Für den Belltower.News-Jahresrückblick befragen wir zivilgesellschaftlichen Initiativen und Akteur_innen über die Situation in ihrem Bundesland. Den Jahresrückblick für Bayern schreibt Thomas Witzgall, Journalist von Endstation Rechts Bayern.
Was waren die wichtigsten Ereignisse in Bayern 2017, bezogen auf Rechtsextremismus und Rechtspopulismus?
Die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ bleibt der maßgebliche Akteur im Bereich der extremen Rechten in Bayern. Im Februar zogen 150 Anhänger der Partei durch Würzburg. Aufhänger war hier das Thema „Luftkrieg im Zweiten Weltkrieg gegen deutsche Städte“. Zur Show der Partei gehörten Bengalos und Sirenengeheul. Im November beteiligten sich um die 230 Sympathisanten am jährlichen Fackelmarsch durch Wunsiedel. Aufsehen erregte eine kleine Gruppe Neonazis aus den Reihen der Partei, der es verkleidet gelang, sich für kurze Zeit in den Faschingsumzug in Würzburg zu schmuggeln und dabei rassistische Parolen von sich zu geben. Im Juni führte die Berichterstattung von DER SPIEGEL über die Duldung von Neonazis aus den Reihen des III.Wegs in einem Fanclub des TSV 1860 München im Landkreis Cham zur Auflösung des Fanclubs.
Der „III. Weg“ setzt in letzter Zeit in Bayern verstärkt auf bürgerwehrähnliche Patrouillen durch einzelne Städte wie München oder Straubing. Aufgegriffen wird das Konzept auch von einem aus Finnland bekannten Zusammenschluss namens „Soldiers of Odin“. In Bayern versuchen unter diesem Label Personen, die auch aus rechtsextremen Zusammenhängen bekannt sind, getarnt als Nachbarschaftshilfe und Bürgerwehr Stimmung gegen den Rechtsstaat zu machen.
Die „Identitäre Bewegung“ stand vor allem wegen der Diskussion um den AfD-Landesvorsitzenden Petr Bystron und dessen Sympathiebekundungen im Fokus. Sonst führten die Aktivisten mehr oder weniger aufwendige Banner- und Störaktionen durch, auch im Bundestagswahlkampf. Teilweise gelang es ihnen kaum, die Spruchbänder zu entrollen oder die Anwesenden gingen wie in Regensburg bei der Störung einer Diskussion mit Volker Beck sehr besonnen mit der Situation um. Der entsprechenden Eigenvermarktung im Netz taten solchen Fehlschläge aber keinen Abbruch.
Die NPD spielt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum mehr eine Rolle. Bei der Bundestagswahl trat die Partei nur mit einem Direktkandidaten und einer nur vier Personen umfassenden Landesliste an und erhielt 0,3 Prozent der Zweitstimmen. Aus dem gescheiterten NPD-Verbot konnte die Partei keinerlei Nutzen ziehen. Der Weidner Neonazi Patrick Schröder veranstaltete unter Mithilfe von Daniel Franz zwei Konzerte im thüringischen Themar mit jeweils tausend Teilnehmern.
Die Partei „Die Rechte“ ist in Bayern quasi nicht mehr existent. Im Mai beteiligte sich der Kreisverband München an dem bundesweiten Aktionstag für den Shoa-Leugner Horst Mahler. In Mittelfranken haben sich die Strukturen der Partei aufgelöst. Zwei führende Akteure treten weiterhin als Reichsbürger auf, andere Aktivisten haben sich dem „III.Weg“ angeschlossen. Die Beschuldigten im Rahmen der Ermittlungen gegen die Bamberger Gruppe und des Verbots der „Weiße Wölfe Terrorcrew“ warten noch auf ihre Gerichtsverfahren. Die ehemalige Kreisvorsitzende aus Bamberg tritt nun im Rahmen der „Aryans“ auf.
Die im Allgäu angesiedelte Kameradschaft „Voice of Anger“ beging dieses Jahr ihr immerhin 15jähriges Bestehen mit einem Konzert kurz hinter der Landesgrenze zu Baden-Württemberg. Im Juli beobachtete das Münchner a.i.d.a.-Archiv ein größeres Treffen der Hammerskins im niederbayerischen Geiselhöring.
„Pegida München“ unter Heinz Meyer ist eindeutig der extremen Rechten zuzuordnen. Die Münchner kooperieren mit neonazistischen Akteuren, zu den durchgehenden Rednern gehört der frühere NPD-Landesvorsitzende Karl Richter. Sonst gibt es noch einen Ableger in Nürnberg, der zum islamfeindlichen Spektrum gezählt wird und enger mit Dresden kooperiert. Keine der beiden Gruppen konnte in 2017 nennenswerte Mobilisierungserfolge erreichen.
WELCHEN EINFLUSS HAT DER RECHTSPOPULISMUS IN BAYERN?
