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Antisemitismus-Dokumentation Streitbarkeit als Chance

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Um diesen Film wird viel diskutiert. Und das ist auch sein besonderer Wert: Eine Diskussion in Gang zu bringen über Antisemitismus in Deutschland und Frankreich. (Quelle: Screenshot Youtube, 15.06.2017)

 

 

Die BILD-Zeitung veröffentlichte am Montag für 24 Stunden auf ihrer Seite die Dokumentation „Auserwählt und Ausgegrenzt. Der Hass auf Juden in Europa„. Der deutsch-französische TV-Sender ARTE und der WDR, die Auftraggeber, haben sich gegen eine Ausstrahlung ausgesprochen, da der Film „gravierend von dem verabredeten Sendungskonzept abweicht“ (Quelle: Presseportal). Als Auftrag für einen europäischen Sender sei verabredet worden, die Dokumentation solle nur den Antisemitismus in Europa und nicht im Nahen Osten zeigen . Die Filmemacher_innen unterstellen den Sendern, „die erschreckenden Ergebnisse des Films“ seien die wahren Gründe für die Ablehnung der Dokumentation. Da der Film auch sehr zentral den Antisemitismus aus muslimisch sozialisierten Communities in Frankreich thematisiert, wäre sogar möglich, dass vielleicht bei ARTE auch das Charlie Hebdo-Attentat dazu geführt hat, Angst vor der Ausstrahlung einer solchen Dokumentation zu haben.

Der Vorwurf von ARTE, dass eine Thematisierung des Antisemitismus im Nahen Osten für den europäischen Sender nicht finanzierungswürdig sei, mag formal korrekt sein – zumindest inhaltlich ist er absurd. Denn die Doku zeigt sehr eindringlich, dass die Darstellung des Antisemitismus in Europa ohne die zahlreichen Verflechtungen von europäischen NGOs in Israel/Palästina und der EU-Kommission mit der islamistischen Hamas, der  palästinensischen Autonomiebehörde und dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) sehr lückenhaft bleiben würde.

Und ja, der Film ist parteiisch und empathisch. Aber das darf auch ein Film sein, der Rassismus, Sexismus oder eben Antisemitismus zu Thema hat. Bei der Thematisierung von Flucht und Vertreibung der Palästinenser_innen 1948, der sogenannten Nakba, wird das israelische Narrativ dargestellt, nicht das palästinensische. Auch bei der Erwähnung von Diskriminierung bei den Kontrollen an israelischen Checkpoints ist die Wortwahl mitunter zu relativierend. Das kann man durchaus kritisieren.

Jedoch fällt diese Einseitigkeit uns besonders deshalb auf, da der Regelfall der umgekehrte ist. Zuletzt war das sehr eindringlich in den ´heute`-Nachrichten des ZDF am 6. Juni zu sehen (vgl. ZDF.de). In einer Rückblende auf den 50. Jahrestag des Beginns des 6-Tage-Krieges wird berichtet, dass Israel mit einem Überraschungsangriff den Krieg begonnen habe. Formal richtig, aber über die Vernichtungsdrohungen der Nachbarstaaten im Vorfeld, der Drohung „die Juden ins Meer zu treiben“  verliert die „Heute“-Sendung kein Wort. Ganz so, als habe Israel aus reiner Aggression die Nachbarstaaten angegriffen. Trotz dieser Einseitigkeit ist solch ein Bericht in den Hauptnachrichten des ZDF eine Selbstverständlichkeit. Zumindest eine kurze öffentliche Debatte gab es, als „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ einen sehr einseitigen, teils verfälschenden Bericht zur Wasserknappheit im Westjordanland brachten (vgl. FAZ). An diese Einseitigkeit haben wir uns gewöhnt, sie entspricht anscheinend auch dem Weltbild vieler Deutscher und Franzosen.

Die Antisemitismus-Dokumentation zeigt, wie verankert bewusster und unbewusster Antisemitismus in den europäischen Gesellschaften ist. Gleich zu Beginn ist zu sehen, wie im EU-Parlament Palästinenserpräsident Abbas antisemitische Ressentiments von Juden als Brunnenvergiftern verbreitet, das Parlament auf die Rede mit Standing Ovations reagiert und der damalige EU-Präsident und heutige SPD-Vorsitzende Martin Schulz von einer „inspirierenden Rede“ spricht (vgl. Tagesspiegel). Ein Skandal, den fast keine Zeitung oder Nachrichtensendung thematisierte.

Auch die Linke und ihr Antisemitismus sind ein wesentlicher Bestandteil des Films: Auf einer antiisraelischen Demonstration in Berlin-Neukölln erklärt der Sozialarbeiter und Linksaktivist Ahmed Shah die Israelis quasi zu den neuen Nazis, denn er erklärt, Anne Frank wäre heute gegen Israel auf der Straße. Was man hier der Doku vorwerfen kann,  ist, dass sie es versäumt, Ahmed Shah und seine Position als einer der bekanntesten Sozialarbeiter Berlins zu benennen und zu thematisieren: Er arbeitet mit vielen Jugendlichen und  vermittelt ihnen, wer gegen Rassismus sei, müsse auch „gegen den Apartheidstaat in Israel“ kämpfen (vgl. Deutschlandfunk Kultur). Erschreckend, dass jemand mit solchen Positionen nach wie vor gern gesehener Gast und Experte bei öffentlichen Veranstaltungen des Berliner Kulturbetriebs ist, etwa für den Bereich Diversitätsentwicklung. Wer diesen Sozialarbeiter hört, den kann die auch im Film dokumentierte Einstellung mancher Jugendlicher auch auf Berliner Straßen nicht wirklich verwundern.

