Von Marc Latsch
Sinti und Roma – auch nach 600 Jahren noch Fremde?
Zwischen Klischee und Lebensrealität der Sinti und Roma in Deutschland klafft eine beträchtliche Lücke. In Medien und Gesellschaft wird die Bevölkerungsgruppe auch im 21. Jahrhundert immer noch stereotypisch verklärt, wie Romani Rose deutlich macht: „Man sieht uns trotz 600 Jahren als nicht verwurzelt an. Wir werden der Heimat beraubt und zu Fremden deklariert.“ Noch immer werden Sinti und Roma als fahrendes Volk angesehen, das ein freies „Zigeunerleben“ führt und nicht sesshaft ist. Selbst wenn hierbei gelegentlich auch positive Konnotationen in den Köpfen der Menschen entstehen, vermitteln solche Klischees das Zerrbild einer Gruppe die nicht wirklich dazugehört. Wenn die Stereotype dann noch, wie im Fall der Sinti und Roma, meist negativer Art sind, birgt dies die Gefahr einer offenen Ausgrenzung.
Schande für die gesamte Gesellschaft
Welche Schranken dadurch im Alltag entstehen, weiß Christine Lüders zu berichten: „Kaum eine Gruppe ist von Diskriminierung so sehr betroffen wie die Sinti und Roma.“ Sie spricht von einer „katastrophalen Bewerbungssituation“: Wer offen zu seiner Herkunft steht, besitzt danach deutlich schlechtere Jobchancen. Als weiteres großes Problem sieht sie die Praxis des „Racial Profiling“, die dazu führt, dass Sinti und Roma überproportional häufig von der Polizei kontrolliert werden. Dazu trägt auch bei, dass in der öffentlichen Migrationsdebatte ein vollkommen falsches Bild gezeichnet wird. Wenn etwa von „Armutszuwandern“ aus Bulgarien und Rumänien die Rede ist, sollen damit vor allem oft Sinti und Roma gemeint sein, was de facto nicht stimmt. Zum anderen gibt es die „Armutszuwanderung „ als solche nicht: Vier von fünf Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien gehen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit in Deutschland nach. Für Lüders sind die Auswüchse der Debatte um Sinti und Roma in Deutschland eine „Schande für die Gesamte Gesellschaft“.
Antiziganismus ist in den Medien weit verbreitet
Der klassische Aufhänger antiziganistischer Tendenzen in der Öffentlichkeit ist die Kriminalitätsbekämpfung. Oftmals lenkt die Polizei bereits in ihren Pressemitteilungen den Verdacht in die Richtung der Sinti und Roma. Markus End greift hierzu ein Beispiel heraus, in dem von zwei mutmaßlichen Täterinnen vollkommen gegensätzliche äußere Erscheinungen beschrieben werden, bevor diese Schilderungen mit der Bemerkung „sehen aus wie Sinti“ vollständig ad absurdum geführt werden. Eine weitere Problematik ist, dass häufig schon in Warnungen vor Kriminalfällen antiziganistische Klischees bereitwillig bedient werden. So mahnte die Polizeidirektion Mayen vor dem diesjährigen „Rock am Ring“-Festival insbesondere zur Aufmerksamkeit gegenüber „südosteuropäischen Reisenden“. Doch der Antiziganismus in den Medien geht laut End weit über dieses Feld hinaus. Auch in völlig anderen Zusammenhängen werden die Begriffe „Roma“, „arm“ und „Zuwanderer“ häufig unkritisch gleichgesetzt. Gerade Fernsehsender verbreiten auch bei eigentlich kritisch recherchierten Beiträgen Vorurteile, in dem sie diese mit sexualisierten oder klischeebeladenen Bildern unterlegen.
Was muss sich ändern?
Aufgrund der Vielzahl der Negativbeispiele fordert Romani Rose einen kritischeren Umgang der Medienlandschaft mit den klassischen Vorwürfen und Feindbildern. Auch die Gleichsetzung zwischen südosteuropäischen Einwanderern und Sinti und Roma mahnt er als gefährlich an. Zwar gab es in den letzten Jahrzehnten zahlreiche positive Entwicklungen in Deutschland, doch die Stigmatisierung in der Öffentlichkeit habe an Schärfe gewonnen. Hier wünscht sich Rose mehr politischen Widerstand. In Anlehnung an den Antisemitismusbericht des Deutschen Bundestags fordern Rose und Lüders ein dementsprechendes Pendent zum Antiziganismus. Zudem strebt der Zentralrat der Sinti und Roma einen Sitz im neu zu besetzenden ZDF-Fernsehrat an. Gemeinsam formulierten die Anwesenden abschließend scharfe Kritik an rassistischen Absätzen im aktuellen Koalitionsvertrag und forderten ein politisches Umdenken. Dass diese bereits mehrfach formulierten Anmerkungen von der Bundesregierung nicht beachtet wurden, hält End sogar für einen „Skandal“.