Am 4. Dezember 2022 soll in Köln eine rechtsextreme Großdemonstration stattfinden. Unter dem Motto „Stop Waffenlieferungen. Stop Preissteigerungen. Stop Sanktionen“ will sich ein Netzwerk aus extrem rechten Akteur*innen aus ganz Deutschland am zweiten Adventssonntag in der Rheinmetropole versammeln und vom Bahnhof Deutz in die Kölner Innenstadt ziehen. Organisiert wird die Demonstration von „Aufbruch Leverkusen“, einem lokalen Projekt des ehemaligen Pro NRW-Vorsitzenden Markus Beisicht, der für die Vereinigung im Rat der Stadt Leverkusen sitzt und dort bei den Kommunalwahlen 2020 als Oberbürgermeisterkandidat antrat. Die Veranstaltung richtet sich „gegen Waffenlieferungen, die verfehlte Sanktionspolitik und gegen den Irrweg Deutschlands in der Corona-Politik“, wie es auf der Facebook-Seite von Aufbruch Leverkusen heißt. Beisicht selbst bewirbt die Veranstaltung auf seinem Twitter-Account als „Friedensdemonstration“. In einem von Beisicht geposteten, mit dramatischer Musik und martialischen Bildern unterlegten Mobilisierungsvideo, fallen die Schlagworte „Für unsere Zukunft“, „Sanktionen und Corona-Wahnsinn beenden“ sowie „Jeder ist willkommen“.
Angestrebt wird wohl eine Vermischung von Rechtsextremen, Putin-Verehrer*innen, Verschwörungsideolog*innen sowie Gegner*innen der NATO, der Corona-Maßnahmen und der Sanktionen gegen Russland. Schon seit Monaten vernetzt sich die rechtsextreme Szene mit der pro-russischen Community und versucht die Inflation und die gestiegenen Energiepreise für sich zu nutzen. Das dominierende Narrativ lautet, dass die NATO und die USA für den Krieg in der Ukraine verantwortlich seien und die Sanktionen gegen Russland der deutschen Wirtschaft schaden würden.
Markus Beisicht und der „Aufbruch Leverkusen“
„Aufbruch Leverkusen“ ging aus der extrem rechten Kleinpartei Pro NRW hervor, die sich im März 2019 aufgelöst hatte. Die Akteur*innen des „Aufbruchs“ rekrutieren sich laut dem Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen aus der aufgelösten Partei. „Aufbruch Leverkusen e.V.“ ist demnach als ihre Nachfolgeorganisation anzusehen. Der Verein wirbt mit den Attributen „bürgernah, ehrlich, konsequent“ und setzt sich nach eigenen Angaben gegen „Klüngel-Politik“ und „Steuer-Abzocke“ ein. Der NRW-Verfassungsschutz bezeichnet den Verein in seinem Bericht 2021 als „lokale rechtsextremistische Splittergruppe“. „Aufbruch Leverkusen“ sieht sich selbst als „Fundamentalopposition“. Thematisch setzt der Verein, in Kontinuität mit Pro NRW, auf rassistische und muslimfeindliche Kampagnen. So agitierte er beispielsweise gegen den öffentlichen Muezzinruf in Köln und forderte auf seiner Website, Religionsfreiheit dürfe „nicht in grenzenlose Toleranz ausarten“.
Im Leverkusener Stadtrat spielt Beisicht eine weitgehend unbedeutende Rolle. Bei der Kommunalwahl 2020 lag die Vereinigung mit dem 59-Jährigen an der Spitze mit 1,4 Prozent weit hinter der AfD. Zwar ist Beisicht nicht selbst Vorsitzender des Vereins, dennoch ist er das Gesicht und Aushängeschild des „Aufbruchs“ und kontrolliert dessen Social-Media-Kanäle. Besicht ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil der rechtsextremen Szene in Nordrhein-Westfalen: Neben Pro Köln und Pro NRW war er Mitglied der Republikaner und Landesvorsitzender der „Deutschen Liga für Volk und Heimat NRW“. Bundesweit bekannt ist er als Strafverteidiger von Rechtsextremen und militanten Neonazis.
