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Ausland Die „Marine-blaue“ Welle in Frankreich: „Front National“ im Aufschwung

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Bild: Elysée Palast, wikipedia, Eric Pouhier, c

Eine rechtsextreme Politikerin als ernstzunehmende Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen? In Frankreich erinnert dieses Szenario stark an den 21. April 2002. Damals hatte Jean-Marie Le Pen, der Gründer der rechtsextremen Partei „Front National“, in der ersten Runde völlig unerwartet den Kandidaten der „Parti socialiste“ überflügelt und war in die Stichwahl gegen den amtierenden Präsidenten Jacques Chirac eingezogen. Eine Wiederholung einer solchen Situation bei den Präsidentschaftswahlen 2012 wird nun nicht mehr ausgeschlossen. Marine Le Pen, Tochter von Jean-Marie Le Pen und seit Januar die Vorsitzende des „Front National“, würde nach einer Anfang März durchgeführten Umfrage 24% der Stimmen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen erhalten – und damit mehr als Präsident Nicolas Sarkozy (21%) und der damals aussichtsreichste sozialistische Politiker Dominique Strauss-Kahn (23%).

„Entdiabolisierung“ des „Front National“

Wegen methodischer Mängel wurde diese Umfrage zwar stark kritisiert, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Marine Le Pen kontinuierlich in der Beliebtheit der Franzosen steigt. In Umfragen geben inzwischen regelmäßig über 30% der befragten Personen an, eine positive Meinung von der neuen Vorsitzenden des „Front National“ zu haben. Einen konkreten Eindruck von der wachsenden Zustimmung zum „Front National“ vermittelten außerdem die Kantonal-Wahlen am 20. März. Mit 15% der Stimmen in der ersten Runde ist die rechtsextreme Partei der große Gewinner der Wahlen, wobei ihr auch die extrem niedrige Wahlbeteiligung von nur 45% zu Gute kam. Der „Front National“ konnte sich damit um über 3% gegenüber den Regionalwahlen im vergangenen Jahr verbessern. In den französischen Medien ist mittlerweile oft von der „Marine-blauen Welle“ und der Gefahr eines „neuen 21. April“ die Rede. Doch woraus speist sich diese wachsende Popularität des „Front National“ und seiner Chefin?

Einen großen Anteil hat daran sicherlich die Verjüngung und Modernisierung, die die Partei durch Marine Le Pen erfuhr. Die (2011) 42-Jährige verzichtet auf die plump rassistischen, neonazistischen und antisemitischen Hetzparolen ihres Vaters und versucht dagegen mit islamfeindlichen Äußerungen auch das bürgerliche Publikum zu erreichen. Dabei präsentiert sie sich gerne als wahre Verteidigerin der in Frankreich hochgehaltenen republikanischen und laizistischen Werte. „Entdiabolisierung“ des „Front National“ lautet die Strategie der telegenen neuen Vorsitzenden. Doch die bürgerliche Schicht ist dünn. Das zeigte beispielsweise Marine Le Pens Vergleich der muslimischen Straßengebete, die mangels Platz in den Moscheen unter freiem Himmel abgehalten werden, mit der Besatzung Frankreichs durch die Nazis. Die Eröffnung eines Verfahrens wegen „Anstachelung zum Rassenhass“ war die Folge.

Rechtspopulismus am Puls der Zeit

Auch mit dem klassischen rechtsextremen Thema Einwanderung, gerne in Verbindung gebracht mit der „wachsenden Unsicherheit“ und „Kriminalität“ in der französischen Gesellschaft, kann Marine Le Pen bei den Wählerinnen und Wählern punkten. Geschickt nutzt sie die aktuellen Revolutionen in den nordafrikanischen Ländern, um die Gefahr eines „Einwanderungs-Tsunamis“ zu beschwören. Wenige Tage vor den Kantonal-Wahlen besuchte sie sogar die italienische Insel Lampedusa, auf der täglich Flüchtlingsboote aus Nordafrika ankommen – natürlich nur um sich ein „Bild von der Lage“ zu verschaffen und den Einwohnern von Lampedusa ihre Unterstützung zu zeigen. Marine Le Pens Lösung der Flüchtlingsproblematik: Europas Grenzen schließen und die Flüchtlingsboote zurückführen, denn das „verarmte Frankreich und Europa“ hätte nicht die Mittel, die „Illegalen“ aufzunehmen.

Weitverbreitete Ängste vor dem wirtschaftlichen Abstieg Frankreichs, vor der allgegenwärtigen „Krise“, vor der Globalisierung – das ist ein idealer Nährboden für den „Front National“. Die Partei fordert den Ausstieg aus dem Euro und vertritt eine protektionistische Wirtschaftspolitik sowie die „nationale Präferenz“ auf dem Arbeitsmarkt. Damit gewinnt sie vor allem unter den Menschen Anhänger, die von der Arbeitslosigkeit, der stagnierenden Kaufkraft und den wachsenden sozialen Ungleichheiten am meisten betroffen sind. Der „Front National“ profitiert dabei auch von der Schwäche der großen Parteien, die bisher keine wirklichen Vorschläge zur Lösung dieser aktuellen Probleme anbieten können.

Regierungspartei macht rechtsextreme Thesen salonfähig

Präsident Sarkozy und seine Partei UMP greifen stattdessen die Themen des „Front National“ auf – und machen damit die rechtsextremen Thesen salonfähig. Beispiele sind die Debatten über die „nationale Identität“ und den Islam, die Kampagne gegen die Roma oder die Verschärfung der Politik innerer Sicherheit. Inzwischen wird sogar im eigenen Lager Kritik an dieser Strategie laut. Wie schwer sich die regierende UMP tut, sich deutlich gegen den „Front National“ zu positionieren, zeigen auch die Kantonal-Wahlen. Sarkozy lehnte eine gemeinsame „republikanische Front“ der demokratischen Parteien gegen den „Front National“ ab: Er forderte die Wählerinnen und Wähler in Wahlkreisen, in denen ein „Front National“-Kandidat in die zweite Runde eingezogen ist, nicht zur Wahl der „Parti socialiste“ auf.

Ereignisse wie die jüngsten Umfrage- und Wahlerfolge lassen den öffentlichen Protest gegen Marine Le Pen und ihre Partei anwachsen. Über den medialen Aufruhr hinaus, mobilisieren linke Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Gruppen auch zu größeren Gegendemonstrationen, wie Mitte Januar in Tours anlässlich des Parteikongresses des „Front National“. Auf Initiative der „Ligue des Droits de l’Homme“ versammelten sich dort ca. 2000 „Front National“-Gegner zu einem „Gegenkongress“. Doch die Proteste erreichen bisher nicht das Ausmaß der Zeiten, als Jean-Marie Le Pen seine Wahlerfolge einfuhr. Gut möglich, dass dafür auch das harmlosere Auftreten von Marine Le Pen eine Rolle spielt. Kürzlich lud sie sogar ein jüdischer Radiosender zu einem Interview ein – während ihr Vater dort noch boykottiert worden war. Erst nach Protesten jüdischer Organisationen wurde sie wieder ausgeladen.

Die Strategie der „Entdiabolisierung“ scheint bisher also ganz gut zu funktionieren. Um zu verhindern, dass der „Front National“ von den Bürger*innen mehr und mehr als eine „legitime“ politische Alternative angesehen wird, reichen allerdings öffentliche Proteste allein nicht aus. Vor allem auch müssen die demokratischen Parteien den verunsicherten Menschen Antworten auf die brennenden sozialen Fragen geben können. Sonst ist eine Neuauflage des „21. April“ im kommenden Jahr nicht ausgeschlossen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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