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Bautzen Alles beim Alten?

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An dem Kornmarkt fand 2016 die Hetzjagd in Bautzen statt (Quelle: Bea Bernstein)

Es ist ein kalter Montag in Bautzen. Wie jede Woche gehen auch am 31. Oktober 2022 über tausend Menschen auf die Straße und verbreiten rechtsextreme und antisemitische Verschwörungsideologien. Über ihren Köpfen wehen Fahnen in schwarz-weiß-rot und mit dem christlichen Fischsymbol. Einige halten Kreuze mit Lichterketten in den Händen.

Zum Auftakt der Demo hält Katrin Gähler eine Andacht. Demonstrieren mit Neonazis scheint in Ordnung zu sein, solange Gott seinen Segen gibt. Katrin Gähler und ihr Mann Veit beteiligten sich bereits an der Organisation der Mahnwache für den Frieden und sind Initiator*innen des Bautzener Ablegers von „Wir sind Deutschland“. Nun organisieren sie die Fortführung der Coronaproteste mit, bei der seit einiger Zeit auch gewalttätige Rechtsextreme mitlaufen. Viele von ihnen im „Jugendblock“, für den die Gruppe „Balaclava Graphics“ mobilisiert. Montags wird auf der „Platte“ in Bautzen sichtbar, wie die rechtsextreme Szene in der Stadt zusammenwirkt. Bautzen steht exemplarisch für eine Zusammenarbeit, die sich auch in anderen Teilen Deutschlands in den letzten Jahren entwickelt hat.

Wenig überraschend gelten die öffentlich-rechtlichen Medien für die Gählers und die Teilnehmenden der Demonstration als Lügenpresse. Bestätigt im eigenen Weltbild fühlt man sich auch durch die Berichterstattung zum Brand im Husarenhof, der 2016 als Geflüchtetenunterkunft fungieren sollte. Die Presse habe damals voreilige Schlüsse gezogen. Ein politisches Motiv sei nie bestätigt gewesen, gleiches gelte für den Brand des Spreehotels im Oktober 2022. Neonazis scheinen kein Problem zu sein, solange sie nicht dem Image der Stadt schaden.

Katrin und Veit Gähler bei der Mahnwache für den Frieden 2012 in Bautzen (Quelle: Videostill Alex Quint)

Ein Blick in die Vergangenheit

Als im Zuge der Migrationsbewegung 2015/2016 Geflüchtete nach Bautzen kamen, sollten sie im Hotel „Husarenhof“ einquartiert werden. Doch in Bautzen, wie in vielen anderen Städten, wurden schon bald Stimmen laut, die eine Unterbringung verhindern wollten. Die Lage spitzte sich zu und Hass gegen Geflüchtete wurde geschürt. Besonders sichtbar für den Rest der Bundesrepublik wurde die Situation, als im Februar 2016 der „Husarenhof“ unter dem Beifall Umstehender brannte. Der Vorfall reihte sich in eine ganze Serie von Brandanschlägen auf Unterkünfte ein, vor allem im Osten Deutschlands.

Der Brand konnte die Unterbringung von Geflüchteten in der sächsischen Provinz jedoch nicht verhindern. Die Stimmung heizte sich weiter auf. Immer wieder wurden Geflüchtete verbal und körperlich angegriffen. Trauriger Höhepunkt war die Hetzjagd im September 2016, als Geflüchtete unter rassistischen Parolen durch die Stadt getrieben wurden, während die Menge „Wir sind das Volk“ grölte. In den darauffolgenden Monaten kam es fast wöchentlich zu gewaltvollen Übergriffen auf PoC, linke Jugendliche und alle, die nicht in ein rechtsextremes Weltbild passen.

