Aufgeregt wuselt ein junger Mann durch die Menge eines Montagsspazierganges in Bautzen. Um seinen Hals baumelt eine Kamera mit großem Objektiv. Ein paar Bilder hier und da, dann kehrt er wieder zu seiner Gruppe zurück. Um ihn versammelt, stehen weitere junge Männer und ein paar vereinzelte junge Frauen, die meisten von ihnen vermummt.
Der junge Mann ist Benjamin Moses – Teil der rechtsextremen Bautzner Gruppe „Balaclava Graphics“. In einer Sturmhaube, der sogenannten Balaclava, präsentiert sich das „Medienkollektiv“ auf Instagram, Telegram, Facebook und YouTube. Würde man hippe Influencer mit militantem Rechtsextremismus und NS-Glorifizierung vermischen, würde vermutlich „Balaclava Graphics“ herauskommen.
Hipster mit Scheitel
Spätestens seit der „Identitären Bewegung“ weiß man, dass die sogenannte „neue“ Rechte gern hip und modern daherkommt. Ihre menschenverachtende Propaganda verbreiten sie nicht mehr mit altdeutscher Schrift und schiefen Hakenkreuzen, sondern im neuen Look. Statt Scheitel trägt man nun langen Bart und Hipster Brille, statt „Ausländer raus“ schreien sie „Ethnopluralismus“. Doch gemeint ist dasselbe.
Die Gruppierung „Balaclava Graphics“ besteht mehrheitlich aus jungen Männern aus Bautzen und Umgebung. Sie produziert Bilder für die rechte Szene auf Hochglanz. Doch im Gegensatz zur „Identitären Bewegung“ gibt sich „Balaclava Graphics“ weitaus weniger Mühe, ihre rechtsextreme Gesinnung zu verdecken. Ganz selbstverständlich huldigen sie verstorbenen SS-Offizieren auf ihren Social Media Kanälen. Und auch ihre Klamotten mit der Aufschrift „The White Race“ lassen wenig Zweifel an ihrer menschenfeindlichen Ideologie.
Mit Stickern zum „Nazikiez“
Der eine oder andere Laternenpfahl im Kreis Bautzen wird zum „Nazikiez“. So lautet zumindest die Aufschrift auf den Stickern, welche die Gruppe designt. Fleißig verteilen junge Menschen die Sticker und Plakate des „Medienkollektivs“. Doch was ist so gefährlich an ein paar Aufklebern?
Rechtsextreme Ideologie ist gerade dann bedrohlich, wenn rechte Raumnahme erfolgreich ist. Das funktioniert in Bezug auf den öffentlichen Raum oftmals mithilfe von Stickern, Plakaten und Graffitis mit rechtsextremer Symbolik und Inhalten. Bei gewissen Straßenzügen in Bautzen, könnte man meinen, die ganze Welt bestünde aus Neonazis. So erobern sie sich Stück für Stück den öffentlichen Raum. Wenn das Hakenkreuz neben der Bushaltestelle „Normalität“ geworden ist, dann ist auch das ein Erfolg der rechten Raumnahme.
Und so laufen Jugendliche und junge Erwachsene durch Bautzen und durch die Dörfer im Umkreis, verkleben Sticker auf denen „Nazikiez“ geschrieben steht und machen Werbung für eine rechtsextreme Gruppe. Die meisten Einwohner*innen werden vermutlich noch nicht einmal bemerken, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Doch anderen Jugendlichen fallen diese Sticker auf. Sie geben ihnen das Gefühl, dass Neonazi-sein „voll okay“ ist, vielleicht sogar im Trend liegt. Und wenn sie sich nach rechts politisieren und radikalisieren, fangen sie mit etwas Pech bald an, sich selbst mit der Gruppe zu identifizieren.
„Balaclava Graphics“ liefert das rechte „Lifestyle“-Erlebnis direkt mit. Junge Personen werden über Social Media dazu aufgefordert, bei den Montagsdemonstrationen in Bautzen im „Jugendblock“ auf die Straße zu gehen. Dort ist die Gruppe mit eigenem Transparent präsent und wirbt für den „Wutwinter“.
