Westliche Gesellschaften sind schon lange von patriarchalen Strukturen bestimmt. Seit einigen Jahrzehnten unterliegt die Geschlechterordnung jedoch einem Wandel, der die bisher bestehenden Verhältnisse infrage stellt. Insbesondere Männer, die von einer patriarchalen Geschlechterordnung bislang profitier(t)en, zeigen sich nun teilweise verunsichert. Es ist von einer „Krise der Männlichkeit“ die Rede, welche als rückwärtsgewandte Reaktion auf sich wandelnde Geschlechterverhältnisse betrachtet werden kann.
Worum geht es nun bei der „Krise der Männlichkeit“?
Im Wesentlichen geht es um die Abwehr einer vermeintlich großen Gefahr, bei der einer Minderheit von Feminist:innen die Zersetzung der „natürlichen Geschlechterordnung“ vorgeworfen wird und darüber hinaus die Unterdrückung des Mannes zum Ziel hätte. Grundlegend für diese Annahme ist der Glaube an die Existenz einer natürlichen Geschlechterordnung. Es wird davon ausgegangen, dass Geschlechterunterschiede per se gegeben sind und auch ihre Berechtigung und Funktion hätten. Dieser biologistischen Logik folgend werden strukturell gefestigte Geschlechterunterschiede innerhalb einer Gesellschaft als legitim und sinnvoll erachtet.
Der Mann wird in der Rolle des Herrschers, Versorgers und Beschützers gesehen, die Frau in der Rolle der Hausfrau und Mutter. In dieser heteronormativen Vorstellung ergänzen sich Mann und Frau, verhalten sich also komplementär zueinander. Eine männlich dominierte Gesellschaft wird damit als natürlicher (Ur-)Zustand verstanden. Die sich ändernden Geschlechterverhältnisse werden daher als Gefahr statt als Fortschritt interpretiert.
Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau wäre längst erreicht und der Feminismus würde nun zu weit gehen. Er sei eine totalitäre Ideologie, welche in allen gesellschaftlichen Bereichen Kontrolle ausüben und bereits im Kindesalter indoktriniert werden würde. Diese Ideologie sei im Kern männerfeindlich. Positive Qualitäten des Mannes würden umgedeutet und der Mann „entmannt“ und verweichlicht. „Mut werde als Aggressivität denunziert, Leistungsmotivation als Karrierismus, Durchsetzungsvermögen als Herrschsucht, männliche Autonomie als Unfähigkeit zu Nähe und Hingabe […]“, so der Sozialpsychologe Rolf Pohl. Es findet eine negative Umkehr statt, in der Frauen als privilegiertes Geschlecht und Unterdrückerinnen gesehen werden. Es herrscht ein Weltbild vor, in welchem oftmals auf pseudowissenschaftliche Erklärungen zurückgegriffen und die komplexe Realität auf „Gut“ und „Böse“ reduziert wird.
Die Bandbreite von Vertreter:innen dieser für Verschwörungstheorien typischen Ansichten ist groß und von Heterogenität gekennzeichnet. An der Front stehen sogenannte Männer- und Väterrechtler sowie „Maskulinisten“, die sich als soziale Gegenbewegung zu Feminist:innen verstehen und positionieren. Ihre Positionen sind dabei nicht immer einheitlich und nicht immer gleich radikal. Bekannte Strömungen von Männerbewegungen, welche mit dem Diskurs der Krise der Männlichkeit im Zusammenhang stehen, sind unter anderem „Pick-Up-Artists“, „Men Going Their Own Way“ (MGTOW) und „Incels“ (involuntary celibates). Antifeministische Haltungen, die aus diesem Diskurs resultieren, können in ihrer Konsequenz von bloßer Ignoranz über sexistische Kommentare bis hin zu Femiziden reichen. So stellte sich heraus, dass ein aggressiver Antifeminismus und Frauenhass Teil der Motivation etlicher Attentäter war. Darunter die Täter von Halle, Hanau, Christchurch und Utøya. In ihren sogenannten Manifesten und Verlautbarungen machen sie ihre frauenfeindlichen Ansichten überaus deutlich und berufen sich dabei nicht selten auf vorherige Täter.
Gibt es eine Krise der Männlichkeit?
Der Glaube an eine Krise der Männlichkeit verkennt, dass Männlichkeit ein gesellschaftliches Konstrukt ist. Es ist als wandelbar, grundsätzlich krisenhaft und fragil in männlich dominierten Gesellschaften zu verstehen. Das jahrhundertelange Bestehen und Beharren von patriarchalen Strukturen in unserer Gesellschaft bedeutet nicht, dass diese natürlicherweise bestehen und keinesfalls, dass die Vorherrschaft des Mannes gerechtfertigt ist oder es jemals war.
Merkmale und Vorstellungen davon was als typisch „männlich“ und „weiblich“ gilt, können identitätsstiftend wirken und ein Gefühl von Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe schaffen. Wurde sich seit jeher an diesen bereits in der Sozialisation prägenden Merkmalen orientiert und diese verinnerlicht, kann die Infragestellung derselben Unsicherheit aufkommen lassen. Diese Unsicherheit kann nicht nur bei Männern aufkommen und dazu führen, dass antifeministische Ansichten geteilt werden. Es kommt vor, dass auch Frauen den Verlust an „richtigen Männern“ in der heutigen Gesellschaft beklagen und die Forderung nach Präsenz von „Männlichkeit“ im alltäglichen Leben herausstellen.
Der Wunsch nach eindeutiger Verkörperung von Männlichkeit im stereotypischen Sinne zeugt von dem Verlangen, die eigenen identitätsstiftenden Merkmale des typisch „Weiblichen“ bestätigt zu bekommen. Diese Forderung ist auch hier Ausdruck von Unsicherheit infolge gesellschaftlichen Wandels. Es sind nicht nur Männer von einer solchen Verunsicherung betroffen, weshalb sich auch Frauen antifeministisch positionieren können, um dieser entgegenzuwirken. Auch wenn dies zunächst widersprüchlich erscheint. Im Moment der Verunsicherung kommt es auf Offenheit an, die Bereitschaft Neues anzunehmen und das Bestehende reflektieren und schließlich hinterfragen zu können.
Gelingt dies nicht, kann es leichter fallen, Neues abzulehnen und das Alte zu glorifizieren. Der Krise der Männlichkeit geht daher mit hohen projektiven Anteilen einher. Die Projektion eigener Ängste und Unsicherheiten auf Andere, in diesem Fall insbesondere auf Feminist:innen, ermöglicht die Verarbeitung von gesellschaftlichen Veränderungen und damit in Zusammenhang stehenden subjektiven Krisenerfahrungen.
Die „Krise der Männlichkeit“ ist eine rückwärtsgewandte Reaktion auf die Infragestellung hegemonialer Männlichkeit. Daraus resultierende Veränderungen werden als negativ empfunden, die dahinterstehende Verunsicherung nicht wahrgenommen oder zumindest nicht offen als solche gedeutet. Der Feminismus ist vor allem Feindbild, weil er Quelle dieser Unsicherheit ist. Statt einer Auseinandersetzung mit hegemonialer Männlichkeit als identitätsstiftendes Phänomen, findet eine Reproduktion derselben statt und ein damit zusammenhängend verschobener Krisendiskurs. Die „Krise der Männlichkeit“ ist damit letztendlich vor allem eines: Verunsicherung. Allen voran die jener Männer, deren jahrhundertelang geltenden Privilegien endlich hinterfragt werden und die jetzt fürchten, diese verlieren zu müssen.