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Antiziganismus „Der vergessene Holocaust“

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Das Berliner Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma © Amadeu Antonio Stiftung

 

Die kontinuierlich bestehende Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma ist unter dem Begriff Antiziganismus nur einer kleinen Gruppe von Menschen in Deutschland bekannt. Die Auseinandersetzung mit Antiziganismus findet eher im Hinblick auf die Ausgrenzungen und Übergriffe auf Roma in Südosteuropa statt. Hintergrund dieser diskriminierenden Strukturen bildet die Konstruktion des ‚Zigeuner‘, die in den europäischen Gesellschaften weit verbreitet und auf jahrhundealten Narrativen basiert. Dieser herabwürdigende Begriff wird von den Angehörigen der Roma und Sinti als Fremdzuschreibung abgelehnt.

Das Problem des Antiziganismus in Deutschland wird ausgeblendet, auch wenn dieser durch mediale Berichterstattung und Bürgerproteste mehr als offenkundig ist. Die tatsächliche Bedrohung gegen Angehörige der Roma und Sinti in Deutschland manifestiert sich unter anderem durch drei schwere Brandanschläge zwischen den Jahren 2009 und 2011.

Porajmos

Der Porajmos, das Wort der Romni für den Völkermord, welches auf Deutsch das Verschlingen bedeutet, forderte mehr als 500.000 Opfer. Allein die offizielle Anerkennung der Leiden der Roma und Sinti durch die Bundesregierung dauerte 37 Jahre. Bis dahin gab es weder eine moralische noch eine finanzielle Entschädigung.

Während der Zeremonie zur Eröffnung des Mahnmals am 24. Oktober 2012 rief der Vorsitzende des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, dazu auf Antiziganismus genauso zu ächten wie Antisemitismus und warnte vor einer neuen Welle der Hasses: „Es gibt in Deutschland und in Europa einen neuen gewaltbereiten Rassismus, der nicht nur vonseiten rechtsextremer Parteien und Gruppen ausgeht, sondern seinen Ort in der Mitte der Gesellschaft findet.“ Vordergründig richte sich der Rassismus gegen eine Minderheit, aber grundsätzlich rüttelt dieser Hass an den Grundfesten der Demokratie.

„Der vergessene Holocaust“

In seiner bewegenden Ansprache klagte der Zeitzeuge Zoni Weisz den heutigen Umgang mit den Roma und Sinti an und stellte fest, dass die Gesellschaft aus dem „vergessenen Holocaust“ kaum etwas gelernt habe. Weisz, der seine ganze Familie im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau verlor, rief die Europäische Union und die einzelnen Länder dazu auf Verantwortung für Rassismus und Antiziganismus zu übernehmen.

Angela Merkel hingegen blieb bei ihrer Rede blass. Die frühere Kanzlerin „redete nicht darum herum“, dass eine Ausgrenzung der Roma und Sinti besteht. Die historische Verantwortung aufgrund des Zivilisationsbruchs durch den Holocaust führe zu eine deutschen und europäischen Aufgabe die Roma und Sinti in ihren Rechten zu unterstützen – egal wo sie leben. Sie betonte Deutschlands Drängen auf einen Minderheitenschutz bei Beitrittsverhandlungen mit Ländern des Balkans. Dies scheint bei Betrachtung des Umgangs deutscher Behörden mit Roma und Sinti mehr als heuchlerisch.

Die schwerfällige Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Sinti und Roma ist bis heute symptomatisch für eine anhaltende diskriminierende Atmosphäre. Dem längst fälligen Moment der offiziellen Anerkennung der Opfer durch den NS-Terror in einem Mahnmal steht die tagtägliche Situation der Roma und Sinti in der deutschen Gesellschaft gegenüber. Ressentiments gegen Roma und Sinti halten sich hartnäckig und die aktuellen Äußerungen von Innenminister Friedrich zu den „asylmissbrauchenden“ Roma aus Serbien und Mazedonien tragen nicht dazu bei Vorurteile abzubauen. Die neue Welle des Hasses, die den Roma, die aus verschiedensten Gründen in den letzten Jahren nach Deutschland kommen, entgegenschlägt muss in einer europäischen Dimension betrachtet werden.

Ein Anfang?

Experten nehmen an, dass das Denkmal zu keinem Wandel im Verhältnis der Menschen zu den Roma und Sinti führt. Mehr als dreiviertel der in Deutschland lebenden Roma und Sinti waren laut einer Umfrage des Zentralrats deutscher Sinti und Roma bereits verschiedenen Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt.

Die Verantwortung sich mit der Situation der Roma und Sinti in Deutschland zu konfrontieren und sich zu informieren und als Konsequenz sich für diese einzusetzen resultiert auch aus der historischen Verantwortung aufgrund des Völkermords.

Die Einweihung eines Denkmals ist ein Anfang, aber darf nicht das Ende sein!

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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