Seit Wochen finden in den Niederlanden Bauernproteste statt. Mit Traktoren blockieren Landwirt*innen Straßen und Zufahrten. Bauern bedrohen Politiker*innen. Die Polizei schoss auf Demonstrationsteilnehmende. Es herrscht Aufstand in den Niederlanden.
Im ganzen Land protestieren Bauern gegen geplante Umweltauflagen der Regierung. Die niederländische Regierung muss den Stickstoff-Ausstoß nämlich deutlich reduzieren. Konkret ist das Ziel der neuen Verordnung, die Emissionen von Stickoxiden und Ammoniak bis 2030 um 50 Prozent zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, soll die Viehzucht weniger werden – durch Dünger gelangt Stickstoff in Form von Nitrat beispielsweise ins Grundwasser. Viele Bauern fühlen sich nun unter Druck gesetzt und bangen um ihre Existenzen.
30 Prozent der niederländischen Viehbauern stehen vor dem Aus
Die Niederlande haben etwa die Größe Niedersachsens und dennoch sind sie nach den USA der zweitgrößte Agrarexporteur der Welt. Und einer der größten Treibhausgasverursachern in Europa. In dem Land mit 17,5 Millionen Einwohner:innen gibt es zwölf Millionen Schweine, vier Millionen Rinder und 100 Millionen Hühnchen. Für rund 30 Prozent der Viehbauern könnte die neue Verordnung das Aus bedeuten, schätzt die Regierung.
Die Bauern hatten aufgerufen, „das gesamte Land lahm zu legen“. Zumindest die angekündigten Blockaden der Flughäfen blieben vorerst aus. Bei den Protesten wurden Ende Juni auch Häuser von Politiker*innen angegriffen, unter anderem das von Umweltministerin Christianne van der Wal.
Niederländische Nazis träumen von „Machtergreifung“
Das sind die Vorboten eines „Bürgerkrieges“, warnte der Chef der Koalitionspartei Christen Unie, Gert-Jan Segers. Der Rechtspopulist Geert Wilders meinte: „Die Niederlande sind ein Vulkan, der vor dem Ausbruch steht.“ Abgeordnete der rechtsextremen Partei Forum für Demokratie sehen bereits vor sich, „dass das ganze System zusammenstürzt, sodass wir wieder die Macht ergreifen können“.
In Deutschland zeigen sich unterdessen viele Landwirte solidarisch mit ihren Kolleg*innen aus dem Nachbarland. Vermehrt gibt es Aufrufe, sich in Deutschland dem Protest anzuschließen. Auf 200 bis 300 Brücken über Autobahnen und viel befahrene Bundesstraßen haben am Sonntagabend Landwirte protestiert. Diese Zahl nannte ein Sprecher der Organisation „Land sichert Versorgung Nordrhein-Westfalen“ (LsV) gegenüber t-online. Er kündigte eine Ausweitung der Proteste an. „Die Weichen werden auf Hunger gestellt! Und die Bevölkerung soll es gut finden“, behauptet der LsV NRW in einer Pressemitteilung. In anderen Bundesländern haben Landesverbände zu Demonstrationen aufgerufen, die aus der bundesweiten Bewegung „Land schafft Verbindung“ hervorgegangen sind.
Martin Sellner ist ganz aufgeregt
Und während die Landwirte auch in Deutschland ihre Sorgen und Nöte sichtbar machen, erkennen Rechtsextreme ein Agitationsraum, den sie prompt versuchen zu kapern. So ist der Bauernprotest in den letzten Tagen etwa das Hauptthema von Martin Sellner, Kopf der deutschsprachigen „Identitären Bewegung“. Er wittert hier gar die Möglichkeit zur so lange schon herbeigesehnten Revolution. Sellner meint sowohl die Corona-Proteste, die Proteste gegen die Klimaveränderung und gegen Migration und nun der Bauernaufstand stehen in einem Zusammenhang. Sie alle seien ein antiglobalistischer „patriotischer“ Widerstand. Alles ist ein Kampf gegen den sogenannten „Great Reset“. Unter der Erzählung vom „Great Reset“ verstehen Verschwörungsgläubige das Zurücksetzen der derzeitigen Weltwirtschaftsordnung, geplant durch eine satanistische globale Finanzelite.