Lange Zeit dominierte das Thema Corona den Social-Media-Auftritt der Gruppierung „Aufbruch Leverkusen“. Beisicht hetzte dort beispielsweise gegen die „Pinocchio-Medien“, schwadronierte von einer „Impfapartheid“ und veranstaltete einen „Trauerspaziergang für die unzähligen Impfopfer“. Somit reproduziert er die gängigen Verschwörungserzählungen in Zusammenhang mit dem Corona-Virus, wonach Impfungen gegen das Virus vermeintlich Schäden verursachen würden und setzt einen imaginierten Zwang zur Impfung mit dem rassistischen Apartheidregime gleich. An den von Beisicht organisierten Anti-Impf-Protesten in der Region Leverkusen beteiligte sich auch der mehrfach vorbestrafte neonazistische Gewalttäter und Ex-NPD-Kader Alexander Kurth. Zahlreiche Gewaltaufrufe gegen Andersdenkende und Politiker*innen finden sich in den Kommentaren auf der Facebook-Seite von Aufbruch Leverkusen.
Pro-russische Positionen
Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gibt sich der Leverkusener Rechtsanwalt vermehrt russlandfreundlich. Beisicht fordert Frieden mit Russland, ein Ende der gegen Russland verhängten Sanktionen, „niedrige Energiepreise“ durch eine Inbetriebnahme der Erdgas-Pipeline Nordstream 2 und einen Stopp der Waffenlieferung an die Ukraine sowie einen Stopp der Energiewende an sich. Zudem macht er Stimmung gegen Geflüchtete aus der Ukraine. Nicht Russland, sondern die USA und die NATO seien schuld am Krieg in der Ukraine, so die Erzählung. Auf Twitter schrieb Beisicht: „Die Explosion der Energiepreise haben wir nicht Russland, sondern hauptsächlich der völlig verfehlten Politik der verbrauchten und US-hörigen Altparteien zu verdanken!“.
Auch teilte er einen Beitrag des früheren Vorsitzenden der Linkspartei, Oskar Lafontaine, mit dem Titel „Waffenstillstand jetzt!“ und den Song „Ami go home“ des Musikproduzenten und ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Linken, Diether Dehm. Sichtlich bemüht Beisicht sich um Anschluss an die antiimperialistische und antiamerikanische Linke, die auch vor antisemitisch konnotierten Verschwörungserzählungen nicht zurückschreckt. Diese Strategie extrem rechter Akteur*innen ist nicht neu: Auch der Chefredakteur des rechtsextremen Compact-Magazins Jürgen Elsässer schwärmte kürzlich von der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, die die Sanktionen westlicher und anderer Staaten gegen Russland scharf kritisiert.
Offiziell organisiert habe den am Wochenende stattfindenden Aufmarsch in Köln laut Beisicht der Verein „Die Brücke zwischen Russland und Deutschland“. Wie auf der Facebook-Seite von „Aufbruch Leverkusen“ zu lesen ist, sei dieser Verein kürzlich in der Kanzlei des „Aufbruchs“ gegründet worden. Auf dem dazugehörigen Foto sieht man die vermeintlichen Gründer*innen mit Plastikbechern an einem Tisch sitzen.
Mit dabei ist auch Elena Kolbasnikova. Sie gilt unter anderem als Organisatorin eines im Mai 2022 stattgefundenen pro-russischen Autokorsos in Köln, an dem sich hunderte Fahrzeuge beteiligten. In der Ukraine sei eine Nazi-Regierung an der Macht, behauptete Kolbasnikova im Frühjahr auf der Versammlung am Fühlinger See gegenüber der Bild-Zeitung und machte allein die Ukraine für die Gewalteskalation verantwortlich. Das klingt nach lupenreiner Kreml-Propaganda, die als Vorwand für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg vorgibt, in der Ukraine seien Nazis an der Macht. „Selenskyj hat zwar jüdische Wurzeln, aber er steht auch unter ihrer Kontrolle. Er wird von Nazis kontrolliert. Ich glaube, dass die Bilder aus Butscha gestellt sind. Man sollte diesen Bildern nicht glauben“, sagte sie. Kolbasnikova leugnet damit die vom russischen Militär in der Ukraine verübten Kriegsverbrechen und spinnt ein antisemitisches Verschwörungsnarrativ, wonach angeblich Juden die ukrainische Regierung kontrollieren würden.
„Aufbruch Leverkusen“ veröffentlichte eine Antwort auf eine an Beisicht gerichtete Presseanfrage des Kölner Stadt-Anzeiger: Darin gibt Beisicht an, sich mit Kolbasnikova für ein Gespräch im russischen Generalkonsulat in Bad-Godesberg aufgehalten zu haben. Dieses habe aufgrund einer persönlichen Einladung des russischen Generalkonsuls Alexey Dronov stattgefunden. Als Grund für die Einladung nannte Beisicht unter anderem einen von ihm im Leverkusener Stadtrat eingebrachten Antrag, der sich gegen das Verbot russischer Staatsmedien wie RT und Sputnik in Deutschland richtete.