Die Bundestagwahl brachte der AfD einiges an Rückenwind für die 2018 anstehenden Landtagswahlen. In Deggendorf holte die Partei das beste Zweitstimmenergebnis in den alten Ländern mit 19,2%. Im Mittelpunkt vieler Auseinandersetzungen im ersten Halbjahr 2017 stand der damalige Landesvorsitzende Petr Bystron. Mit der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichtes machte das Innenministerium die Beobachtung des Funktionärs bekannt. Bystron hatte in einem Beitrag beim islamfeindlichen Blog „Politically Incorrect“ einen Beitrag veröffentlicht, in dem er es zur Aufgabe der AfD erklärte, politische Verbündete wie die „Identitäre Bewegung“ aus den Parlamenten heraus zu unterstützen und vor Repression zu schützen („Schutzschildstrategie“), aber eine zu enge Verzahnung lehnte er ab. Die Behörden begründeten die Beobachtung mit diesen und anderen lobenden Worten für die ebenfalls beobachtete IB. Bei der Aufstellung der Landesliste scheiterte Bystron dann in seinem Bemühen um die Spitzenkandidatur an dem weitgehend unbekannten Martin Hebner, bekam nach öffentlichen Diskussionen mit Platz vier einen sicheren Platz auf der Landesliste, über die im September 14 Kandidaten in den Bundestag einzogen. Nach einem vorläufigen Urteil des Verwaltungsgerichts und dem Einzug in den Bundestag beendete der Verfassungsschutz die Beobachtung Bystrons.
Auf dem Landesparteitag im Herbst wurde der Nürnberger Bundestagsabgeordnete Martin Sichert zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Die Main-Post zählt ihn zu den „fränkischen Freunden Björn Höckes“. Unter Lucke sah er sich einem Ausschlussverfahren ausgesetzt. Sein Kreisverband führte außerdem eine Kampagne gegen die Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg durch.
Pressemitteilungen und Kampagnen der AfD Bayern werden von einer Reihe der Partei nahestehenden „Medien“ eins zu eins übertragen. Darunter befinden sich Portale wie „Journalistenwatch“ oder „PI News“. Nach der Auflösung der Partei „Die Freiheit“ widmet Michael Stürzenberger seine Zeit dem islamfeindlichen Blog „PI News“, für den aus dem Raum Landshut zudem ein ehemaliger Polizist unter dem Pseudonym Eugen Prinz schreiben soll. Für eigene Kundgebungen nutzt Stürzenberger in Nürnberg und Fürth „Pegida“ als Plattform. Zudem wurde die früher aktivere Bürgerbewegung „Pax Europa“ wieder verstärkt reaktiviert.
GAB ES HERAUSRAGENDE EREIGNISSE?
Im Oktober wurde Wolfgang Plan, der Mann aus dem fränkischen Georgensgmünd, der mit seinen tödlichen Schüssen auf einen SEK-Beamten, zu einer Neubewertung der „Reichsbürger“-Szene beitrug, in erster Instanz zu lebenslanger Haft wegen Mordes und versuchten Mordes verurteilt. Mit 3.500 bestätigten Fällen bei noch etwas über 1.200 Verdachtsfällen hat der Freistaat die höchste Anzahl an „Reichsbürgern“. Mit mehreren Razzien gingen die Sicherheitsbehörden auch gegen Strukturen des „Königreich Bayern“ vor, die vor allem Fantasiedokumente unter die Anhängerschaft brachten.
Ende April gingen die Behörden gegen einen vorgeblichen Schützenverein, „Die Bayerische Schießsportgruppe München e.V.“ (DBSSG e.V.) vor. In diesem sollen sich zuletzt Anhänger von „Pegida München“ getroffen haben, geleitet vom führenden Aktivisten Heinz Meyer. Durch Urteile wurde bekannt, dass es in dem Verein schon seit 2012 Unstimmigkeiten über die Ausrichtung gab. Typische Sportwaffen soll der Verein nicht besitzen, dafür halbautomatische Waffen und Präzisionsgewehre, die auch militärisch eingesetzt werden können. Die Behörden prüfen ein mögliches Verbot des Vereins, der als möglicher bewaffneter Arm von Pegida München angesehen werden kann.
Im Bundestagswahlkampf kam es an einigen Orten zu massiven Protesten gegen Auftritte von Bundeskanzlerin Angela Merkel. In Passau trat die Deggendorfer AfD-Kandidatin für den Bundestag in Burka auf. In Rosenheim führte der jetzige Bundestagsabgeordnete und Mittelständler Hans Jörg Müller den lärmenden Protestzug direkt zur CSU-Veranstaltung. In München versammelten sich diverse Gruppen, von Rechtsextremen bis hin zum AfD-Spitzenkandidaten Martin Hebner am Marienplatz und störten den Auftritt der CDU-Chefin. Zum Teil kamen Störer aus dem mittelfränkischen Raum. Aufgefallen ist dabei oft einheitlich gestaltetes Material mit dem Slogan „Merkel hasst Deutschland“.
Gegen den diesjährigen bayerischen Antifa-Kongress richtete sich ein populistisches Bündnis, das von Rechtsextremen, über die AfD, einzelnen Landesverbänden der Polizeigewerkschaften bis hin zu CSU-Bundestagsabgeordneten reichte. Eine Kriminalisierung des Begriffs des Antifaschismus im Sinn, meinte keiner der Akteure, seine Vorwürfe gegen die Veranstalter, Teilnehmern und Programm auch mit Belegen unterfüttern zu müssen. Nach einem Hin- und Her fand der Kongress wie geplant statt, Pegida und AfD demonstrierten direkt vor Ort.
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