Nach der Covid-Pandemie, die in diesem Verschwörungsmythos auch von einer Elite gesteuert wurde, sei die absichtliche Verknappung von Nahrungsmitteln nun ein weiterer „Durchsetzungsakt der globalistischen Eliten“, behauptet Sellner. In Verschwörungserzählungen sind mit globalistischen Eliten meist Jüdinnen und Juden gemeint, die das Ziel haben „die weiße Rasse“ auszurotten – blanker Antisemitismus also.
Mit umgedrehter Flagge „gegen den kommunistischen Weltstaat“
Auch das rechtsextreme „Filmkunstkollektiv“ war in den Niederlanden, um den Protest zu beobachten. Das „Filmkunstkollektiv“ ist ein Medienprojekt des neurechten Kampagnen-Netzwerks „Ein Prozent“. Verantwortlich ist Simon Kaupert, langjähriger Aktivist der sogenannten „Identitären Bewegung“. Das Projekt behaupten auf Telegram: „Die Landwirte in den Niederlanden erheben sich gegen den kommunistischen Weltstaat“. Wir fragen uns hier jedoch, warum ein angebliche „kommunistischer Weltstaat“ absichtlich die Nahrungsmittel verknappen will.
Auf den Bildern, die das „Filmkunstkollektiv“ bisher veröffentlichte, sind auffällig viele Traktoren mit umgedrehten Niederlande-Flaggen zu sehen. International bedeutet eine umgekehrt gehisste Flagge eine Notfallsituation. Ursprünglich kommt dieses Signal aus der Seefahrt. In Deutschland nutzt die Reichsbürger-Szene dieses Symbol gerne als Erkennungszeichen.
Auch die AfD erkennt das Potenzial
Begleitet wurde das rechtsextreme Medienprojekt unter anderem von Anna Leisten, Landesvorsitzende der Jungen Alternativen Brandenburg, der Jugendorganisation der AfD. Für ein Promo-Foto, dass die JA-Brandenburg sogleich auch postete, durfte sich Leisten auch mal hinter das Lenkrad eines Traktors setzen.
In einem Livepodcast am Dienstagabend mit Leisten und dem rechtsextremen Portal „info direkt“, behauptet dann auch gleich Moderator Michael Scharfmüller, es herrsche bereits Krieg in den Niederlanden. AfD-Bundestagsabgeordneter Berns Schattner veröffentlichte am Montag eine Karte, die zeigen soll, wo in Deutschland bereits solidarische Protestaktionen stattfanden.
Das Medienportal Compact stellt die rhetorische Frage: „Ist die Eurokratur tatsächlich an der kompletten Zerstörung unseres Landes interessiert?“ Doch es gebe Hoffnung, denn vor allem Bauern „begehren gegen diesen links-grünen Klimawahn auf“, freut sich das rechtsextreme Magazin am Dienstag und hofft, dass sich der Protest auch in Deutschland noch massiv ausweiten wird.
Unterstützung kommt auch von den „Freien Sachsen“
Die rechtsextreme Gruppierung „Freie Sachsen“ behauptet, die „Bauernproteste werden in Sachsen mit den dauerhaften Protesten gegen die Regierung verknüpft. Ob Asylflut 2015, Coronawahnsinn 2020-2022 oder die kommende Energiekrise“, es brauche eine „breite Bürgerallianz gegen das Regime“, so die Rechtsextremen. Für die Mobilisierungs-Profis, ist klar: Sie müssen die „Proteste verbinden, denn dann wird die Regierung zittern“.
Die im Februar 2021 gegründete Regionalpartei „Freie Sachsen“ ist sehr erfolgreich darin, den demokratiefeindlichen Protest gegen die Corona-Schutzmaßnahmen im Freistaat zu organisieren und zu bündeln. Ihrem Telegram-Kanal ist zu entnehmen, dass sie nun scheinbar auch versuchen, für das Thema der Landwirte mobil zu machen.
Rechtsextreme Bauernfänger
Bereits 2020 und 2021 kam es in Deutschland zu Bauernprotesten, die gegen die geplanten Verschärfungen des Insektenschutzes in der Landwirtschaft demonstrieren und auf die prekäre Situation vieler Landwirt*innen aufmerksam machten. Schon da versuchten Rechtsextreme die Proteste zu vereinnahmen. Denn, die rechtsextreme Szene ist immer auf der Suche nach Themen, die vermeintlich zum Kollaps des Systems führen.