Wie einem Video auf dem Blog Ungetrübt Media, für den sich der Ex-AfDler André Poggenburg im Impressum verantwortlich zeigt, zu entnehmen ist, reiste Elena Kolbasnikova wohl im Oktober 2022 in die umkämpfte Donbass-Region. „Deutsche Waffen töten in Donezk“, sagt sie dabei mit schusssicherer Weste und schwarzem Militärhelm in die Kamera.
Kolbasnikova meldete auch eine Demonstration am 4. September in Köln an. Dort gingen Beisicht und andere Rechtsextreme, darunter auch Poggenburg und die ehemaligen NPD-Mitglieder Alexander Kurth und Karl Richter sowie der Krefelder AfD-Politiker Eugen Walter, unter dem Motto „Deutschland wach auf“ auf die Straße. Es folgten ihnen auch viele Corona-Schwurbler*innen aus dem Querdenken-Milieu und Mitglieder der russisch-deutschen Community, die Kolbasnikova mobilisieren konnte. Es kamen etwa 800 Menschen. Offen tönte zur Eröffnung die erste Strophe der deutschen Nationalhymne. Die zivilgesellschaftliche Gegendemonstration war in der Unterzahl: An diesem Tag fanden sich nur etwa 400 Menschen zum antifaschistischen Protest in der Domstadt ein. Seitdem wittern die Rechtsextremen um Beisicht Morgenluft.
Schulterschluss mit Poggenburg und Co
„Aufbruch Leverkusen“ arbeitet eng mit anderen rechtsextremen Gruppierungen zusammen. Allen voran: Dem „Aufbruch Deutschland 2020“ um André Poggenburg, der als überregionale Sammlungsbewegung angelegt ist. Sie solle als eine „außerparlamentarische Opposition“ fungieren, wie die Magdeburger Volksstimme Poggenburg zitierte. Der in Leverkusen unterzeichneten Gründungserklärung aus dem Januar 2020 zufolge sollte „Aufbruch Deutschland 2020“ als Verein eigetragen und die Gemeinnützigkeit beantragt werden. Dass Poggenburg die Gründung dieser „bundeweiten Interessengemeinschaft“ ausgerechnet in Leverkusen verkündete, verdeutlicht seine Nähe zu Beisicht und dessen Aufbruch.
Nach seinem Austritt aus der AfD gründete Poggenburg im Januar 2019 die Kleinpartei „Aufbruch deutscher Patrioten – Mitteldeutschland“, aus der er im August desselben Jahres wieder austrat. Als Parteisymbol wählte Poggenburg die Kornblume, welche die österreichischen Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1938 als Erkennungszeichen verwendeten, als die NSDAP in Österreich verboten war. Der 47-Jährige rief auf seinem Twitter-Account zu der am Sonntag in Köln stattfindenden Demonstration auf. Schon in der Vergangenheit traten Poggenburg und Beisicht häufiger zusammen bei Protestveranstaltungen auf, wie am 4. September in Köln. Auch mit anderen prominenten rechtsextremen Akteuren ist Beisicht anscheinend gut vernetzt: Auf dem Compact-Sommerfest im August 2022 hielt Beisicht eine Rede, neben ihm standen, wie in einem auf Facebook verbreiteten Video zu sehen, unter anderem Jürgen Elsässer vom Compact-Magazin und Martin Sellner von der rechtsextremen „Identitären Bewegung“.
Als Redner auf der Demonstration am 4.12. hat Beisicht neben Poggenburg auch Robert Farle angekündigt. Der 72-Jährige ist AfD-Mitglied und fraktionsloser Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Im September 2022 trat Farle aus der AfD-Fraktion aus, unter anderem deshalb, weil sie ihm zu kritisch gegenüber Russland eingestellt sei. Die AfD-Fraktion fordert zwar die Zurücknahme aller gegen Russland verhängten Sanktionen, erkennt aber an, dass Russland die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen hat. Vor seiner Zeit bei der AfD war Farle lange Zeit Mitglied der „Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)“.
Die Demonstration am 4. Dezember in Köln wird voraussichtlich auf größeren Widerstand als noch im September treffen. Verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppen haben zu Gegenprotesten aufgerufen. Maßgeblich organisiert werden diese vom antifaschistischen Aktionsbündnis „Köln gegen Rechts“, das sich den Rechtsextremen unter dem Motto „Nazis in Köln? – nicht mit uns!“ entgegenstellen will. Eine massive Mobilisierung soll verhindern, dass die Rechtsextremen nicht erneut in der Überzahl sind. Laut einem Bericht des Kölner Stadt Anzeiger soll die Anwaltskanzlei von Beisicht in Leverkusen zuletzt mehrfach mit Farbe beschmiert worden sein.