Seit 2016 hat die rechte Szene in Bautzen die Zeit genutzt, sich zu vernetzen und feste Strukturen aufzubauen. Gerade die Vernetzung bei den Coronaprotesten kamen ihnen dabei zu Gute. Nun können sie innerhalb kurzer Zeit viele Personen mobilisieren. Auch Nachwuchs wurde rekrutiert. Eine wichtige Rolle spielen dabei Rapper*innen wie Chris Ares, bürgerlicher Name Christoph Aljoscha Zloch,  vom „Neuen Deutschen Standard“, einem rechten Musiklabel. Zloch zog 2020 in den Kreis Bautzen, mit dem Vorhaben, einen rechten Jugendclub zu errichten. Mittlerweile ist er von der Bildfläche verschwunden und offenbar nach München zurückgekehrt, seine Rapkolleg*innen sind jedoch noch in der Region und rekrutieren fleißig Nachwuchs.

Lebensrealität in Bautzen

Zack wird nicht weiß gelesen, deshalb weiß er wie es ist, wenn sich der Hass entlädt. Er geht in die neunte Klasse, engagiert sich an seiner Schule gegen Rassismus und ist im Queeren Netzwerk aktiv. Der Rassismus in der Stadt fällt ihm kaum noch auf, er ist für ihn fast zur Normalität geworden. Doch es gibt eine Situation, die ihn besonders prägte: „Eine männlich gelesene Person kam ziemlich nah an mich heran, mit einer Glasflasche in der Hand,wahrscheinlich alkoholisiert und sagte: Ihr habt hier nichts verloren in Deutschland, verpisst euch in euer Land zurück. Ich war damals 11. Ich war einfach nur ein Kind und wollte zum Zahnarzt.“

Zack ist gefasst, als er das erzählt. Doch als er von seinen Eltern spricht, wirkt er traurig: „Es tut weh, zu hören, wie viele Sorgen sich meine Eltern machen. Einfach nur, weil wir nicht weiß gelesen werden“. Auch zu seinem politischen Engagement äußern sie Bedenken: „Mein Vater sagt: Besser, wenn du politisch neutral bist. Rechte Leute hassen dich eh schon, weil du nicht weiß bist und wenn du links bist, wird es nur schlimmer“.

Von der Gesellschaft wünscht sich der 14-Jährige mehr Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus: „Wir können nicht beeinflussen, wo wir geboren werden und wir können nicht beeinflussen, wie wir aussehen. Die Menschheit ist mittlerweile so alt und wir schaffen es immer noch nicht, diese Denkmuster aufzubrechen.“ Zack vertraut nicht darauf, dass die Polizei ihm Schutz bietet. Montags hält er sich von der Innenstadt fern. Auf die Frage, ob er in Bautzen bleiben möchte, antwortet er: „Wenn ich die Wahl hätte, wäre ich nicht hier“.

Gespräche im Theater

Als die Demonstration am Sorbischen Theater vorbeiläuft, versuchen einige Teilnehmer*innen in die Räume einzudringen. Die Demoteilnehmenden tragen Warnwesten, die mit politischen Botschaften bedruckt sind. Der Zugang zum Theater wird ihnen verwehrt, um einzutreten müssen sie die Westen draußen lassen.

Denn im Theater findet ein Gesprächsforum statt, ein niedrigschwelliges Angebot des Stadtrats zum Austausch mit den Bürger*innen. Initiiert wurde die Veranstaltung von dem CDU-Stadtrat Heinrich Schleppers und den Mike Hauschild und Stefan Mücke von der FDP. Doch Stadträt*innen aller Fraktionen sind eingeladen, sich zu beteiligen.

Demonstrationsteilnehmer*innen müssen ihre Westen ablegen, um teilzunehmen (Quelle: Videostill Bernd Heinze)

Auch Andrea Kubank und Jonas Löschau nehmen an dem Gesprächsformat teil. Kubank sitzt für „Die Linke“ im Stadtrat und beobachtet die rechtsextreme Szene in Bautzen schon lange mit Besorgnis. Die Neonazis seien in der Stadt vermehrt auffällig geworden, störten unter anderem die Solidaritätsdemonstration mit Geflüchteten, veranstaltet von „Die Linke“ als Reaktion auf den Brand im Spreehotel. „Sie wollen das Gefühl vermitteln, dass sie machen können, was sie wollen und niemand etwas dagegen tun kann.“ Gerade für PoC sei es in der Stadt immer noch gefährlich. Zu den Ausschreitungen 2016 äußert sich Kubank pessimistisch: „Es könnte auf jeden Fall wieder passieren“.

