Der Prozess zum Überfall von Ballstädt begann am 05. Dezember 2015 und endete am 24.05.2017, also drei Jahre nach der Tat. Angeklagt waren 14 Männer und eine Frau aus der rechtsextremen Szene. Ihnen wurde vorgeworfen, sich in der Nach vom 08. auf den 09. Februar 2014 zu dem Überfall verabredet zu haben – mutmaßlich aus Rache, weil eine Scheibe an ihrem Domizil, dem Neonazi-Treff „Gelbes Haus“, eingeschlagen worden war. Richter Holger Pröbesl sparch von einer „ungemein brutalen feigen Tat“ und „krasser Selbstjustiz“. 10 Schwerveretzte waren die Folge.
Eine Dokumentation des Prozesses findet sich auf https://ballstaedt2014.org/
Belltower.News hat am 13. Juni 2014 eine Reportage über den Überfall und seine Folgen im Ort geschrieben. Sie ist in diesem Zusammenhang noch einmal lesenswert:
BALLSTÄDT: DIE UNRUHE NACH DEM ÜBERGRIFF
Im Februar 2014 ging ein brutaler Überfall gegen eine Kirmesgesellschaft im thüringischen Ballstädt durch die Presse. Warum überfallen Neonazis eine Kirmesgesellschaft? Die Mitglieder des Festes hatten den Neonazis nichts getan. Das war den Nazis allerdings egal. Seitdem lebt die 700-Einwohner*innen-Gemeinde mit der Angst. Der Haupttäter, der im Ort wohnt, kam im April aus der Untersuchungshaft frei, weil er ein Geständnis ablegte. Ein Bürgerbündnis, die „Ballstädter Allianz gegen Rechts“, versucht, positiv gegenzusteuern. Doch auch das Vertrauen in Polizei und Verfassungsschutz bei den Bürger*innen ist gestört.
Als die 700-Einwohner*innen des thüringischen Ballstädt erfuhr, dass eine Gruppe von Neonazis, die bereits im Nachbarort Crawinkel eine Immobilie besaßen, sich in das „Gelbe Haus“ in ihrem Ort einquartiert hatten, wollten die Bürger und Bürgerinnen dies nicht unkommentiert hinnehmen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Ort Crawinkel mit viel Bürger-Engagement gegen die Neonazis erfolgreich war – so erfolgreich, dass den Rechtsextremen die Immobilie dort tatsächlich im Januar verließen. Bezahlt hatten sie das Haus ohnehin nicht. So eine Erfolgsgeschichte wünschten sich die Ballstädter*innen auch.
Die „Ballstädter Allianz gegen Rechts“ wurde gegründet. Im September 2013 gab es eine Demonstration gegen die Neonazis mit 350 Teilnehmer*innen in Ballstädt. Später folgten eine symbolischer Aktionstag und ein Konzert gegen rechts. „Anfangs standen die Menschen im Ort voll hinter uns“, sagt ein Mitglied der „Ballstädter Allianz gegen Rechts“, „später änderte sich die Stimmung. Da mehrten sich Stimmen, die sagten: Ihr provoziert die. Die machen doch gar nichts.“
Tatsächlich versuchen es die Neonazis in Ballstädt mit einer neuen Strategie. Während die gleiche Gruppierung in der „Hausgemeinschaft Jonastal“ (Abkürzung sicher nicht zufällig „HJ“) in Crawinkel Neonazi-Konzerte und -Veranstaltungen organisierte, gaben sie sich in Ballstädt eher verschlossen, nehmen nicht am Dorfleben teil, sind zwar viele, bleiben aber unter sich. Nett und harmlos sind sie allerdings trotzdem nicht: Eine Polizeirazzia in Ballstädt und Crawinkel bringt Waffen zum Vorschein, die den Besitzern den Vorwurf „Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz“ einbringt: Unter anderem ein Sturmgewehr mit Munition, zwei Uzi-Maschinenpistolen und ein Colt „Double Eagle“, dazu passende Munition. Einer der Hausbewohner ist Thomas W., Sänger der Neonazi-Band SKD („Sonderkommando Dirlewanger“), die in Songs unter anderem „Freiheit für Wolle“ fordern. Gemeint