Montagsspaziergang, Gedenkmarsch, Grenzgang
Die Montagsspaziergänge sind jedoch nicht die einzigen Veranstaltungen, welche das Kollektiv medial begleitete. Zu den Hauptverantwortlichen der Gruppe zählen rund fünf junge Männer. Sie sind bereits seit 2013 aktiv. 2016 waren sie während der rassistischen Ausschreitungen auf dem Kornmarkt in Bautzen präsent. Damals agierten sie noch unter altem Namen: „Stream BZ“.
Überall in Bautzen, wo es zu Protestgeschehen und Auseinandersetzungen kam, war auch das Kameraobjektiv von Benjamin Moses nicht weit. Dabei begleitete er nicht nur die eigenen Demonstrationen, sondern filmte auch den Gegenprotest und veröffentlichte Bilder mit den Gesichtern linker Aktivist*innen, klassische Anti-Antifa-Arbeit, um möglichst viele Informationen über politische Gegner*innen zu sammeln
Das Kollektiv schwelgt äußerst gern in der Vergangenheit – zumindest was die zwölf Jahre Nationalsozialismus betrifft. Das äußert sich nicht nur in der Würdigung verstorbener Nazis auf ihren Social-Media-Kanälen, sondern auch in der Beteiligung an und Organisierung von Gedenkmärschen. Sie sind regelmäßig auf den Demonstrationen rund um den 13. Februar in Dresden zu sehen und organisieren jedes Jahr am 22. Februar ein Gedenken im ostsächsischen Niederkaina. Ende des Zweiten Weltkrieges hatte dort die 1. Ukrainische Front eine Scheune angezündet, in welcher sich 195 Jungsturmsoldaten befanden. Jedes Jahr legt der Oberbürgermeister nun dort einen Kranz ab. Wenige Stunden später folgen die Neonazis mit ihren Fackeln.
Spätestens seit Beginn der Coronaproteste wurde es wieder lauter um die Gruppe – von nun an unter dem Namen „Balaclava Graphics“. Ihre Aktivitäten beschränken sich schon lange nicht mehr auf Bautzen. Im August 2021 machte sich das Kollektiv auf den Weg an die polnische Grenze, um „die Situation der illegalen Grenzübertritte außereuropäischer Migranten zu dokumentieren und zu melden“. Zuletzt waren sie im September 2022 auf dem CSD in Döbeln zu sehen, auf welchem sie die Gegendemonstration der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ zum „Schutz der Familie“ medial begleiteten und später in Szene setzten.
Auch von organisierten Personen aus dem Hooligan und Kampfsportmilieu erhält die Gruppe Unterstützung. Desweiteren sind sie überregional in der rechten Musikszene vernetzt. Regelmäßig layoutet das „Medienkollektiv“ Cover von Bands, welche unter den neonazistischen Labels „PC Records“ und „OPOS Records“ unter Vertrag stehen und wirbt für diese auf Telegram. International konnte die Gruppe durch ihre Medienarbeit beispielsweise mit der italienischen Rechtsrock-Band „Green Arrows“ Kontakt knüpfen. Ein Mitglied von „Balaclava Graphics“ begleitete das Konzert der Musiker, als diese im Juni 2022 in Mitteldeutschland auftraten.
Familienangehörige kommen der „Balaclava Graphics“ bei der Vernetzung in der Szene ebenfalls zu Gute. Laut einem Recherchekollektiv handelt es sich bei der rechten Liedermacherin „Aria S.“ um Ariane Moses – die Schwester von Benjamin Moses. Auch aufgrund ihres Verhältnisses mit einem Hammerskin ist sie in der Szene vernetzt. Es ist davon auszugehen, dass auch Benjamin Moses dadurch womöglich Zugang zu Hammerskin-Vernetzungen erhalten hat. Die Hammerskins sind eine militante rechtsextreme Bruderschaft, die international vernetzt ist.
Die Verheißung auf dem Laternenpfahl ist bereits für viele zur Realität geworden. Die einen leben in Bautzen im „Nazikiez“, die anderen in einer „No-Go-Area“. Und das Kameraobjektiv von Benjamin Moses springt währenddessen von Stadt zu Stadt und Dorf zu Dorf und arbeitet fleißig daran, seine Realität auch zu anderen Orten zu bringen.