Doch es habe sich auch einiges verändert. Die Angriffe auf Einzelpersonen haben noch nicht wieder das gleiche Ausmaß erreicht. Außerdem waren 2016 viele Versammlungen von eindeutig erkennbaren Rechtsextremen veranstaltet worden. Nun überlassen die gewaltbereiten Neonazis die Organisation Personen wie der Familie Gähler, die menschenfeindliche Positionen hinter Gebeten und vermeintlichem Pazifismus verstecken. Dadurch ziehen die Demonstrationen eine breitere Klientel an und schaffen es mehr Personen zu mobilisieren. Die Neonazis aus 2016 sind jedoch nicht verschwunden, sie beteiligen sich weiterhin an den Montagsprotesten. „Das ist nicht minder gefährlich“, so Kubank.

Jonas Löschau (Die Grünen) und Andrea Kubank (Die Linke) im Bautzener Theater (Quelle: Bea Bernstein)

Jonas Löschau, im Bautzener Stadtrat für die Grünen, sieht die Gefahr vor allem in einer unpolitisierten Mitte: „Unser größtes Problem sind nicht einmal die Neonazis, denn die gibt es auch an vielen anderen Orten. Unser Problem ist die viel zu ruhige Mitte. Es gibt eine breite, unpolitisierte Gesellschaftsschicht, die nichts darüber weiß, sich nicht dafür interessiert und die den Neonazis die Räume lässt, sich zu vernetzen, zu organisieren und Veranstaltungen durchzuführen.“ Der Stadtrat sieht auch Versäumnisse in der Kinder- und Jugendbildung: „Wir waren vielleicht einfach zu nachlässig. Über Angebote wie die Musik von Chris Ares oder rechten Kampfsport haben sie ihren gewaltbereiten Nachwuchs rekrutiert. Das sind genau die Leute, die vermutlich auch solche Brandanschläge durchführen würden, wie der vor zwei Wochen auf das Spreehotel. Wir haben versäumt, diese Räume zu schließen und auch in den sozialen Netzwerken aktiver zu sein.“

Beide sehen auch ein großes Problem in der AfD, die versucht, die Vergabe von Geldern an Demokratieförderprojekte zu verhindern. Auch in anderen Bereichen fällt die AfD im Stadtrat negativ auf: „Sie schaffen es, die Verwaltung lahmzulegen und Sitzungen in die Länge zu ziehen, zu unterbrechen und aufzuhalten. Die Mission ist, Demokratie zu untergraben“, so Löschau.

Auch bei der Veranstaltung im Theater fällt die AfD auf. Eigentlich wollte die Fraktion gar keinen Stadtrat schicken. Nun ist der Landtagsabgeordnete Frank Peschel anwesend. Dieser verschwindet jedoch nach kurzer Zeit und taucht in der Innenstadt wieder auf, um bei der Montagsdemonstration eine Rede zu halten.

Frank Peschel beim Montagsprotest in Bautzen am 14. November 2022 (Quelle: Videostill Bernd Heinze)

Die Menge jubelt ihm zu und schwenkt fleißig ihre Fahnen. Wieder ist der Kornmarkt mit Hass gefüllt. Doch auch für die rechte Szene dürfte es anstrengend werden jeden Montag zu mobilisieren, gerade in der kalten Jahreszeit. Und die Gegenseite ist nicht so klein, wie sie vielleicht scheint. „Es gibt viele Menschen, die sich für diese Stadt engagieren, auch für Geflüchtete, das muss sichtbar gemacht werden. Es ist wichtig, dass wir ein klares Zeichen setzen für Menschlichkeit und Toleranz und ein friedliches Miteinander in der Stadt“, sagt Kubank. Die Hoffnung bleibt, dass auch montags dieses Gegengewicht sichtbarer wird und die schwarz-weiß-roten Fahnen mit der Zeit von dem Platz verschwinden.

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