Wie erwähnt und von ARTE kritisiert, begibt sich die Doku auch nach Gaza. Dies ist jedoch zum Verständnis des Sachverhaltes Antisemitismus in Europa durchaus von Belang. Denn die Bilder aus Gaza sind andere, als die meisten sie kennen oder erwarten würden. Viele stellen sich Gaza stets als eine reine Stadt von Kriegsruinen vor. Es kommen Studierende zu Wort, die die Hamas vor laufender Kamera stark kritisieren und sich für eine Zwei-Staaten-Lösung aussprechen. Das konterkariert die in Europa zuvor dokumentierten Antiimperialist_innen, die die Hamas als unterstützenswerte „Widerstandsbewegung“ hofieren und von Gaza als „größtem Freiluftgefängnis der Welt“ reden. Es widerlegt aber auch jene, die die Palästinenser_innen per se als radikal, antidemokratisch und an keiner Friedenslösung interessiert dämonisieren.

In Gaza geht die Doku der Frage nach, wohin die Milliarden der EU fließen, die allem Anschein nach nicht bei den Menschen ankommen, und in wie weit hierdurch auch der Terror gegen Israel gefördert wird. Auch wird thematisiert, dass palästinensische Flüchtlinge einen Status haben wie sonst keine Flüchtlingsgruppe weltweit hat: Nämlich, dass sie ihren Status an ihre Nachkommen vererben: So sind aus  700.000 Geflüchteten mittlerweile 7 Millionen Geflüchtete geworden  –  und diese Zahl wird immer weiter steigen. Das ist nichts Neues, aber dieser Fakt ist kaum jemand bekannt. Am Schluss wird der Antisemitismus in Frankreich geschildert. Der beeindruckteste, aber auch bedrückendste Teil der Doku.

Diese vielen Aspekte machen den Film, trotz berechtigter Kritik, sehr sehenswert. Und ja, durch die Perspektive, durch die Kommentierung und Auswahl der Gesprächspartner_innen provoziert die Dokumentation. Man kann streiten, ob manche sarkastischen Kommentierungen notwendig sind oder gar schaden, da sie es einem einfacher machen, der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus durch Ausschalten der Dokumentation aus dem Weg zu gehen. Die Dokumentation tritt vielen auf den Schlips und viele fühlen sich bestimmt falsch dargestellt – aber das ist gut so! Denn der Film provoziert im besten Sinne und ist sehr geeignet, um über Antisemitismus ins Gespräch zu kommen – was auch die aktuelle Debatte im Feuilleton unter Beweis stellt. ARTE sollte dies als Chance ergreifen und den Film im Hauptprogramm zeigen – verbunden mit einer Gesprächsrunde im Anschluss an den Film. Bei anderen Dokumentationen passiert das doch auch, warum hier nicht? Denn der Film macht mehr als deutlich: Wir müssen über Antisemitismus reden, mitunter auch streiten, gerade in Zeiten, wo ein offen antisemitisches und völkisches Buch auf Platz 1 der deutschen Buch-Bestseller bei Amazon steht (vgl. Chip.de). Diese Chance zu vertun ist fahrlässig von ARTE, aber leider nicht verwunderlich.

 

Der Film auf YouTube:

https://www.youtube.com/watch?v=mEQ5MNGz2I4

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Erstmal vor den Füßen kehren üben, als direkt den Dreck der ganzen Stadt nehmen

Zu den wohl ansteckendsten Übeln dieser Welt gehört die schlechte Laune. Sie braucht eigentlich keine Anlässe, weil es immer Dinge gibt, die einen grummeln lassen oder schlimmeres. Schauen wir uns um: Unsere Welt ist voller Ereignisse, die schlechte Laune provozieren. Terror, Feindseligkeiten, himmelschreiende Ignoranz, Rassismus und allenthalben Leid und Unglück. Wenn es mir schlecht geht und ich in eine Stimmung gerate, in der mir angesichts all dessen die Welt hoffnungslos erscheint, dann schaue ich auf einen Brief, den ich mir selbst geschrieben habe. Darin steht an erster Stelle: "Bitte, mach keine Haufen aus ungelösten Problemen. Schichte sie nicht so hoch auf, dass sie wie ein unerklimmbares Gebirge erscheinen." Nun ist es das Wesen der schlechten Laune, dass sie unbeeindruckt bleibt von solchen Tricks. Also kommt der zweite Punkt: "Schau näher hin. Viel näher. Wenn man sich schwach fühlt und die Straße kehren will, dann ist es besser vor den Füßen zu fegen, als an den Dreck der ganzen Stadt zu denken. Das kannst du machen, wenn du ungefähr weißt, wie es geht."
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