ist der im NSU-Prozess angeklagte rechtsextreme Strippenzieher Ralf Wohlleben. Mitglieder diese Umfeldes haben enge Kontakte zum deutsch-österreichischen Neonazi-Netzwerk „Objekt 21“, das in Oberösterreich als „Neonazi-Mafia“ bekannt war und nicht nur einen rechtsextremen „Erlebnishof“ mit nordisch-heidnischen Wandfresken betrieb, sondern auch wegen zahlreicher Gewaltstraftaten aktenkundig war: Unter anderem wegen bewaffneter Raubüberfälle, Einbrüche, Körperverletzung, Einschüchterung, Erpressung, Entführung, Brandanschläge, Rauschgift- und Waffenhandel. Im Januar 2013 fanden österreichische Behörden bei Hausdurchsuchungen unter anderem 10 Kilogramm Sprengstoff. Ein 27-Jähriger aus dem Umfeld der „Hausgemeinschaft Jonastal“ sitzt als einer der Unterstützer des „Objekts 21“ seit Januar in Österreich in Haft.
Während die Ballstädter*innen versuchen, diesen unangenehmen Dorfmitbewohner*innen mit demokratischem Mitteln klar zu machen, dass sie nicht erwünscht sind, greifen einige Unbekannte zu anderen Mitteln: Das „Gelbe Haus“ wird im Dezember 2013 mit einem Graffiti „No Naiz“ (Fehler im Original) und einem durchgestrichenen Hakenkreuz besprüht, nach Angaben der Neonazis wurde dabei auch eine Fensterscheibe eingeworfen. Täter werden von der Polizei nicht ermittelt. Trotzdem wird dieser Vorfall der Auslöser für die Geschehnisse im Februar, die das Leben in Ballstädt nachhaltig veränderten. Wobei das Bürgerbündnis sich öffentlich deutlich von der Sachbeschädigung distanzierte und dafür sogar noch von linken Aktivist*innen dafür angefeindet wurde.
Aber, und das ist das unangenehmste am Überfall in Ballstädt, mit Vernunft scheint ihm nicht beizukommen zu sein. In der Nacht vom 9. zum 10. Februar findet in dem kleinen Ort das Treffen der Kirmesgesellschaft statt, das sind in Ballstädt 16 Paare, die das Kirchweihfest gestalten und ausrichten. Es ist eine private Veranstaltung als Dankeschön an Sponsoren und Helfer*innen, es gibt keine öffentliche Werbung oder Plakate. Am Abend hält ein Auto aus dem Umfeld des „Gelben Hauses“ vor dem erleuchteten Festsaal des Kulturhauses, der Fahrer fragt: „Was ist das hier für eine Feier?“ und wird freundlich auf den privaten Charakter verwiesen. Um 2.30 Uhr, die Feier ist eigentlich aus, die letzten Helfer*innen räumen gerade auf, stürmen rund 16 schwarz gekleidete, mit Skimasken vermummte Menschen in den Saal, verweisen auf die eingeworfene Fensterscheibe am Haus und prügeln auf die Anwesenden los, zerschlagen Spiegel und Mobiliar. Zehn Menschen werden verletzt, zwei davon schwer. Das Bürgerbündnis beschreibt später in einer Erklärung: „Ein Feuerwehrmann handelte schnell und bedacht und brachte die weiblichen Gäste in der benachbarten Gaststätte in Sicherheit, bis die Retter eintrafen. „Wir hörten die Schreie unserer Männer, den Lärm fliegender Tische und Stühle und der berstenden Spiegel und hatten Todesangst!“, berichtete eine der Betroffenen. „Nie im Leben hab ich eine solche Angst verspürt, ich hab nur gehofft, dass sie uns nicht finden!“, erzählt eine weitere Zeugin.“ Einen Grund, warum es diese Feier getroffen hat, gibt es nicht. Mehr Menschen, die etwa in der „Ballstädter Allianz gegen Rechts“ dabei sind, sind etwa zeitgleich beim Abschlussfest des Traditionsvereins, wenige Straßen weiter. Offenbar suchten die Neonazis vor allem ein Ventil für ihre Wut, eine Möglichkeit, Angst zu verbreiten. Wen es genau traf, war offenbar egal.
