Aktuell gibt es gleich mehrere Anlässe für die Demonstrationen der Israel-Feinde: Während Zehntausende Israelis regelmäßig gegen die neue israelische Rechtsaußenregierung protestieren, versucht das Kabinett um Premierminister Netanjahu schnell Gesetze durchzupeitschen, die die Rechte von Palästinenser*innen in Israel und in der besetzten Westbank weiter einschränken. Auf dem Tempelberg kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern, die sich in der Al-Aqsa-Moschee verschanzen.
Die Vorgänge in Jerusalem dienten auch als Aufhänger für die Demo am Osterwochenende. Außerdem feiert Israel am 14. Mai den 75. Jahrestag der Staatsgründung. Während die Situation im jüdischen Staat also aktuell angespannt ist, soll der Konflikt, wenn es nach den Aktivist*innen geht, offenbar auf den Straßen der Hauptstadt ausgetragen werden. Leidtragende davon sind Jüdinnen*Juden in Deutschland, die mit dem Tod bedroht werden und deren ohnehin schon prekäre Sicherheitssituation durch die gewaltvollen Demonstrationen weiter verschärft wird.
Organisiert wurde die Demo, an der etwa 300 Personen teilnahmen, von der Gruppierung Samidoun, einer Vorfeldorganisation der Terrororganisation „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP). Samidoun selbst bezeichnet sich als Solidaritätsnetzwerk für palästinensische Gefangene. Gegründet wurde die Gruppe 2012 von Mitgliedern der PFLP, einer Organisation, die für mehrere blutige Attentate in Israel und Flugzeugentführungen verantwortlich ist. Seit 1997 steht die Gruppierung auf der Terrorliste der USA, seit 2002 auch auf der EU.
Die Demo von Samstag ist nicht die erste Veranstaltung von Samidoun, bei der es zu massiven antisemitischen Ausfällen kam. Seit einigen Jahren fasst die Gruppierung in Deutschland Fuß. Regelmäßig finden seitdem Demonstrationen statt. „Lang leben die Waffen“, „Raketen regnen Freiheit“ wurde unter anderem am vergangenen Samstag skandiert, um so die Angriffe auf Israel und seine Zivilbevölkerung durch die Hamas und ihren militärischen Arm, die al-Qassam-Brigaden und andere palästinensische Terrororganisationen zu rechtfertigen. Die Demonstrierenden forderten Freiheit für mehrere palästinensische Gefangene, etwa Ahmad Manasra, einen 20-Jährigen, der seit sieben Jahren in Israel im Gefängnis sitzt, nachdem er zusammen mit seinem Cousin ein Messerattentat durchführte.
Der Sprechchor „Und für diejenigen, die fragen, wer wir sind: Wir sind die Leute von al-Areen“ bezieht sich auf Saraya al-Areen, eine ursprünglich der syrischen Regierung nahestehenden militärischen Gruppe, deren Mitglieder gezielt israelische Zivilist*innen angreifen und vom Mullah-Regime im Iran unterstützt werden. Die Demonstrierenden feiern in Sprechchören verschiedene militante palästinensische Aktivisten, darunter Muhammad Dhaif, bekannt unter dem Namen Abu Khaled, einer der Kommandeure der al-Qassam-Brigaden oder Yahya Ayyash, einen palästinensischen Terroristen, der als Bombenbauer der Hamas für mindestens 50 tote Israelis verantwortlich ist.
Samidoun und ihre Unterstützer*innen in Deutschland, zu denen auch die BDS-Bewegung gehört, die mit Plakaten und Symbolen vor Ort war, versuchen immer wieder zu betonen, dass sich ihr Protest gegen den Staat Israel richtet und keinesfalls antisemitisch zu verstehen sei. Die Sprechchöre auf der Demo am Samstag beweisen – erneut – das Gegenteil. Aufnahmen von democ belegen Sprechchöre, die nicht nur die Auslöschung Israels, sondern auch explizit „Tod den Juden“ fordern.
Mittlerweile haben sich zivilgesellschaftliche Organisationen und Politiker*innen eindeutig geäußert. Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sagte in einer Mitteilung, die „Israelhass-Demonstration hätte so nicht stattfinden dürfen“ und forderte Konsequenzen aus dem Bundesinnenministerium. Auch der Antisemitismusbeauftragte Berlins, Samuel Salzborn, will den neuerlichen Antisemitismus nicht auf sich beruhen lassen. Dem Tagesspiegel sagte er: „Der antisemitische Charakter der Versammlung ist auf Basis der vorliegenden Informationen unzweifelhaft, die Bedrohung für Jüdinnen und Juden wird offen ausgesprochen – damit steht die Versammlung in einer Linie mit Kundgebungen der letzten Jahre, bei denen antiisraelischer Antisemitismus verbunden wird mit offener Hetze gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland.“
Der Antisemitismusbeauftragte hat „die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsbehörden auch um Prüfung von strafrechtlichen Fragen mit Blick auf die Versammlung gebeten.“ Auch ein Verbot der beteiligten Organisationen könnte im Rahmen der Möglichkeiten liegen. Salzborn weist in dem Zusammenhang auf die Innenministerkonferenz Ende 2022 hin, die Handlungsbedarf in Sachen israelbezogenem Antisemitismus feststellte, der sich besonders die Bahn bricht, sobald der sogenannte Nahost-Konflikt neu entflammt. Auf Bundesebene habe die Konferenz laut Salzborn empfohlen, „fortlaufend die Möglichkeiten von Vereins- und Betätigungsverboten“ zu prüfen.
Die „WerteInitiative“, ein jüdischer, zivilgesellschaftlicher Verein, kritisiert, dass die Veranstaltung trotz des massiven und nicht zu ignorierenden Antisemitismus nicht durch die Polizei abgebrochen wurde: „Seit Langem schon fordern wir das Verbot der vermeintlichen ‚Hilfsorganisation‘ Samidoun, die in diesem Fall wie auch bereits in der Vergangenheit mitverantwortlich für die Hass-Demo war.“
Die nächste Demonstration von Samidoun, diesmal zum „Internationalen Tag der palästinensischen Gefangenen“, ist bereits in wenigen Tagen geplant. Und schon heute dürfte klar sein: Auch an diesem Tag können sich Jüdinnen*Juden in Berlin nicht sicher fühlen.