die Männer kaum vor. Frauen dagegen bekommen Mails, in denen beispielsweise ihr Körper als hässlich, fett und verkommen beschrieben wird. Von den Vergewaltigungs- und Misshandlungsdrohungen ganz zu schweigen.“ Der Aufstieg von „Pegida“ und AfD hätte diese Entwicklung verschärft.

Als Gegenstrategie empfiehlt sie, den Hass öffentlich machen: „Dann habe ich gemerkt, dass es fast das beste Mittel ist, mit diesem Hass umzugehen. Und es mobilisiert die Menschen. Viele wissen gar nicht, womit manche Frauen konfrontiert sind.“ Außerdem rät sie Betroffenen, Unterstützung und Solidarität einzufordern: „Wir müssen zeigen, dass wir Demokratinnen und Demokraten gegen diesen Hass zusammenhalten. Und genau das tun wir.“ Auch Jasna Strick setzt auf Öffentlichkeit und die positive Kraft feministischer Netzwerke. Sie zitiert Margarete Stowkowski, die 2013 zu #aufschrei schrieb: „Eine Frau, die sich als trauriger Einzelfall sieht, wird keine Revolte starten.“

  • Online kann das aber auch konkret heißen: Sexismus und Antifeminismus entschlossen, aber mit Selbstschutz entgegentreten. Tipps bietet die Broschüre „Antifeminismus als Demokratiegefährdung?! Gleichstellung in Zeiten von Rechtspopulismus“ (pdf) der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsbeauftragter. Hier gibt es Tipps zu „Hate Speech in Ihrer Timeline“, „Hate Speech auf der Social-Media-Seite, die sie betreuen und zu „Hate Speech in der Internetöffentlichkeit“.
  • Das Projekt „Genderdings“ informiert zu Antifeminismus und Gegenrede-Strategien in Sozialen Netzwerken:
    https://genderdings.de/
  • Zum Weltfrauentag am 08. März startet das „No Hate Speech Movement“ in Deutschland die Videokampagne #JetztErstRecht: Clips von Politiker*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen, die ihre Stimmen zum Stand der Gleichberechtigung selbstbewusst äußern. Mit dabei sind unter anderem Katarina Barley, Vanessa Vu, Renate Künast und Katrin Göring-Eckardt.
  • Anlässlich des Frauenkampftages 2019 veranstaltet die Initiative „LOVE-Storm“ ein Online-Training und einen Aktionstag zu Antifeminismus im Netz. Zugleich soll eine Aktionsgruppe Frauen* bei Cybermobbing und Hassangriffen aus dem Netz zukünftig besser schützen. Mehr Infos: https://app.love-storm.de/trainings

Und zuletzt noch eine Twitter-Empfehlung:

Aktuell werden unter dem Hashtag #notcoolman Beispiele gesammelt, wie Männer gegen die Belästigung von Frauen durch andere Männer eingeschritten sind – zur Inspiration nicht nur am Internationalen Frauentag.

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