Danach ist Ballstädt erschüttert. Das Bürgerbündnis schreibt: „Der Schock sitzt bei den Betroffenen tief – der gesamte Ort ist fassungslos. Der brutale Überfall kam überraschend und schien genau geplant. Innerhalb weniger Minuten war das Horrorszenario vorüber und hinterließ einen Ort der Angst und der Zerstörung.“ Die Polizei nimmt von 20 Täter*innen gerade einmal 5 Verdächtige fest. Drei Männer und eine Frau kommen sofort wieder auf freien Fuß. Der vierte, Thomas W., sitzt bis Ende April 2014 in Untersuchungshaft, gibt dann aber ein umfassendes Geständnis zu seiner Tatbeteiligung ab – und ist seitdem ebenfalls wieder bis zum Prozessbeginn auf freiem Fuß. Das heißt, er wohnt auch wieder in Ballstädt. Die Polizei fährt seit dem Überfall öfter Streife. Allerdings ist das Vertrauen der Bewohner*innen in Polizei seit dem Übergriff erschüttert, nachdem diese von einer „Kirmesschlägerei“ sprach und anderslautende Zeugenaussagen zunächst nicht aufnehmen wollte. Ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes sagte zu einer engagierten Person in Ballstädt gar, man solle doch jetzt nicht leichtfertig „Andersdenkende diffamieren“, indem man den Zusammenhang zum „Gelben Haus“ herstellte. Im Saal des Kulturhauses wollte zunächst niemand mehr feiern. Immerhin wurde er aber mit Hilfe von Spenden renoviert. Im April wurde der Raum mit einer Ausstellung zum Thema „Angsträume“ öffenlich wiederbelebt – und selbst als solcher der Ausstellung der thüringischen Opferberatungsstelle „Ezra“ hinzugefügt. Der Nachrichtenagentur dpa sagt die Bürgermeisterin Erika Reisser anlässlich der Ausstellungeröffnung: „Der wohnt ja nur drei Häuser weiter. Die täglichen Begegnungen verursachen ein unruhiges Gefühl.“
Jetzt warten die Ballstädter Bürger*innen darauf, dass zumindest die identifizierten Neonazis vor Gericht gestellt werden. Ermittelt wird wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und Raub. Bisher ist noch kein Termin für die Anklageerhebung bekannt. Im benachbarten Crawinkel war die „Hausgemeinschaft Jonastal“ ihre Immobilie losgeworden, weil die Gemeinde ein Vorkaufsrecht für das Haus und Grundstück der Neonazis geltend machen konnte. Das wird in Ballstädt nicht geschehen. Die Immobilie, eine alte Bäckerei, wurde dem Ort vom vorherigen Besitzer völlig überteuert angeboten und mit dem Verkauf an die Nazis gedroht, zu dem es schließlich kam. Es werde aber geprüft, ob ein Scheinkauf vorliege, sagte die Bürgermeisterin der dpa. Und trotz des gewalttätigen Übergriffs haben die Nazis auch weiterhin Sympathisant*innen im Ort: Bei der Kommunalwahl erhielt die NPD in Ballstädt 49 Stimmen – 4,5 Prozent. Die Ballstädter Allianz gegen Rechts hat auf ihrer Facebook-Seite inzwischen 550 Unterstützer*innen – viele von ihnen stammen aus Ballstädt und den umliegenden Ortschaften, sind Mitglieder der lokalen Vereine oder Parteien. Im Sommer planen sie gemeinsam mit dem Landeskriminalamt eine Bürgerversammlung zum Umgang mit der Gefahr, die von Rechtsextremen ausgeht.